Die Kuenstlerkolonie Berlin ist eine Wohnsiedlung im Süden des Berliner Ortsteils Wilmersdorf in suedoestlicher Fortsetzung des Rheingauviertels an der Grenze zu den Ortsteilen Friedenau und Steglitz. Sie wird begrenzt durchden Südwestkorso, die Laubenheimer und die Kreuznacher Straße sowie dem Steinrückweg. Das Zentrum der Künstlerkolonie bildet der Ludwig–Barnay–Platz. Die Siedlung wurde von den damaligen Interessenvertretungen derKünstler und Schriftsteller ab 1927 errichtet.
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Die Künstlerkolonie entstand zwischen 1927 und 1931 auf Initiative der Genossenschaft Deutsche rBühnenangehöriger (GDBA) und des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller. Ziel der Koloniegründung war es, auch für sozial nicht abgesicherte Künstler und Schriftsteller preiswerten und komfortablen Wohnraum zur Verfügungzu stellen. Der Volksmund erfand für die Siedlung den Namen „Hungerburg“.[1]
Die Anlage wurde in den Jahren 1924 bis 1927 geplant und zwischen 1927 und 1930 erbaut. Sie wurde zu 75 % vonder GDBA und zu 25 % vom Schutzverband deutscher Schriftsteller finanziert. Sie gründeten für die Errichtung derSiedlung die Gemeinnützige Heimstättengesellschaft mbH „Künstlerheim“. Den Grundstein der Siedlung mit derInschrift
AUS DEM NICHTS SCHAFFT IHR DAS WORT,
UND IHR TRAGT’S LEBENDIG FORT,
DIESES HAUS IST EUCH GEWEIHT,
EUCH, IHR SCHÖPFER UNS’RER ZEIT.
legte am 30. April 1927 der damalige Vorsitzende der GDBA, der Schauspieler Gustav Rickelt.
Die Wohnblocks der Künstlerkolonie entstanden im Rahmen des städteplanerischen Konzepts der „Gartenstadt“, dasschon vor dem Ersten Weltkrieg entstanden und 1911 bis 1915 um den Rüdesheimer Platz herum realisiert wordenwar. Dieses Siedlungskonzept stellte mit dem Verzicht der Hofbebauung eine bewusste Alternative zu den„Mietskasernen“ dar. Die drei Wohnblocks der Künstlerkolonie wurden entworfen von den Architekten Ernst undGünther Paulus. Ein vierter Wohnblock vom Steinrückweg zum Breitenbachplatz war zwar seit 1931 geplant, der Bauwurde aber vom nationalsozialistischen Regime unterbunden.
Im Zentrum der Wohnanlage wurde ein großer Platz (Ludwig–Barnay–Platz, ehemals Laubenheimer Platz) alsKommunikationszentrum vorgesehen. Auch die Gestaltung der Block–Innenbereiche sollte die Begegnung derBewohner erleichtern und fördern.
Schnell wurde die Künstlerkolonie zu einer Heimat vorwiegend linker Intellektueller und Künstler. Die Bewohner derKünstlerkolonie, die überwiegend mit der SPD und der KPD sympathisierten, stellten einen „roten Block“ inmitteneines national–konservativ und nationalsozialistisch geprägten Umfeldes dar.
Die Weltwirtschaftskrise führte gerade unter den Künstlern zu großer Arbeitslosigkeit; etwa 75 Prozent der Bewohnerwaren zu dieser Zeit ohne Einkommen. Viele Bewohner konnten die Miete nicht mehr aufbringen, und die GEHAGstrengte Zwangsräumen an, die jedoch meist am solidarischen Widerstand in der Künstlerkolonie scheiterten. Um dieInteressen der Mieter zu vertreten und Mietminderungen zu erreichen wählten die Bewohner Mieterräte. Gewähltwurden die Schriftsteller Karl Otten und Siegmund Reis sowie der Schauspieler Rolf Gärtner. Im Januar 1933 wurdetatsächlich eine Mietsenkung um acht Prozent erreicht, jedoch erhielten die drei Mieterräte die Kündigung ihrerWohnungen zum 1. April 1933. Zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr 1933 lebten etwa 300 Schriftsteller und Künstler inder Künstlerkolonie.[2]
Beginnend mit dem Wahlkampf für die Reichstagswahl 1930 wurden die Bewohner der Künstlerkolonie Zielnationalsozialistischer Provokationen und Übergriffe. Es wurde zu dieser Zeit gefährlich, abends alleine den Heimwegvom nahe gelegenen U–Bahnhof Breitenbachplatz anzutreten. Bald reichte auch eine Verabredung und der Schutzeiner Gruppe nicht mehr aus. Die Bewohner der Künstlerkolonie gründeten deshalb einen Selbstschutz, der alsbewaffneter Geleittrupp im Konvoi–System von bestimmten späten U–Bahn–Zügen die Bewohner abholte und nachHause begleitete. Etwa 400 der rund 1000 Bewohner der Künstlerkolonie beteiligten sich am organisiertenSelbstschutz.[3]
Nach der Machtergreifung durch die NSDAP im Jahre 1933 wurde das Leben für die Bewohner der Künstlerkolonieimmer gefährlicher. Erstmals im Februar 1933 führte die SA, die sich als „Hilfspolizei“ oder „Schutzpolizei“ ausgab, überfallartige Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch. Knapp drei Wochen nach dem Reichstagsbrand, indessen Folge die Nationalsozialisten die Grundrechte der Weimarer Verfassung mit der Reichstagsbrandverordnungaußer Kraft setzten, kam es dann am 15. März 1933 zu einer großangelegten Durchsuchungs– und Verhaftungsaktionin der Künstlerkolonie.
In den Morgenstunden wurde die Künstlerkolonie von Polizei und SA umstellt und abgeriegelt. Bis 15 Uhr wurdenzahlreiche Wohnungen durchsucht. Wo nicht geöffnet wurde, drang die Polizei über Feuerwehrleitern in dieWohnungen ein. 14 Personen, unter ihnen Theodor Balk, Peter Martin Lampel, Günther Ruschin, Manès Sperber, Curt Trepte und Walter Zadek, wurden festgenommen. Eine unbekannte Anzahl ausländischer Staatsangehöriger, diesich nicht ausweisen konnten, wurden zur Personenfeststellung auf das Polizeipräsidium gebracht. MehrereLastwagen voller Akten wurden beschlagnahmt, ebenso wie zahlreiche Waffen.[4] Literatur, die die Nationalsozialistenfür kommunistisch oder marxistisch hielten wurde auf den Laubenheimer Platz geschafft und verbrannt.[5]
Zahlreiche Bewohner der Künstlerkolonie, wie Ernst Bloch, Ernst Busch, Walter Hasenclever, Alfred Kantorowicz, Arthur Koestler, Susanne und Wolfgang Leonhard, Gustav Regler, Günter Ruschin, Manès Sperber, Steffie Spira–Ruschin, Walter Zadek und Hedda Zinner verließen noch 1933 Deutschland. Andere organisierten – trotz derGefahren, die die Großrazzia vom 15. März 1933 verdeutlicht hatte – den politischen Widerstand.
So gründete Alexander Graf Stenbock–Fermor in seiner Wohnung im Herbst 1940 zusammen mit Beppo Römer undWilly Sachse die Widerstandsgruppe Revolutionäre Arbeiter und Soldaten (RAS). Weitere Mitglieder der RAS wurdenIrene und Hans Meyer–Hanno, Fritz Riedel und Alja Blomberg. Stenbock–Fermor vermerkte zur Arbeit der RAS inseinen Erinnerungen: „Wir trafen uns abwechselnd bei mir, in der Wohnung von Alja Blomberg am Südwestkorso undoft bei Meyer–Hannos am Laubenheimer Platz 2. Hans Meyer–Hanno und seine Frau Irene wurden die eifrigstenMitarbeiter.“ [5]
Andere, wie Helene Jacobs, versteckten politisch Verfolgte in ihren Wohnungen.
Lange Zeit nach den Zweiten Weltkrieg blieb das schwere Schicksal der zahlreichen Bewohner der Künstlerkolonie„unsichtbar“. Erst in den 1980er Jahren wurde begonnen Gedenktafeln zu montieren (teilweise aus der Reihe BerlinerGedenktafel) und 1988 ein Mahnmal auf dem Ludwig–Barnay–Platz aufgestellt. Es trägt eine Bronzeplatte mit der Inschrift
FÜR DIE POLITISCH VERFOLGTEN DER KÜNSTLERKOLONIE.
Zum Gedenken an Hans Meyer–Hanno, der am 22. April 1945 in Bautzen von der SS ermordet wurde, weil er sichweigerte als Soldat für die Nationalsozialisten zu kämpfen, wurde vor dem Haus Ludwig–Barnay–Platz 2 einStolperstein in das Pflaster eingelassen.
Erst 1952 ging die Künstlerkolonie, die 1933 der Reichskulturkammer zugeordnet wurde, zurück in den Besitz derGEHAG. Nach 1952 errichtete diese zwischen Steinrückweg und Breitenbachplatz, auf der ehemaligenErweiterungsfläche der Künstlerkolonie für einen vierten Wohnblock, „moderne“ Neubauten. Diese verfolgten jedochnicht den ursprünglichen Bauplan und können den Gemeinschaftsgeist der Kolonie architektonisch nicht mehr zumAusdruck bringen.
1990 wurde die Gartenstadt am Südwestkorso unter Denkmalschutz gestellt. Diese beinhaltet auch dieKünstlerkolonie, die etwa 20 Prozent der Fläche ausmacht. Gut vier Jahre später, am 31. Dezember 1994 wurdedann die Künstlerkolonie an die Veba (später Viterra, dann Deutschbau, heute Deutsche Annington) verkauft.
Viele aus der Künstlerkolonie vertriebene Bewohner kehrten nach dem Krieg zurück. Teilweise als Gäste, einigeließen sich jedoch auch dort wieder nieder. Auch für Künstler der Nachkriegsgeneration besitzt die Künstlerkolonie, heute mehr aus Gründen der Historie als wegen preiswerten Wohnraums, wieder Anziehungskraft.
Die Interessen der heutigen Mieter vertritt ein Mieterbeirat.
Der Verein KünstlerKolonie e. V. wurde am 13. Dezember 1987 gegründet und – nach Vorbereitungen durch dieBürgerinitiative Künstlerkolonie seit 1984 – am 27. Januar 1988 in das Vereinsregister Berlin–Charlottenburg unter9295 NZ eingetragen.
Die Hauptziele des Vereins sind die Dokumentation der Geschichte der Personen und ihrer Werke, die Förderung von– der Künstlerkolonie verbundenen – Künstlern, die Herausgabe von Schriften sowie die Veranstaltungsorganisation. Der Verein besitzt ein umfangreiches Archiv mit Materialien zur Künstlerkolonie, bestehend aus Fotografien, Zeitungsartikeln und Literatur. In unregelmäßigen Abständen gibt der Verein die Zeitschrift „KünstlerKolonieKurier“ heraus.
Satzungsgemäß organisiert der Verein Straßenfeste – die sogenannten „Steinrückfeste“ im Garten desSteinrückwegs – und beteiligt sich an der Organisation und Förderung von Veranstaltungen wie Theater-, Opern-, und Kabarettaufführungen, Konzerte, Gemälde– und Foto–Ausstellungen, Buchvorstellungen und Lesungen, Gedenkveranstaltungen usw.
1909, als der Platz angelegt wurde, erfolgte die Namensgebung nach der Gemeinde Laubenheim in Rheinland–Pfalz.
Am 1. November 1963 wurde der zentrale Platz in der Künstlerkolonie von Laubenheimer Platz in Ludwig–Barnay–Platz umbenannt. Hierdurch soll an Ludwig Barnay, der 1870 einer der Begründer der Bühnengenossenschaft war, erinnert werden. Bis 1940 hatte diese Funktion der Barnayweg (s. u.)
Am 17. Dezember 1932 wurde der Weg, der die Künstlerkolonie nach Westen abschloss, zur Ehren Ludwig Barnays(siehe „Laubenheimer Platz / Ludwig–Barnay–Platz“) Barnayweg benannt. Am 21. Februar 1940 wurde dieser Wegvon den Nationalsozialisten nach dem 1929 verstorbenen Schauspieler Albert Steinrück in Steinrückweg umbenannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg existierten Pläne zur Rückbenennung in Barnayweg, die jedoch nicht realisiert wurden.[6]
Im Gedenken an Gustav Rickelt, den Gründer der Künstlerkolonie, wurde am 22. November 1999 ein privaterVerbindungsweg zwischen Südwestkorso und Kreuznacher Straße im Neubaubereich der 1950er Jahre nach GustavRickelt benannt. Die Initiative zur Erinnerung an Gustav Rickelt ging von seinem Sohn Martin Rickelt aus, der auchdie feierliche Enthüllung der Straßenschilder vornahm.[1]
http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/813837
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