26.04.2019
Berlin
Die Debatte um den Rückkauf ehemals landeseigener Wohnsiedlungen hat längst auch bürgerliche Bezirke Berlins erreicht. In Charlottenburg-Wilmersdorf soll jetzt die Künstlerkolonie Berlin vom Land gekauft werden. Der Fall ist ein weiteres Indiz dafür, dass Gentrifizierung auch vor Vierteln mittlerer oder guter Wohnlage nicht haltmacht.
Die Künstlerkolonie Berlin ist eine Wohnsiedlung im südlichen Wilmersdorf zwischen Südwestkorso, Laubenheimer und Kreuznacher Straße sowie Steinrückweg, die zwischen 1927 und 1930 entstand. Die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) finanzierte 75 Prozent der Baukosten, der Schutzverband deutscher Schriftsteller übernahm 25 Prozent. Das Ziel: Sozial nicht abgesicherte Künstler sollten günstigen und guten Wohnraum bekommen.
Die Kolonie bekam schnell den Ruf einer Siedlung linker Intellektueller, eines „roten Blocks“. Tatsächlich liest sich die Bewohnerschaft wie ein kleines Who’s Who von Künstlern der ausgehenden 20er- und frühen 30er-Jahre. Der Philosoph Ernst Bloch wohnte zwischenzeitlich in der Kolonie, der Schauspieler und Sänger Ernst Busch, die Historiker und Schriftsteller Sebastian Haffner und Wolfgang Leonhardt, die Schauspielerin Steffie Spira, der Schriftsteller und Friedenspreisträger Manès Sperber, später auch der Schauspieler Klaus Kinski oder die Fotografin Eva Kemlein. An viele erinnern heute Gedenktafeln an den Hauseingängen.
Künstlerkolonie: Zum ersten Mal würden Erhöhungen über dem Mietspiegel verlangt
Bis 1994 befand sich die mittlerweile sanierungsbedürftige Siedlung mit ihren rund 700 Wohnungen in öffentlicher Hand, dann wurde verkauft. „Das war ein großer politischer Fehler“, sagte der Literat und Liedermacher Manfred Maurenbrecher bei einem Rundgang am Donnerstag. Er ist in der Kolonie aufgewachsen, wohnt heute wieder dort und hat zwischenzeitlich sogar ein Buch über die Siedlung herausgebracht. Mehrere Verkäufe später landete sie bei der Vonovia, mit rund 400.000 Wohnungen größter Immobilienkonzern der Republik – und mit 44.000 Einheiten in Berlin an Platz 2 der Privaten.
Nach anfänglich guten Erfahrungen streitet der Mieterbeirat der Siedlung inzwischen heftig mit der Vonovia. Hauptgrund sind die Sanierungskosten und der damit einhergehende Wunsch der Immobiliengesellschaft nach kräftigen Mieterhöhungen. Zum ersten Mal, so schildern es Mitglieder des Beirates, würden jetzt Mieterhöhungen über dem Mietspiegel verlangt, obwohl man in dem Kompendium bereits als „gute Wohnlage“ geführt werde. „Das ist eine Kampfansage, so wird sozialer Frieden gebrochen“, sagte Mieterbeirat Reiner Fischer.
Fischer streitet den Sanierungsbedarf an den Häusern nicht ab, wenn er etwa von einer Nachbarin berichtet, die zwölf Jahre lang kein warmes Wasser gehabt habe. Doch die Mietforderungen der Vonovia seien einfach zu hoch. Nach Fischers Angaben liegt die durchschnittliche Nettokaltmiete in der Siedlung bei 6,10 Euro pro Quadratmeter. Einige Bewohner berichten von Warmmieten um 11 Euro pro Quadratmeter. In jedem Fall, so Fischer: „Die Mieterhöhungen führen zu einer völligen Vertreibung von Künstlern aus der Künstlerkolonie.“
Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger:
“Es wäre ein hochspannendes Projekt,
die Siedlung wieder zu einer Künstlerkolonie zu machen”
Dietrich Lehmann, langjähriges Mitglied im Ensemble des Grips-Theaters („Linie 1“) und Vorsitzender des Berliner Landesverbands der GDBA, bestätigt den Schwund an Künstlern in der Kolonie. Nach einst 300 Mitgliedern mit einschlägiger Adresse fänden sich heute allenfalls 80 in der Kartei der GDBA. Der Rest der Bewohner: ganz normale Leute mit ganz normalen Berufen, viele Ältere – Wilmersdorfer Durchschnitt.
Dennoch ist es der Kunstcharakter, der der Siedlung mit illustrer Vergangenheit jetzt eine neue Zukunft bescheren könnte. Oliver Schruoffeneger, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bauen, will, dass Berlin die Siedlung zurückkauft. Dabei gehe es nicht nur um die Wohnungsfrage, so der Grünen-Kommunalpolitiker. „Die Siedlung ist von großer kulturpolitischer Bedeutung. Wenn wir sie erhalten, hätte das großen Mehrwert für die Stadt“, sagt er. „Es wäre ein hochspannendes Projekt, die Siedlung wieder zu einer Künstlerkolonie zu machen – mit älteren und jüngeren Bewohnern.“ Das sei über Belegungspolitik steuerbar.
Schruoffeneger will jetzt Kontakt zur Landespolitik aufnehmen, als Ansprechpartner nennt er Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), Bausenatorin Katrin Lompscher und Kultursenator Klaus Lederer (beide Linke). „Eine Stadt, die seit Monaten über die Enteignung Hunderttausender von Wohnungen debattiert, wird kein Problem haben, 700 Wohnungen zu kaufen“, sagt er.