„Ob ich noch einmal wiederkomme?“ Szenische Theatercollage über das Schicksal der jüdischen Familie Meyerowitz

„Ob ich noch einmal wiederkomme?“
Szenische Theatercollage über das Schicksal der jüdischen Familie Meyerowitz
10. Dezember 2019: Fünf Mädchen und ein Junge stehen am Eingang zur Ausstellung WIR WAREN NACHBARN eng beieinander: Kichernd und flüsternd können sie ihre Nervosität kaum verbergen. Sie sind sechs von insgesamt 14 Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren, die gleich im Rahmen einer szenischen Lesung die Geschichte der Familie Meyerowitz vorstellen werden. 
14 Jugendliche aus Moabit, fast alle mit Migrations-hintergrund, die in ihrer Freizeit den Lebens- und Leidensspuren des jüdischen Rechtsanwalts Martin Meyerowitz und seiner Ehefrau Helene, geborene Eichelbaum, gefolgt sind. Sie werden darüber berichten, wie sich nach deren Kindheits-, Jugend- und Ausbildungsjahren, ihrer Eheschließung und dem erfolgreichen beruflichen Aufstieg von Martin Meyerowitz vom Oberlandesgericht Königsberg zum Reichsgericht in Leipzig ab 1935 mit den Nürnberger Gesetzen ihr Leben dramatisch veränderte.
Wie Martin Meyerowitz als Anwalt entlas-sen, wegen „Verkehr mit Ariern“ denun-ziert, verhaftet und im KZ Flossenbrügg ermordet wur-de. Und wie sich seine im Roll-stuhl sitzende Frau Helene, voller Sehn-sucht nach ihren Kindern, wenige Stunden vor ihrer Deportation vom Güterbahn-hof Moabit ins KZ Flossenbürg die Frage stellt: „Ob ich noch einmal wiederkomme?“
Aus den eben noch aufgeregt kichernden Jugendlichen werden mit Beginn der Lesung ganz auf ihre Texte konzentrierte Darsteller: Sie lesen Gesetzestexte, Briefe und Kommentare, illustriert und vertieft über Bildprojektionen, Lichteffekte und Geräusche. Alles zusammen, vor allem jedoch die Präsenz der Darsteller, erzeugen bei den Zuhörern zuerst eine Spannung und schließlich eine Ergriffenheit, die das Alter und die Sprachfehler der Lesenden vergessen lassen. Es ist, als wäre ihre eigene Erschütterung bei der Recherchereise durch das Leben der Meyerowitz‘ eingegangen in die Ernsthaftigkeit ihres Vortrags. Diese Ernsthaftigkeit geben sie weiter – und so entwickelt ihre Präsentation einen Sog, dem sich die Zuhörer kaum entziehen können. Am Ende ist es sehr still in der Ausstellungshalle, und als diese Jugendlichen, deren Familien das mit Flucht und Ausgrenzung verbundene Leid nicht fremd ist, ihre Lesung mit den Artikel 3 des Grundgesetze: „Gleichheit vor dem Gesetz“ beenden, hält die ergriffene Stille im Saal weiter an – bis begeistertes Klatschen die Spannung löst.

Die szenische Theatercollage „Ob ich noch einmal wiederkomme? Erinnerungen an die Familie Meyerowitz“ ist ein Projekt des Vereins Tanz Theater Dialoge unter der künstlerischen Leitung von Elizabeth Kahn/ David Sutherland und Kooperationspartnern. Gefördert wird es vom Bundesverband Netzwerk von Migrantenorganisationen e.V.. Den Prozess der Erarbeitung begleitete die Pädagogin Sabeth Schmidthals. Gemeinsam hatten sie bereits mit Schülern der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule die generations-übergreifende Theater-Collage „Gleis 69 – Erinnerungen an eine deutsche Familie“ entwickelt und im Januar 2019 öffentlich vorgestellt. Ausgangspunkt dieser Inszenierung war das Gelände des ehemaligen Deportationsbahnhofs Moabit, das der Schule gegenüber liegt. Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie der Projektfonds Kulturelle Bildung waren Förderer dieses Vorhabens.

Die Theater-Collage „Ob ich noch einmal wiederkomme?“ wird im Januar 2020 noch zweimal gezeigt – unbedingt hingehen!
·         Fr., 24. Januar, 18:00 Uhr, SOS Kinderdorf Berlin e.V., Waldstraße 23/24, 10551 Berlin
·         Do., 30. Januar, 18:00 Uhr, Aula der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule, Quitzowstraße 141, 10559 Berlin

 
Ilona Zeuch-Wiese
Fotos: Ilona Zeuch-Wiese