Alexander Graf Stenbock-Fermor

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Erinnern Sie sich an unseren langjährigen Bewohner

Alexander Graf Stenbock-Femor

 

 

Alexander Stenbock-Fermor, ein Großneffe von Peter Kropotkin, wurde m 30. Januar 1902 in Nitau geboren und verstarb  am 8. Mai 1972 in Berlin. Er arbeitete zu Beginn der 20-er Jahre als Bergarbeiter im Ruhrgebiet. In Hamborn, damals einer syndikalistischen Hochburg, sammelte er den Stoff für sein erstes Buch – „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“.

Die Position Stenbock-Fermors wandelte sich mit der Zeit. Nahm er am Russischen Bürgerkrieg noch als überzeugter Weißgardist teil, machte er in der deutschen Emigration eine Wandlung zum Kommunisten durch. Anfang der 30-er Jahre vertrat er die nationalbolschewistische Linie der KPD, während des Nationalsozialismus bewahrte er nach Möglichkeit eine oppositionelle Haltung, und ergriff nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Partei für die Entwicklung in der entstehenden DDR. Die politische Wandlung Stenbock-Fermors zieht sich auch durch sein literarisches Werk, und ist damit für die Syndikalismusforschung von Interesse.

 

Das Schloss Stenbock-Fermors in Nitau (Nitaure) beherrbergt heute eine Schule, © PENTAX Image

 

Graf Alexander Stenbock-Fermor wurde am 30.01.1902 auf Schloß Nitau in Livland geboren (heute: Nitaure/Lettland). Er wuchs in aristokratischen Verhältnissen des baltischen Adels auf. Die Baltendeutschen gehörten in Livland ausschließlich der Oberschicht an, so dass für sie bei der Anfang des 20. Jahrhunderts beginnenden revolutionären Entwicklung alles auf dem Spiel stand. So meldete sich Stenbock-Fermor nach dem Ausbruch der Russischen Revolution 1917 auch freiwillig bei der Baltischen Landeswehr – einer Einheit zur Verteidigung baltendeutscher Privilegien – und beteiligte sich auf Seiten der Weißgardisten am Bürgerkrieg. Bei dem sich abzeichnenden Ende des Bürgerkrieges emigrierte Stenbock-Fermor im März 1920 nach Mecklenburg, denn hier in Neustrelitz hatte ein Großteil seiner Familie bereits eine Bleibe gefunden.

Hier versuchte er nun das Ingenieurfach zu studieren – am Technikum von Max Hittenkofer in Alt-Strelitz. Dies war eine der progressivsten Lehranstalten jener Zeit. Die Studenten konnten sich täglich an der Schule einschreiben lassen, und konnten sich je nach fachlicher Ausrichtung ihre Lehrpläne selbst zusammenstellen. Die Ausbildung selbst war insgesamt stark auf die Praxis ausgerichtet. Die Lehrer wurden dazu angehalten regelmässig Standardwerke über den Unterrichtsstoff zu verfassen. Jedoch lag Stenbock-Fermors Begabung in anderen Bereichen. Er brach das Studium bald wieder ab. Geldsorgen, Abenteuerlust und Neugier bewogen ihn daraufhin eine Anstellung als Bergarbeiter im Ruhrgebiet zu suchen.

Eine erste Berührung mit sozialistischen Gedanken bekam Alexander Stenbock-Fermor quasi mit in die Wiege gelegt. Sein Großvater, der Generalgouverneur von Charkow Demetrius Kropotkin, fiel am 11. März 1879 einem Attentat des nihilistischen Studenten Goldenberg zum Opfer. Peter Kropotkin, der bedeutendste Denker des kommunistischen Anarchismus und Großonkel von Alexander Stenbock-Fermor, wurde in der Familie als geistiger Urheber des Attentats betrachtet. Man durfte nicht über ihn sprechen.

Diese Einstellung änderte sich bei Alexander, als er in den Bücherregalen zufällig verborgene Schriften von Peter Kropotkin entdeckte: „Die französische Revolution“, „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ und die „Memoiren eines Revolutionärs“. Schnell begriff er, dass Kropotkin mit dem Attentat nichts zu schaffen hatte. Seine Werke hinterließen bei ihm einen bleibenden Eindruck.

Doch die Entwicklung zum Sozialismus hin, setzte bei Alexander Stenbock-Fermor erst in seiner Zeit als Bergarbeiter ein. Vom 16. November 1922 bis zum 20. Dezember 1923 arbeitete er in der Zeche Gewerkschaft Friedrich Thyssen, Schacht IV in Hamborn. In Gesprächen mit kommunistischen, anarchistischen und syndikalistischen Bergarbeitern gerieten seine bisherigen Überzeugungen ins Wanken, die Arbeitsverhältnisse im Bergwerk kurz nach der Niederlage der „Roten Ruhrarmee“ taten ein Übriges. Er begann sich sozialistischen Gedanken zu nähern und wurde mit der Zeit überzeugter Marxist.

Nach seiner Bergarbeiterzeit arbeitete Alexander als Lokalreporter bei der „Mecklenburger Rundschau“ in Neustrelitz. Dies war eine kleine Neubrandenburger Zeitung, die ebenfalls von einem Baltendeutschen – Baron Korff – herausgegeben wurde. 1923 eröffnete die Zeitung in der Augustastraße 11 in Neustrelitz eine Zweigstelle. Stenbock-Fermor arbeitete hier als Lokalkorrespondent für dieses deutsch-nationale Käseblättchen. Es sind zumeist nur Kurznachrichten „von unserem Korrespondenten aus Neustrelitz“, die ihm zugeordnet werden könnten. Die Beiträge sind nicht namentlich gekennzeichnet. Das Blatt ist im Übrigen ein interessantes zeitgeschichtliches Dokument – es besteht gewissermaßen zur einen Hälfte aus deutschnationaler Propaganda, zur anderen aber aus Berichten über „kommunistische Hetze“ – die wohl auch in Mecklenburg anno dazumal ungefähr die Hälfte der Bevölkerung „gefährdete“.

Nach diesem Zwischenspiel wurde Stenbock über Walter Karbe, den Leiter der Landesbibliothek, mit dem er einen regen gedanklichen Austausch pflegte, an das Puppentheater von Otto Gierow im Neustrelitzer Dürerhaus vermittelt, mit dem er eine Zeitlang durch die Lüneburger Heide zog.

Anschließend ging er nach Hamburg, wo er in der Buchhandlung Meissner in der Herrmannstraße 44 eine Ausbildung zum Buchhändler machte. Diese Buchhandlung hatte eine lange Tradition. Der angeschlossene Otto-Meissner-Verlag gab im Jahre 1867 zum ersten Mal „Das Kapital“ von Karl Marx heraus. Mit demdamaligen Verleger Otto Meissner will Stenbock-Fermor noch manches ungewöhnliche Gespräch gepflegt haben. So soll der alte Herr in ihm ständig einen Kunden gesehen haben und nach seinen Wünschen gefragt haben – worauf Stenbock ihm stets aufs Neue erklären musste, dass er sein Auszubildender sei. Stenbock will auch ein nettes Gespräch über Karl Marx mit Otto Meissner senior gehabt haben. Otto Meissner erzählte ihm angeblich einiges über seine Begegnung mit dem Begründer des sgn. „wissenschaftlichen Sozialismus“ – dessen Buch er „ohne es recht verstanden zu haben“ herausgegeben hatte.

Eine schöne Geschichte und spannend erzählt, nur war Otto Meissner senior bereits im Geburtsjahr Stenbock-Fermors verstorben. Die Firma gehörte zu Stenbocks Lehrzeit bereits dem Enkel des Marx-Verlegers und so könnte ein entsprechendes Gespräch – wenn überhaupt – im höchsten Falle mit dem Sohn Otto Meissners erfolgt sein.

Nach dem Abschluss seiner Lehre arbeitete Stenbock in der Bibliothek des Landesdirektors der Provinz Brandenburg Joachim von Winterfeldt auf dem Gut Menkin in der Uckermark. Joachim Winterfeldt-Menkin hielt sich damals berufsbedingt zumeist in Berlin auf. Dieser durchaus begabte und intelligente Vertreter einer völkischen Gesinnung ging in die Geschichte als Gründer des Deutschen Roten Kreuzes ein. Dem erstarkenden Nationalsozialismus griff er tüchtig unter die Arme – auch wenn er seiner Überzeugung nach ein Konservativer alter Schule blieb – jemand der stets „in zweiter Reihe“ steht, aber in dieser praktische Arbeit leistet. Stenbock-Fermor war in dem Leben Joachim Winterfeldts kein besonderes Ereignis. In seinen 1942 erschienenen Memoiren „Jahreszeiten des Lebens“ findet er daher auch keinerlei Erwähnung.

 

 

Im Herbst 1926 fand Stenbock-Fermor in Jena, im Verlag Eugen Diederichs eine Anstellung. 1928 erschien das Buch „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ bei J. Engelhorns Nachf. in Stuttgart. Stenbock-Fermor wurde nun freiberuflicher Schriftsteller, trat dem BPRS (Bund Proletarisch Revolutionärer Schriftsteller) bei und lebte von verschiedenen Gelegenheitsarbeiten, so bei der „Frankfurter Zeitung“. 1929 erschien sein Buch „Freiwilliger Stenbock“, ein autobiographischer Bericht über seine Zeit bei der Baltischen Landeswehr. 1931 wurde „Deutschland von unten“ veröffentlicht (ebenfalls bei J. Engelhorns Nachf. Stuttgart), ein Bericht über die armseligen Zustände in der „proletarischen Provinz“.

 

Laubenheimer Platz 5 (heute Ludwig-Barnay-Platz) – die Berliner Unterkunft Stenbock-Fermors, © PENTAX Image

 

Stenbock-Fermor hingegen erinnert sich ausgiebig an ihn. Winterfeldt-Menkin soll ihn sogar zum Verfassen seines ersten Buches „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ bewogen haben. Dieses soll dann während seiner Tätigkeit in der Bibliothek des Landesdirektors in Menkin niedergeschrieben worden sein.

Seinen Wohnsitz nahm Stenbock in Berlin, in der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz. Stenbock-Fermor näherte sich in dieser Zeit immer mehr der KPD, die gerade eine nationalbolschewistische Phase durchlief und versuchte enttäuschte Nazis und reaktionäre Offiziere auf ihre Seite zu ziehen.

Alexander gründete dabei das Scheringer-Komitee, zur Unterstützung des inhaftierten „Überläufers“ Scheringer und beteiligte sich am Aufbruch-Kreis und an der „Linkskurve“. Deren nationalbolschewistische Linie war damals umstritten – dennoch hatte sie eine gewissen Einfluss vor allem auf die kommunistische Bewegung. Wenn auch durch diese Taktik einige Nationalisten zum Übertritt in die KPD bewogen werden konnten, war es doch augenscheinlich, dass sich die Verwendung nationalistischer Agitation vor allem in der Arbeiterbewegung niederschlug. Die Wochenzeitung „Der Syndikalist“ wünschte der KPD 1932 in diesem Sinne „viel Glück zu Ihren neuen Errungenschaften bei der Sammlung des Abfalls aus dem Nazilager“.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten überstand Stenbock-Fermor in der Wohnung Heinrich Kurellas am 15.03.1933 unbeschadet die Razzia der Künstlerkolonie durch die neuen Machthaber, bevor er am 9. September 1933 in Jena doch noch verhaftet wurde. Am 3. Oktober desselben Jahres erfolgte seine Ausbürgerung durch das Mecklenburg-Strelitzsche Ministerium des Innern. Während der Inhaftierung erschien sein Buch „Das Haus des Hauptmanns von Messer“, eine Erzählung, in welcher der Adel humorvoll durch den Kakao gezogen wird, und die von den Nationalsozialisten nicht beanstandet wurde.

Am 17. Dezember 1933 erfolgte auf Betreiben des ersten Gestapo-Leiters Rudolf Diels in Berlin seine Entlassung aus der Schutzhaft. Er zog nach Hamburg, später wieder zurück nach Berlin und unterhielt Beziehungen zum Widerstand (die Gruppe RAS, Revolutionäre Arbeiter und Soldaten wurde nach seinen Angaben sogar in seiner Wohnung in derKünstlerkolonie aus der Taufe gehoben). 1942 erschien sein Buch „Schloss Teerkuhlen“, eine Heidegeschichte, in der er u.a. seine Hamburger Erlebnisse und seine Wanderung als Puppenspieler verarbeitete. 1943 erlebte das Buch eine zweite Auflage – allerdings diesmal als reine Wehrmachtsausgabe. Um den Bombardierungen während des Krieges zu entgehen, zog Alexander Stenbock-Fermor wieder zu seiner Mutter nach Neustrelitz.

Am 15. Januar 1945 wurde er zum Landesschützen-Bataillon II Stettin eingezogen. Am 30. April 1945 war für ihn der Krieg beendet.

Im Herbst desselben Jahres wurde Alexander Stenbock-Fermor durch Rolenko, den Kommandanten der sowjetischen Besatzungsmacht, als Oberbürgermeister von Neustrelitz eingesetzt. Kurz darauf zog Stenbock-Fermor wieder nach Berlin (West), in seine alte Wohnung in der Künstlerkolonie, die den Krieg überstanden hatte. Fortan arbeitete er als Drehbuchautor und Dramaturg für die DEFA. Zusammen mit Joachim Barckhausen schrieb er das Drehbuch für den ersten deutschen Arbeiterfilm nach 1945 – die „Grube Morgenrot“ (1948), über ein Anfang der dreißiger Jahre von Arbeitern kollektiviertes und in Selbstverwaltung betriebenes Bergwerk (der Film verlegt die in Schlesien stattgefundene Begebenheit nach Sachsen). Phil Jutzi behandelte dieses Thema zum ersten Mal 1930 – in dem Stummfilm „Die Todeszeche“, in welchem dokumentarische Aufnahmen vom Unglücksort verwendet wurden. Bei dem Unglück am 9. Juli 1930 kamen seinerzeit auch zahlreiche Syndikalisten ums Leben.

Die „Grube Morgenrot“ verlegte aber nicht nur die Gegebenheit an einen anderen Ort, auch die Rolle der KPD wurde in dem Film in ihr Gegenteil verkehrt. Während diese 1930-31 im Reichstag die „entschädigungslose Enteignung“ der Grubenbesitzer forderte, sowie die .berführung der Grube in Kollektiveigentum – warnen die Filmkommunisten vor „Vergesellschaftung im Kleinen“. Der Film endet mit einem optimistischen Ausblick auf die „Vergesellschaftung im Großen“ – die entstehende DDR. Der Erfolg der „Vergesellschaftung im Großen“ erscheint im historischen Rückblick doch mehr als zweifelhaft, und die von der KPD 1930 im Reichstag eingeforderte „Vergesellschaftung im Kleinen“ fand damals keine Mehrheit.

1949 erschien Stenbock-Fermors Novelle „Henriette“, über eine Liebesaffäre bei einer Schiffsreise von Berlin nach Hamburg. 1949 wurde im Verlag Volk und Welt, Berlin das Buch „Die letzten Stunden“ veröffentlicht, das auf Interviews Stenbock-Fermors mit dem Gefängnispfarrer von Tegel Harald Poelchau basierte, einem Angehörigen des Kreisauer Kreises, der zahlreiche Mitglieder des Widerstands auf dem Weg zum Schafott betreute. Ebenfalls mit Joachim Barckhausen schrieb Stenbock-Fermor das Drehbuch für den Film „Semmelweis, Retter der Mütter“, über den Arzt Semmelweis, der im 19. Jahrhundert die Ursachen des Kindbettfiebers entdeckte und durch die antiseptische Methode bekämpfte. Der Film erlebte am 2. Juli 1950 seine Premiere, im selben Jahr erschien im Deutschen Filmverlag Berlin das Buch zum Film. Ein dritter Film der beiden Drehbuchautoren war „Karriere in Paris“ (1952) nach „Vater Goriot“ von Balzac. Der wohl bekannteste Film der Autoren wurde „Das Fräulein von Scuderi“ nach der gleichnamigen Novelle von E.T.A. Hoffmann (1955), eine Kriminalgeschichte über eine Raubmordserie an adligen Schmuckbesitzern.

Auch bei dem ersten utopischen Film der DEFADer Schweigende Stern“ (1960) war Stenbock-Fermor am Drehbuch beteiligt. Diese Verfilmung des Romans „Astronauci“ von Stanislaw Lem, handelt von dem Flug eines Raumschiffes zur Venus, wo es klären soll, ob vom „Schweigenden Stern“ Unheil droht. Weitere Filme waren, „Tilmann Riemenschneider“ (1958), über das Schicksal des Bildschnitzers in Würzburg zur Zeit des Bauernkrieges, der Kinderfilm „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ (1953) nach einem Märchen von Andersen (Fernsehfilm bei Europäische Television / Westberlin), der Film „Mord ohne Sühne“ (1962) – welcher den Justizmord an dem polnischen Schnitter Josef Jakubowski in Mecklenburg-Strelitz behandelt, sowie „Mord an Rathenau“ (Fernsehfilm, 1961) über den Mord an dem deutschen Außenminister im Jahre 1922. Das bekannteste Werk von Alexander Stenbock-Fermor erschien posthum – „Der rote Graf“ (1973), eine Autobiographie von der Kindheit bis zum Jahre 1945, mit einem Epilog von Joachim Barckhausen über die Zeit danach. Der Autor verstarb am 8. Mai 1972 in Westberlin. Beerdigt wurde er in Düsseldorf, dem Wohnort seiner letzten Frau. Sein Grab auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof wurde 2002 nach Ablauf der 30-Jahre-Frist eingeebnet.

 

© Archiv VT im Institut für Syndikalismusforschung, Bestand Stenbock-Fermor,