Vom Widerstand in Wilmersdorf in taz

image_print

Vom Widerstand in Wilmersdorf

 

■ 1.400 Berliner überlebten den Naziterror im Unterschlupf

Auf 192 Seiten belegt Felicitas Bothe-von-Richthofen in „Widerstand in Wilmersdorf“, das in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand kostenlos erhältlich ist, was die Menschen alles gegen ein verbrecherisches Gesellschaftssystem unternehmen konnten. So berichtet das Kapitel „Unbesungene Helden“ von den Berlinern, die Menschen auf der Flucht versteckten: „…und die vielen, die gekommen sind unter dem Stichwort ,Black‘, die eine bis mehrere Nächte bei mir untertauchten oder andere Hilfe bekamen, weil sie als Illegale keine Lebensmittelkarte hatten. Sie benötigten auch alle Kleiderhilfe. Manchmal kamen sie auch nur, um sich ihre Wäsche, die sie trugen, zu waschen und sich selbst zu waschen.“ Frau Blochwitz, die unter dem Decknamen „Black“ bekannt war, half vielen Flüchtlingen. Doch sie stand nicht alleine, in Berlin überlebten etwa 1.400 Menschen, die bei Privatpersonen Unterschlupf fanden, den Naziterror.

In Wilmersdorf galt gerade die Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz (heute: Ludwig-Barnay- Platz) als ein Ort der politisch bewußten Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Die „Berufsgenossenschaft deutscher Bühnenangehöriger“ und der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ errichteten Ende der zwanziger Jahre drei Wohnblocks für ihre Berufsangehörigen. Bis zum Frühjahr 1933 lebten dort über 300 Künstler und Linksintellektuelle, darunter Ernst Bloch und Johannes R. Becher. Nazijargon für diese Wohngegend: der „Rote Block“. Um sich vor SA-Leuten zu schützen, organisierten die Künstler einen Selbstschutz. Mit der Solidarität in der Künstlerkolonie war es nach dem 30. Januar 1933 bald vorbei, viele Anwohner flüchteten ins Exil.

Flucht ist gewiß nicht die extremste Form des Protests. Hildegard Henschel, die Frau des letzten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Berlin während der Nazizeit, beobachtete, wie im Oktober 1941 die ersten Juden vom S- und Güterbahnhof Grunewald deportiert wurden: „SS, zum Teil mit Reitpeitschen versehen, überwachte die Einwaggonierung. Die Haltung der Opfer war bewundernswert, jeder wußte, daß es ein Sich-Auflehnen nicht gab, die einzige Auflehnung, die möglich war, war der Selbstmord. Mißlang der Selbstmord aber, so zog er später die beschleunigte Evakuierung nach sich.“

22.12.1993

THOMAS NAGEL

http://www.taz.de/!1585211/