Es war finster in der Mitte unseres Jahrhunderts in Europa. „Humpelnd“ und abgerissen „wie ein Landstreicher“ war Arthur Koestler an die Peripherie Europas gejagt worden:
„Und dann sah ich sie, wenige Meter entfernt . . . die Männer in schwarzem Leder mit schwarzen Brillen, und die brennende rote, in der Hitze schlaff herunterhängende Fahne mit der schwarzen Spinne im weißen Kreis …. jetzt da ich krank, zerlumpt und schmutzig in der Tür lehnte und dem Einzug der Sieger zusah, begriff ich plötzlich, daß ein Mann töten kann, um seine eigene schmerzliche Nackheit zu bedecken.“ („Als Zeuge der Zeit“, Fischer 1986, S. 433 f.)
Im Kampf gegen die Faschisten, durch Stalin vom Kommunismus desillusioniert, so endet eine erste Station im Leben von Koestler. Er flieht nach England und wird von dort aus seine steile Karriere als Publizist fortsetzen, die so verheißungsvoll in Berlin vor der Machtergreifung der Nazis begann.
„Den Roten Stein der Weisen, gib zu! Den gibts doch nicht. Genosse,
auch du du hast ihn nicht gefunden.“(Wolf Biermann)
Koestler ist 1905 in Budapest geboren. 1922 immatrikuliert er sich an der Wiener Technischen Hochschule, und ein Jahr später wird er Mitglied einer zionistischen Burschenschaft. Des Studiums überdrüßig, entschließt er sich, nach Palästina in einen Kibbuz zu gehen. Er verläßt, oder besser entflieht dem Studium der Ingenieur Wissenschaft und trifft an einem Aprilabend 1926 in Hefziba ein. „Mein Kindheitstraum war Wahrheit geworden; ich war davongelaufen und hatte mir einen Spaten gekauft.“ Das „davonlaufen“ wird ihn sein Leben lang begleiten. Nach knapp einem Jahr härtester Arbeit gelingt es ihm, durch glückliche Umstände sich seine ersten Sporen als Journalist zu verdienei;i. Der Ullstein-Verlag, einer der größten Pressehäuser Deutschlands, war auf den jungen Mann aufmerksam geworden und engagierte ihn nach Berlin.
Zweimal soll Berlin im Leben von Koestler eine bedeutende Rolle spielen, wenn auch unter völlig verschiedenen Vorzeichen. Der erste Aufenthalt bekehrt ihn zum Marxismus, der zweite (1950) sieht ihn als Kämpfer gegen Stalinismus und Gewaltherrschaft. Das eine ist ohne das andere nicht zu verstehen.
Koestler macht im Ullstein Haus in kürzester Zeit Karriere. Es kann nicht ausbleiben, daß er als aufmerksamer Chronist auch selber Stellung bezieht. Das Jahr 1931 läßt ihm politisch kaum eine Wahl:
„Nach der Septemberwahl des Jahres 1930 hatte ich miterlebt, wie der liberale Mittelstand seine Überzeugungen verriet und alle seine Grundsätze über Bord warf. Aktiver Widerstand gegen die braune Flut schien somit nur möglich, indem man sich entweder den Sozialdemokraten oder den Kommunisten anschloß. Ein Vergleich der Vergangenheit dieser beiden, ihrer Energie und Entschlossenheit, schloß die ersteren aus und begünstigte die letzteren.“ (Fischer ’86, S. 113)
Seine Mitgliedschaft in der KPD wird im Verlag bekannt, und seine Entlassung war die Konsequenz.
„Nach dem Verlust meiner Stellung war ich frei von allen bürgerlichen Fesseln … Ich gab meine Wohnung in dem teuren Bezirk Neu-Westend auf und zog in eine Wohnung am Bonner-Platz (gemeint ist die Bonner Straße, A. d. V.); das Haus wurde der ‚Rote Block‘ genannt, da die Mieter, meistens mittellose Schriftsteller und Künstler, für ihre radikalen politischen Ansichten bekannt waren. Dort trat ich der kommunistischen Straßenzelle bei und durfte endlich das richtige Leben eines regulären Parteimitglieds führen …. Unsere Zelle hatte ungefähr zwanzig Mitglieder …. Wir hatten mehrere Literaten unter uns, zum Beispiel Alfred Kantorowicz und Max Schroeder, den Psychologen Wilhelm Reich … einige Schauspieler des Avantgardtheaters ‚Die Mausefalle‘ …. “ (Fischer ’86, S.146)
Koestler geht in dieser Gemeinschaft völlig auf, und die Beschäftigung mit dem Marixmus berauscht ihn förmlich:
„Ich stürtzte mich in die Aktivitäten der Zelle mit derselben Begeisterung und völligen Selbstaufgabe, die ich mit siebzehn Jahren beim Eintritt in der Wiener Burschenschaft an den Tag gelegt hatte. Ich lebte in der Zelle, mit der Zelle, für die Zelle. Ich war nicht mehr allein; ich hatte das herzliche Kameradschaftsleben gefunden, nach dem ich mich gesehnt hatte; mein Wunsch, irgendwie dazuzugehören, war in Erfüllung gegangen.“ (Fischer ’86, S. 149)
Hier wird deutlich, wie sehr ihn die stalinistische Wirklichkeit, die er dann auf seiner Reise 1932 durch die Sowiet-Union kennenlernen wird, treffen mußte, oder das politische Ränkespiel der Komintern innerhalb des spanischen Bürgerkiegs, wo er in mehrmonatiger Einzelhaft von den Faschisten inhaftiert war; auch die ernüchternden Erfahrungen im Kampf gegen Hitler Deutschland in Paris, vor dem Einmarsch der Deutschen. 1937 tritt er aus der KPD aus.
Seinen Genossen schreibt er:
„Es gibt keine Unfehlbarkeit einer Person, einer Bewegung oder einer Partei. Toleranz dem Feind gegenüber ist ebenso selbstmörderisch wie Intoleranz dem Freund gegenüber, der das gleiche Ziel auf einem abweichenden Weg verfolgt.“ Und ein Thomas Mann Zitat ergänzt seinen „Abschied“: „Auf lange Sicht ist eine schädliche Wahrheit besser als eine nützliche Lüge.“
Trotz dieser Erfahrungen weißt Koestler später darauf hin, wie wichtig die marxistische Schulung für sein Denken war, wie sie seine „kritischen Fähigkeiten“ schärfte. Sie „lieferte einem eine Methode, mit der sich soziale Erscheinungen präziser und ‚konkreter‘ anpacken ließen als mit den Mitteln der bürgerlichen Soziologie; … diente als eine Art Kompaß, der bei jedem Problem in jeder Lebensspähre wenn auch nicht die Lösung, so doch die Richtung andeutete, in der sie zu suchen war. Marx und Engels sind aus der Geschichte des menschlichen Wissen ebenso wegzudenken wie Darwin. Doch haben in den letzten hundert Jahren sowohl die Soziologie als auch die Genetik so viel Neues zutage gefördert, daß ein ‚orthodoxer Marxist‚ heute ebenso anachronistisch wirkt wie ein Biologe, der sich als ‚orthodoxer Darwinist‘ bezeichnen wollte.“ (Fischer ’86, S. 117)
Auf diesem Hintergrund muß man den kompromißlosen Kampf, den Koestler gemeinsam mit seinen Feunden, u.a. B. Russel und George Orwell, gegen den Stalinismus führte, sehen. Seine Roman „Sonnenfinsternis“ und vor allem die politische Aufsatzsammlung „Vom Yogi zum Kommisar“ sind Beleg für seine persönliche Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit dem Stalinismus. Gerade dies gilt es neu zu entdecken!
© Gerd Frölich, Künstlerkolonie Berlin e.V.