Aus den eben noch aufgeregt kichernden Jugendlichen werden mit Beginn der Lesung ganz auf ihre Texte konzentrierte Darsteller: Sie lesen Gesetzestexte, Briefe und Kommentare, illustriert und vertieft über Bildprojektionen, Lichteffekte und Geräusche. Alles zusammen, vor allem jedoch die Präsenz der Darsteller, erzeugen bei den Zuhörern zuerst eine Spannung und schließlich eine Ergriffenheit, die das Alter und die Sprachfehler der Lesenden vergessen lassen. Es ist, als wäre ihre eigene Erschütterung bei der Recherchereise durch das Leben der Meyerowitz‘ eingegangen in die Ernsthaftigkeit ihres Vortrags. Diese Ernsthaftigkeit geben sie weiter – und so entwickelt ihre Präsentation einen Sog, dem sich die Zuhörer kaum entziehen können. Am Ende ist es sehr still in der Ausstellungshalle, und als diese Jugendlichen, deren Familien das mit Flucht und Ausgrenzung verbundene Leid nicht fremd ist, ihre Lesung mit den Artikel 3 des Grundgesetze: „Gleichheit vor dem Gesetz“ beenden, hält die ergriffene Stille im Saal weiter an – bis begeistertes Klatschen die Spannung löst.
Die szenische Theatercollage „Ob ich noch einmal wiederkomme? Erinnerungen an die Familie Meyerowitz“ ist ein Projekt des Vereins Tanz Theater Dialoge unter der künstlerischen Leitung von Elizabeth Kahn/ David Sutherland und Kooperationspartnern. Gefördert wird es vom Bundesverband Netzwerk von Migrantenorganisationen e.V.. Den Prozess der Erarbeitung begleitete die Pädagogin Sabeth Schmidthals. Gemeinsam hatten sie bereits mit Schülern der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule die generations-übergreifende Theater-Collage „Gleis 69 – Erinnerungen an eine deutsche Familie“ entwickelt und im Januar 2019 öffentlich vorgestellt. Ausgangspunkt dieser Inszenierung war das Gelände des ehemaligen Deportationsbahnhofs Moabit, das der Schule gegenüber liegt. Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie der Projektfonds Kulturelle Bildung waren Förderer dieses Vorhabens.
Die Theater-Collage „Ob ich noch einmal wiederkomme?“ wird im Januar 2020 noch zweimal gezeigt – unbedingt hingehen!
· Fr., 24. Januar, 18:00 Uhr, SOS Kinderdorf Berlin e.V., Waldstraße 23/24, 10551 Berlin
· Do., 30. Januar, 18:00 Uhr, Aula der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule, Quitzowstraße 141, 10559 Berlin
Ilona Zeuch-Wiese
Fotos: Ilona Zeuch-Wiese |