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Sie flohen vor dem Hakenkreuz….Ein Lesebuch für Deutsche

Walter Zadek

Emigration und Wesenswandlung

 

Walter Zadek, der vor den Nazis geflohene Journalist aus dem Berlin der Weimarer Republik, hat seit vielen Jahren seine Begegnungen mit den Überlebenden der Emigration in Europa, den USA und in Israel dazu genutzt, ein Panorama der deutschen Emigration aufzuzeichnen. Aus bisher unveröffentlichten Texten und Selbstaussagen, die Walter Zadek aufs Tonband genommen hatte, aus Briefen und Zeugnissen von Verwandten und Freunden der Autoren ist dieser Band entstanden. Er gibt Zeugnis vom Leben auf der Flucht, von Armut und Elend der Emigration. Bei weitem nicht alle haben wieder eine neue Heimat Schriftsteller gefunden oder und sind Dichtergar in die alte Heimat zurückgekehrt. Die Emigration der Schriftsteller haben die Deutschen nach 1945 kaum nachvollzogen, die lebenslange Trauer der Emigration nie begriffen.

 

„Vor allem aber erhob sich noch die sprachliche Barriere, schwer die gerade für den ausgewanderten Schriftsteller unüberwindbar schien. Nur schwer und langsam wuchs uns die hebräische Sprache zu und wir in sie hinein. Nur ganz wenigen ist es gelungen, in dieser alten und erneuerten Sprache des eigenen Volkes literarisch produktiv zu werden. Thomas Mann hat aus seiner Exilerfahrung darauf hingewiesen, daß ein Schriftsteller ein Mensch sei, dem es schwererfalle, sich auszudrücken als anderen Leuten … Aber auch das Land der Herkunft blieb für uns, die wir Deutschland nach 1933 verlassen mußten, verfremdet. Nach über zwanzig Besuchen in der Bundesrepublik und längeren Aufenthalten in deutschen Städten bekenne ich dankbar, daß sich dort vieles entscheidend gewandelt hat und ich mich als gern gesehener Gast empfinden durfte. Aber als Gast, dessen Legitimität gerade in seiner Rückverbindung zu Israel gesehen wird. So bleibt es unser Schicksal, in dem Land unserer Auswanderung nicht mehr und im Land unserer Einwanderung nicht ganz heimisch zu sein“.  (Schalom Ben-Chorin)

 

Walter Zadek geb. 1900 in Berlin war Bewohner der Künstlerkolonie in Berlin und wohnte in der Bonner Strasse 3. Er begann 1919 als Buchhändler und Antiquar, 1924 Redakteur des «UHU», dem ersten deutschen Magazin, 1925 Ressortchef beim« Berliner Tageblatt», 1930 Leiter der « Zentralredaktion für deutsche Zeitungen», 1933 Verhaftung und Flucht, ab1933 Israel. Lebt in Holon bei Tel Aviv (Winter) oder Frankfurt! Main (Sommer). Herausgeber diverser Bücher

 

Unter Bestien

 

Am Freitag, dem 20. Januar 1933, kommt es in Berlin vor dem Eingang zum Untergrundbahn­hof Breitenbachplatz zu einem kleinen Handgemenge. Ich höre, wie ein untersetzter Herr seiner Begleiterin zuruft: «Schande, daß man dies Judenzeug immer noch ausstellen darf!» Damit weist er auf einen Zeitungsautomaten hin, in dem das Berliner Tageblatt steckt. Ich sage daraufhin zu meiner Frau: «Wollen wir mal das Judenzeug kaufen?»

Vor der Eingangssperre haben die Antisemi­ten auf mich gewartet. Als ich den engen Durch­gang betrete, werde ich von dem kräftigen Mann derb hineingestoßen. Ich wehre mich, wenn auch durch die Dauerverletzung einer Hand be­hindert, auf ähnliche Weise. Die anschließende Prügelei wird durch Bahnbeamte abgebrochen. Auf dem Weg zum Vorsteher, der die Namen aufnehmen soll, schlägt der Angreifer nochmals hinterrücks nach mir, trifft jedoch das Gesicht meiner Frau. Der Bahnvorsteher läßt sich unsere Ausweise zeigen. Der Nazi hat den holländischen Namen Bloemendaal. Ich weise mich als Leiter der «Zentralredaktion für deutsche Zeitungen» aus.

Ich besaß Arbeitsräume in der nahe gelegenen «Künsterkolonie». Das waren mehrere große Häuserblocks, erbaut für Mitglieder des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller, der Bühnengenossenschaft und anderer Künstlerverbände. Also ein Sammelbecken freigeistiger, meist linksge­richteter Menschen und damit ein Dorn im Auge jedes Nationalsoziali­sten. In meiner Wohnung hatte, schon seit ich Ressortchef am Berliner Tageblatt gewesen war, alle vierzehn Tage eine Art jour stattgefunden, an dem sich Dichter, Politiker, Musiker usw. gegenseitig an- und aufregten, darunter Maler des Bauhauses, Mitarbeiter der Weltbühne, Schauspieler von Reinhardt u. a.

Als ich nach der abendlichen Prügelei heimkehre, sehe ich vom Fenster aus, daß der Gewaltmensch mir nachgegangen war und die Anschrift auf­zeichnet. Noch ahne ich nicht, daß dies der Auftakt zu meiner sehr frühen und dadurch lebensrettenden Emigration werden wird.

Zwei Monate später, am 15. März 1933, werden die Wohnblocks der «Künstlerkolonie» von Polizei und SA-Leuten umstellt. Ich werde durch sieben schwerbewaffnete Jungen des «Kommando zur besonderen Ver­wendung» mißhandelt und mit blutendem Gesicht die Treppe hinunterge­stoßen. Halb bewußtlos höre ich: «Das ist der Kerl, der den alten Mann geschlagen hat.» Und dann: «Wirst du Judenschwein wohl schneller lau­fen!» Trotz meiner Betäubung erinnere ich mich: «Auf der Flucht er­schossen» und taste mich nun wirklich langsamer die Stufen hinunter. Einen so raschen Triumph möchte ich Herrn Bloemendaal nicht gönnen.

Unten werde ich auf einen Polizeiwagen hinaufgestoßen. Das ist ja eine Literatenversammlung: Vor mir sitzt der Schriftsteller Manes Sperber, hinter mir der im Osten geehrte Autor Theodor Balk, alias Dr. Fodor, alias Dr. Dragutin. Einer der Uniformierten höhnt: «Hast woll Neesebluten jehabt, wa? Wisch dir mal det Jesicht ab!» Das Bild des Wagens mit den feixenden Bestien erscheint am 16. März 1933 neben einem verloge­nen Bericht in den Naziblättern.

In die Gruppenzelle des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz wird gleich danach der heute in der DDR führende Theaterfachmann Curt Trepte hineinbefördert. Kein Jude. Zum Beweis, wie «verhört» wird, ent­blößt er seinen Hintern. Er strahlt blau und braun von Hieben. Ich bitte einige Polizeikommissare, die oft Beiträge für meine Zeitungskorrespon­denz eingesandt hatten, um Rücksprache. Keiner von ihnen rührt sich.

Nach ein paar Tagen trennt man die konsularisch beschirmten Ausländer von uns schutzlosen Deutschen. Ich werde in das Zuchthaus Spandau abgefahren. Wieder öffnet sich eine Massenzelle, gefüllt mit einer geistig regen Gesellschaft. Beherrschaft von dem kommunistischen Abgeordne­ten Heuck, einem mächtigen Burschen, Pferdehändler, der später in sei­nem Wahlkreis Kiel von Nazischergen niedergemacht werden wird. Fast dreißig andere begrüßen den Neuzugang.

Eines Nachmittags bringen zwei Wärter den greisen Justizrat Broh herein, nur mit einer Decke auf dem nackten Kröper, um Druck zu vermei­den, denn er ist am ganzen Leib braun und schwarz geschlagen. Mit Brandstellen, wo die Sadisten ihre Zigaretten ausgedrückt hatten. Den Kopf voller Krusten, weil sie ihm die Haare büschelweise mit Zangen ausgerissen hatten. Er sollte büßen, daß er als Jude linke Leute gegen die Nazis vor Gericht vertreten hatte.

 

Ausbruch

April 1933. Ich werde herausgerufen: mit Sachen! Im Direktorzim­mer: «Sie sind entlassen!» Der neue Vorsitzende des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS), Hanns Heinz Ewers, nazistischer Erbe von Tucholsky und Arnold Zweig, hat seinen Einfluß zeigen wollen und sich für den ihm unbekannten Kollegen verwendet.

Unvorbereitet erscheine ich zu Hause. Meine Arbeitsräume sind verwüstet. Mein Paß ist im «Alex» beschlagnahmt. Ein deutschnationaler Anwalt versucht, ihn vom Staatsanwalt herauszubekommen. Aber eines Vormittags, wieder befragt, flüstert er mir leise zu: «So schnell und so weit wie möglich!» Ich begreife: Die Wiederverhaftung steht bevor.

Am selben Abend verschwinde ich mit meiner Frau in einem D-Zug nach Westen. Beide nur mit einer Aktentasche bewaffnet, wenige Mark im Beutel. Schon auf dem Bahnhof Zoo waren zwei allzu unauffällige Herren in das leere Nebenabteil zugestiegen. Man hatte uns also nie aus den Augen verloren.

Köln. Sechs Uhr früh. Ein begabter Reporter hatte in einem seiner Beiträge für meinen Zeitungsdienst von den Schleichwegen der Schmuggler im Westen berichtet. Aus dem Bett geholt, behauptete er, nichts Ge­naueres zu wissen. Seit der Machtergreifung verleugnen fast alle nichtjü­dischen Bürger ihre «rassisch belasteten» Freunde und Arbeitgeber. Un­aufgefordert schaltet jeder sich gleich. Von echten Überzeugungen keine Rede. Zivilcourage, Rückgrat, Gesinnungstreue – wie wenige haben sie damals bewiesen, werden sie jemals beweisen.

Auf dem Amt der Zionistischen Organisation in Berlin hatte uns ein Unbekannter eine andere Anschrift in Köln genannt. Durch die noch schlafenden Straßen der Stadt trotten wir zum bezeichneten Haus.

Als wir uns umdrehen, tauchen hinten, in weiter Feme, gerade die zwei unauffälligen Herren aus dem Nebenabteil der Eisenbahn auf!

Ich krieche unter die Treppe. Meine Frau läutet an der Wohnungstür. Wie? Was will sie? Man verstehe sie nicht. Niemals hätten sie mit so etwas zu tun gehabt. Welche Zumutung! Da bricht die überforderte Bittstellerin in Tränen aus. Man nimmt sie herein, reicht ihr Kaffee, nennt ihr den Fluchtweg. Er hätte kaum einfacher sein können.

Es ist der 23. April 1933. Wir fahren weiter nach Aachen. Gehen hinein in die Stadt. Vorsichtshalber steigen wir an verschiedenen Haltestellen in die Straßenbahn Nummer sieben. Umsonst, alles umsonst! Auf der Platt­form stehen bereits die beiden schweigsamen Herren. An der Kreuzung Couvenstraße springe ich ab, renne zu einem bestimmten Taxistand hin­über. Gerade ist noch ein Platz frei. Kaum sitze ich, rattert der Wagen los. Ich zahle bis zum Endpunkt, lasse jedoch unterwegs halten, steige links heraus statt rechts: Gerettet!

Denn diese Straße ist ein kurzes Stück lang staatenlos. Niemandsland. Links liegt Holland, der Platz Kerkrade. Rechts das deutsche Städtchen Herzogenrath. An der Hauptstraße befindet sich eine holländische Grenzsperre. Steigt man aber hundert Meter davor aus, gelangt man auf einem Kohlenweg um die Schranke herum sofort in den blumenreichen, sauberen Ort hinein.

Wo steckt meine Frau? Sie sollte doch im nächsten Auto folgen. Unru­hig sehe ich in einen Laden, erstehe die ersten holländischen Zigaretten. Als ich heraustrete, schleicht mein blasses Weib vorüber und bricht bei meinem Anblick ohnmächtig zusammen. Da sie mich am Treffpunkt nicht gesehen hatte, glaubte sie mich von den beiden Herren abgefangen.

 

© Auszug aus dem Buch „Sie flohen vor dem Hakenkreuz“, Herausgeber Walter Zadek, erschienen 1984 im Rowohlt Taschenbuch Verlag


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