Am 15. März 1988 wurde auf dem Ludwig-Barnay-Platz eine Tafel am Mahnmal für
„Die politisch Verfolgten der Künstlerkolonie“
enthüllt. Neben zahlreichen Bewohnern der Kolonie und Freunden des Vereins sowie der 6.Klasseder Alt-Schmargendorf Grundschule nahmen der Stadtrat für Volksbildung Herr Ulzen, der Baustadtrat Herr Kähler, der Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen Herr Reinecke, die Abgeordnete der SPD Frau Helga Korthaase und der Vorsitzende der Bühnengenossenschaft Herr Driskol an der V eranstaltung teil.
Bei leicht einsetzendem Schneefall verlief die Gedenkstunde in getragener Stimmung. Holger Münzer, Vorsitzender des Vereins Künstlerkolonie e.V., begrüßte die Anwesenden mit Tucholskys „Blumen auf den Weg gestreut“. Das Neuköllner Blechbläserensemble unter der Leitung von Detlef Hillbricht spielte Musik Alter Meister, der Schauspieler Helmut Krauss sprach Texte aus „Die Verbrannten Dichter“ (Theater „tribühne“ 1978). Die Veranstaltung fand zum Gedenken an den 15. März 1933 statt, als faschistische Polizei die Künstlerkolonie in Wilmersdorf „endlich aushob“, wie im „Völkischen Beobachter“ zu lesen war. Bereits seit der Machtergreifung Ende Januar 1933 war es in der Künstlerkolonie zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen gekommen.
Der Überfall am 15. März 1933 sollte den antifaschistischen Widerstand in der Kolonie endgültig brechen, lebten doch hier zahlreiche bedeutende linke Künstler, Schriftsteller, Journalisten, Theaterleute, einige jüdischer Abstammung. Ernst Busch, Axel Eggebrecht, Manes Sperber, Hedda Zinner, Walter Zadek und viele andere.
In seiner Gedenkrede zitierte Alexander Longolius (SPD) den jüdischen Schriftsteller Alfred Kantorowitz, der in der Künstlerkolonie gewohnt hatte, 1933 emigrieren mußte, und der die Ereignisse in der Künstlerkolonie nach der Machtübernahme in seinem „Deutschen Tagebuch“ beschreibt.
Im weiteren ging Alexander Longolius in einer langen Passage der Frage nach der Aktualität faschistischen Gedankenguts und dessen Überwindung nach. Alexander Longolius:
„Der Angriff vom 15. März 1933 auf die Künstlerkolonie war nicht nur ein Angriff auf Kunst und Künstler, die Siegesmeldungen nicht nur die Erleichterung über die Beseitigung des „Roten Loches„. Der 15. März war auch allgemein ein Gewaltschlag gegen den hier praktizierten Widerstand. Widerstand von etwa 1.000 Bürgerinnen und Bürgern. Sie waren ziemlich allein -und haben dennoch so viel Wirkung und soviel Angst erzeugt. Was hätten 10.000 bewirkt? 100.000? ( … )“
Wir denken heute auch über die Leichtigkeit nach, mit der sich der Naziterror ausbreiten konnte, und wir fragen uns, wie immun wir heute gegen Wiederholungen sind.
Lange habe ich ein Fragezeichen hinter die Überlegungen gesetzt, ob wir die deutsche Vergangenheit ernst genug durchdacht haben. Heute bin ich sicher, daß es das falsche Satzzeichen ist. Das Klima einer sozialen Akzeptanz von rechtsradikalem Denken war in Teilen unserer Gesellschaft immer da, und dies waren leider auch einflußreiche und mächtige Teile. Wie sollte es auch anders sein, wenn doch für manche unserer Landleute der Übergang von der Nazizeit zur Republik so überaus nahtlos war. Wir enthüllen heute eine Mahntafel.An vielen Orten wird jetzt nach der Vergangenheit gesucht, der V ergangenheit von Personen, Institutionen, Orten und ihrer Verstrickung in die faschistische Unterdrückung von Menschen und Ideen. Die Unlust an diesen Aktivitäten ist dabei meist stärker verbreitet als das Engagement der häufig jugendlichen Spurensucher.
Die Aufarbeitung der braunen Jahre ist 1988 nicht nur Aufgabe für Historiker, sie ist immer noch ein Auftrag an unseren politischen Alltag, denn sie ist bisher nicht gelungen.
Das heißt zunächst, Kenntnisse zu ermöglichen. Wenn Abiturienten nicht sagen können, wann der 2. Weltkrieg war, werden sie wohl auch das Jahr 1933 nicht richtig einordnen können. Wenn Lehrer keine Zeit haben, ausführlich über den Nazionalsozialismus zu reden, Ausstellungen zu besuchen oder auf aktuelle neonazistische Vorfälle an ihrer Schule einzugehen, wird man die Schüler verstehen müssen, die allzu spielerisch mit den traurigen Fakten dieser Zeit umgehen.
Das heißt weiter, die Ursachen für einen neuen Nazismus zu verhindern. Die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen ist mehr als ein Problem des Arbeitsmarktes. Die Verweigerung einer Lebensperspektive, diese Absage unserer Gesellschaft an junge Bürger ist auch die Einladung an sie, politischen Verführern nachzulaufen.
Und das heißt drittens, daß die Hoffähigkeit von antidemokratischen und rechtsextremen Gedanken und Verhaltensweisen in unserer Gesellschaft endlich verschwinden muß. Der Skandal des Majdanek-Prozesses, die Einstellung der V erfahren gegen die beamteten Mörder am Volksgerichtshof, Pensionszahlungen an aktive Förderer der N azidiktatur – das sind Zeichen für ein Klima, in dem Nazis leben konnten. Warum dann nicht auch Neonazis?( … ) Vieles aber können wir tun: Wissen vermitteln, Betroffenheit dauerhaft erzeugen, Demokratie vorleben, Toleranz einüben und die Freiräume schaffen, die Menschen zur V erwirklichung ihrer Würde brauchen, auf die sie einen Anspruch haben.
Für Kunst und Künstler gilt dies in besonderem Maße. Freiraum. Beide Wortteile begrunden die Möglichkeit für Kunst zu wirken, überhaupt tätig zu sein. Der Vorbildcharakter der Künstlerkolonie ist auch heute ungebrochen. ( … )
Vieles wäre in der Geschichte unseres Volkes anders verlaufen, wenn das Beispiel der Künstlerkolonie Nachahmer gefunden hätte. Vieles wäre anders gekommen, wenn die politische Aufmerksamkeit ihrer Bewohner mehr Echo bei Zuhörern, Zuschauern und Lesern gehabt hätte. Und vieles wäre anders geworden selbst nach der Befreiung 1945, wenn die Generation vor uns, 1948 hier diese Tafel enthüllt hätte. ( … ) Unsere Lektion heißt, Versäumtes nachzuholen, in Freiräumen, in Nischen unserer Gesellschaft nicht gleich Subversives zu sehen, die naturnotwendige Rebellion der Kunst anzuerkennen und zu wünschen und so der dummen Engstirnigkeit jeglicher Intoleranz entgegenzutreten.“ (A. Longolius) Der Verein Künstlerkolonie Berlin e.V. plant, den 15.März als Gedenktag jährlich zu begehen, um die Erinnerung an die politisch verfolgten Künstler der Kolonie wachzuhalten und an die Freiheit von Kunst und Kultur überhaupt zu mahnen.
© Künstlerkolonie Berlin e.V.
Dieser Artikel erschien erstmals 1988 anläßlich der Enthüllung der Gedenktafel