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Damals war’s …

 

 

Damals war’s …

 

Unter diesem Titel lief jahrelang erfolgreich eine Sendung im RIAS Berlin u.a. mit unserem ehemaligen Bewohner Ewald Wenck 

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Nach Kriegsende wurde Wenck in Deutschland vor allem durch seine Mitwirkung in dem RIAS-Rundfunkkabarett Die Insulaner sowie in den RIAS-Hörspielserien Pension Spreewitz und als Erzähler in Damals war’s – Geschichten aus dem alten Berlin populär. In 282 RIAS-Sendungen trat er danach ab dem 27. Januar 1970 als der älteste DJ der Welt in „Ewalds Schlagerparade“ (Autor: Michael Alex) bis zum 26. Januar 1981 auf, die er regelmäßig mit den Worten „Opi Dopi“ und „Hallo Fans, hier ist wieder Ewalds Schlagerparade – Eine moderne Hitsendung für reife Hörer“ moderierte.

 

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Wir möchten zu Ehren von „Opi Dopi“ und in Anbindung an die populären Sendungen des RIAS Berlin daran anknüpfen und Ihnen zukünftig monatlich einen Bewohner der historischen Künstler kolonie unter der Rubrik

 

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in Erinnerung rufen. Wenn Ihnen in diesem Zusammenhang selbst Erinnerungen einfallen melden Sie sich bitte bei uns damit wir dies mit einbinden können.

Ihre Kueko

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Kueko war dabei…Berlin in der Revolution 1918/19 Fotografie, Film, Unterhaltungskultur

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Im Museum für Fotografi ist noch bis Anfang März 2019 eine sehr interessante Foto-Sonderausstellung zu sehen die wir heute besucht haben.

 

Die Revolution im Winter und Frühjahr 1918/19 entschied sich in den Straßen der Reichshauptstadt Berlin. Mit Demonstrationen vor Reichstag und Schloss feierten die Berlinerinnen und Berliner am 9. November 1918 die Abdankung des Kaisers, im Zeitungsviertel wurden im Januar 1919 aus Druckpapierrollen die Barrikaden der Spartakisten gegen die anrückenden Regierungstruppen errichtet, über die Frankfurter Allee zog nach dem Ende der Kämpfe der große Trauerkondukt zum Friedhof in Friedrichsfelde. Mit dabei waren immer die Pressefotografen, die mit ihren großen Plattenkameras die Redner in der Menge, die Soldaten hinter den Maschinengewehren, die Plakatwagen der Parteien für die Wahlen zur Nationalversammlung sowie die zerstörten Häuser und verwüsteten Plätze aufnahmen. Doch gleichzeitig ging der Alltag in der Stadt weiter, besuchten die Menschen die vielen Kinos mit ihrem expandierendem Filmangebot, amüsierten sich in Revuen und Kabaretts, tanzten Two-Step und Foxtrott. Die Ausstellung im Museum für Fotografie zeigt gleichermaßen eine fotografische Bildgeschichte der Revolution in Berlin wie ein Panorama der Unterhaltungskultur dieser Monate.

Wir konnten diverse Künstler erkennen die später Gründungsmitglieder oder Bewohner der Berliner Künstlerkolonie waren.

Wer Interesse hat hier gibt es mehr informationen.

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Osterspaziergang 2019

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Wir laden ein zum

Osterspaziergang 2019

 

vom Breitenbachplatz zum Rüdesheimer Platz

Bildvergrößerung: 187. Kiezspaziergang am 08.07.2017 Kartenskizze
Bild: BA-CW, ML
 

Treffpunkt: Nördlicher Ausgang des U-Bahnhofs Breitenbachplatz auf der Mittelinsel vor dem Lateinamerika-Institut

Herzlich willkommen zu unserem Osterspaziergang 2019 ! Die Künstlerkolonie wird dieses Jahr 91 Jahre alt und zahlreiche darstellende Künstler und Künstlerinnen, Schriftsteller und Schriftstellerinnen haben hier gewohnt. 

 

Station 1: Breitenbachplatz

Bildvergrößerung: Start des Kiezspaziergangs am Breitenbachplatz
Bild: BA-CW, ML
Start des Kiezspaziergangs am Breitenbachplatz
 

Station 1: Breitenbachplatz / Herkunft des Namens
Wir stehen hier am nördlichen Ende des Breitenbachplatzes, der hauptsächlich zu Dahlem gehört. Von 1892 bis 1913 hieß er Rastatter Platz, nach der badischen Stadt Rastatt. Seinen heutigen Namen erhielt der Platz anlässlich der Eröffnung der U-Bahn-Linie nach Dahlem am 26.August 1913. Namensgeber war der – bei der Eröffnung anwesende – preußische Minister der öffentlichen Arbeiten Paul Justin von Breitenbach. Er hatte wesentlichen Anteil am Bau dieser Linie, die die Grundstückspreise bei der Verwertung der Königlichen Domäne Dahlem erheblich steigerte.

In den 70er-Jahren wurde der Platz durch die Betonrampe für die Stadtautobahn leider grundlegend geändert.

Bildvergrößerung: Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin
Bild: BA-CW, ML
Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin
 

Station 2: Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin / Ehemaliges Reichsknappschaftshaus

Der Backsteinbau vor uns wurde als Reichsknappschaftshaus 1930 im Auftrag der Reichsknappschaft in Berlin von Max Taut und Franz Hoffmann gebaut. 

Das Gebäude ist in Stahlskelettbauweise errichtet und hat eine mit Siegersdorfer Keramikplatten verkleidete Fassade. Das Skelett wurde mit Eisenklinkern ausgefacht und aus stereometrischen Baukörperteilen im Drei-Meter-Raster errichtet. Diese Bauweise war zu damaliger Zeit neu. Der Mittelteil des Gebäudes mit offener Vorhalle, Haupttreppe und großem Sitzungssaal treten als besondere Einheit aus dem übrigen Baukörper hervor. Die Rückfront bildet ein halbrundes verglastes Treppenhaus mit freischwingender Treppe.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Gebäude Schäden, die 1950 beseitigt wurden. Der große Sitzungssaal konnte dabei jedoch nicht mehr mit seinen ursprünglichen Verkleidungen aus Eichenholz in Bronzerahmen ausgestattet werden.

Bis 1970 befand sich die Filiale für wissenschaftliche, soziale und künstlerische Berufe des Arbeitsamts in dem Baukomplex, danach kurzzeitig das Musikarchiv der Deutschen Bibliothek. Seit den 70er-Jahren befindet sich in dem denkmalgeschützten Haus das Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin.

 

Station 2: Steinrückweg 7

Station 2.1: Gustav-Rickelt-Weg / Herkunft des Namens

Der Gustav-Rickelt-Weg ist nach dem Präsidenten der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger benannt, der maßgeblich an der Planung der Künstlerkolonie Wilmersdorf beteiligt war. Er wurde 1862 in Dortmund geboren und starb 1946 in Oberbayern. Rickelt war Schauspieler und Regisseur. In Berlin arbeitete er am Thaliatheater, Residenztheater, Schiller- und dem Lessingtheater.

Rickelts Fach waren Charakterfiguren, patriarchalische Väter und Würdenträger ebenso wie humorig-kauzige Typen.

Mehr als mit seiner Schauspieltätigkeit hat sich Gustav Rickelt einen Namen als engagierter Verfechter für die Rechte der Schauspieler gemacht. Als langjähriger Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger kämpfte Rickelt für die soziale Absicherung ebenso wie für eine angemessene tarifliche Entlohnung der Schauspieler. Außerdem förderte er in dieser Funktion die Gründung der Künstlerkolonie Wilmersdorf. Ziel war es, für Künstler*innen und Schriftsteller*innen preiswerten und komfortablen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Station 2.1: Steinrückweg / Herkunft des Namens

Der 1872 geborene Albert Steinrück begann als Maler, ehe er seine Berufung im Theater und Stummfilm fand. 1906 ging er zu Max Reinhardts Ensemble an das Deutsche Theater. Von 1908 bis 1920 war er am Hof- und Nationaltheater in München, wo er auch Regie führte und am Ende Schauspieldirektor war. Dabei spielte er unter anderem den Woyzeck in der Uraufführung des gleichnamigen Dramas von Georg Büchner am 8. November 1913. In den 1920er Jahren war er wieder an verschiedenen Bühnen in Berlin beschäftigt. Ab 1919 war Albert Steinrück auch beim Film tätig. 1929 sollte er in der Volksbühne Berlin den sterbenden Leo Tolstoi spielen und starb während der Proben.

Station 2.2: Steinrückweg 7 / Gedenktafel / Eva Kemlein

Am 25. August 2014 wurde für Eva Kemlein an ihrem ehemaligen Wohnhaus eine Gedenktafel angebracht. Darauf steht:

In diesem Haus lebte von 1952 bis zu ihrem Tode
EVA KEMLEIN
4. 8. 1909 – 8. 8. 2004
Fotografin

Die Fotojournalistin erhielt 1933 als Jüdin Berufsverbot. Als Zwangsarbeiterin entzog sie sich 1942 der Deportation durch ein Leben im Versteck und war im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv. Ab 1945 dokumentierte sie mit ihrer Kamera den Wiederaufbau Berlins und das Kulturleben in Ost und West Ihrer Leidenschaft, der Theaterfotografie, ging sie bis zuletzt nach

Eva Kemlein wurde 1909 als Eva Graupe in Charlottenburg geboren und starb 2004 in Berlin. Sie war eine wichtige Berliner Fotografin und Fotojournalistin.

Eva Kemlein war Tochter jüdischer Eltern. 1933 ging sie mit ihrem Mann nach Griechenland ins Exil. Sie lebten dort von ihren fotografischen Arbeiten. Herbert Kemlein schrieb dazu als Journalist Artikel für deutsche Zeitungen. Nach der Einführung der Nürnberger Rassegesetze erhielt Eva Kemlein Berufsverbot, und auch ihr Ehemann hatte auf Grund der Mischehe Probleme, seine Artikel bei deutschen Zeitungen abzusetzen. Eva Kemleins Vater schickte ihnen Geld, damit sie in Griechenland überleben konnten.

1937 wurde das Ehepaar dann völlig überraschend aus Griechenland ausgewiesen, und sie kehrten nach Berlin zurück. Herbert Kemlein ließ sich von seiner jüdischen Frau scheiden, um wieder arbeiten zu können, das hat Eva Kemlein ihrem Mann nie verziehen.

In dieser Zeit lernte Eva Kemlein den Schauspieler Werner Stein kennen. Kemlein als Jüdin und Werner Stein als politisch links stehender Schauspieler gingen in den Untergrund. Eva Kemlein machte bereits während des Krieges Aufnahmen z. B. im Siemenswerk, wo sie unentdeckt eine Arbeitsstelle am Fließband hatte. Beide überlebten den Krieg.

Im Mai 1945 zog sie mit ihrem Mann in den Steinrückweg 7. Kemlein und Stein beteiligten sich aktiv beim Aufbau eines neuen Kulturlebens im Ostteil der Stadt. Eva Kemlein dokumentierte in Tausenden von Bildern das Leben in der Trümmerstadt. Ihre ersten Bilder erschienen bereits Ende Mai 1945 in der neu gegründeten Berliner Zeitung. Die Anerkennung als „rassisch Verfolgte“ wurde ihr von West-Berliner Senat mit der Begründung verweigert: „Ihrem Antrag auf Anerkennung als rassisch Verfolgte konnte nicht entsprochen werden, da Sie als Bildreporterin für einen sowjetdeutschen Verlag im sowjetischen Sektor tätig sind.“

Durch ihren Mann und Ernst Busch, der auch hier wohnte, begann sie in Theatern zu fotografieren: So fotografierte 1945 die Aufräumarbeiten in den Ruinen des Deutschen Theaters durch das Ensemble oder den Aufbau des Berliner Ensembles, aber sie dokumentierte auch alle Inszenierungen Bertolt Brechts und machte sehr persönliche Fotos von u.a. Hanns Eisler und Ernst Busch. In den 1970er Jahren entstanden dann auch Aufnahmen am Schillertheater, Schlossparktheater und an der Schaubühne von Inszenierungen von Peter Stein. Sie fotografierte auch das Leben hier in der Künstlerkolonie.

Über 300.000 Negative verkaufte sie 1993 an das Berliner Stadtmuseum – darunter die Fotos vom Nachkriegsberlin sowie Fotos aus über 50 Jahren Berliner Theatergeschichte. Weitere Fotos und viele historische Bücher und anderes Material gab sie an das Archiv der Künstlerkolonie Berlin.

Wir gehen jetzt wieder zurück in die Kreuznacher Straße und treffen uns gleich vor der Hausnummer 52.

Station 3: Kreuznacher Straße 52

Station 3.1: Kreuznacher Straße / Herkunft des Namens
Die Kreuznacher Straße ist nach dem Kurort Bad Kreuznach an der Nahe benannt.

Station 3.2: Kreuznacher Straße 52 / Gedenktafel / Ernst Bloch

Hier lebte von 1931 bis 1933
ERNST BLOCH
8. 7. 1885 – 4. 8. 1977

Philosoph, begann hier sein Werk “Erbschaft dieser Zeit”. Seit 1933 im Exil, zuletzt in den USA, schrieb dort “Das Prinzip Hoffnung”. Seit 1949 Professor in Leipzig, wurde dort 1957  zwangsemerittiert. Seit 1961 Professor in Tübingen.

Ernst Bloch gehört zu den wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Sein Werk Das Prinzip Hoffnung wurde und wird immer noch weltweit rezipiert. Nach dem Scheitern der Sozialutopien im real existierenden Sozialismus setzte er sich mit dem Begriff Utopie und seiner Gültigkeit auch in unserer heutigen Zeit auseinander. Utopie ist für ihn kein konkreter Ort, sondern eher das menschliche Entwicklungspotenzial zu einem besseren Menschen und einer besseren Gesellschaft, auch christliches Gedankengut fließt in Blochs Theorien ein.

Station 3.3: Kreuznacher Straße 52 / Gedenktafel / Peter Huchel

Hier lebte von 1931 – 1933
PETER HUCHEL
3. 4. 1903 – 30. 4. 1981
Lyriker, Hörspielautor

Vertreter einer sozial und politisch geprägten Lyrik. 1949 bis zum erzwungenen Rücktritt 1962
Chefredakteur der Literaturzeitschrift “Sinn und Form”. Nach neun Jahren Isolation und Überwachung 1971 Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland.

Hier ein Gedicht von Peter Huchel:

Die See schreibt
in der Schrift der Algen
die letzte Seite des Logbuchs
auf salzige Felsen −
verleugne die Heimkehr,
sei unterwegs
auf Meeren mit stürzendem Himmelsstrich,
wo jeder Name verlorengeht.

DIE STERNENREUSE
Daß du noch schwebst, uralter Mond?
Als jung noch deine Scheibe schwebte,
hab ich an einem Fluß gewohnt,
wo nur das Wasser mit mir lebte.
Das Wasser schwoll, es war Gesang,
ich schöpfte und mein Atem lauschte,
wie es um Steine tönend sprang
und schäumend schoß und niederrauschte.

Zwei Felsen, wie betäubt von Ruß
und steil und schmal wie eine Schleuse,
umstanden damals noch den Fluß.
Im Wasser hing die Sternenreuse.
Ich hob die Reuse aus dem Spalt,
es flimmerten kristallne Räume,
es schwamm der Algen grüner Wald,
ich fischte Gold und flößte Träume.

O Schlucht der Welt, des Wassers Schwall
kam wie Gesang: war es mein Leben?
Damals sah ich im dunkeln All
ganz nah die Sternenreuse schweben.

Der Dichter Peter Huchel wurde 1903 in Lichterfelde geboren und starb 1981 in Staufen bei Freiburg im Breisgau. Er ließ sich 1931 in der Künstlerkolonie nieder, war aber schon vorher mit Ernst Bloch, Alfred Kantorowicz und Fritz Sternberg befreundet, bei letzteren wohnte er auch zeitweise. Seine frühe Lyrik war stark von der märkischen Landschaft geprägt.

1931 veröffentlichte er die Prosastudie Im Jahre 1930 über einen NS-Mitläufer aus dem Kleinbürgertum. Von 1934 bis 1940 war er Hörspielautor, dabei deutete sich bereits seine Fähigkeit an, Politisches in versteckten Zitaten zu verschlüsseln.

Ab 1945 arbeitete er beim Rundfunk der DDR. 1949 wurde er Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form, die auch heute noch von der inzwischen vereinigten Akademie der Künste herausgegeben wird. Anfang der 50er-Jahre wurde Huchel wegen seiner systemübergreifenden künstlerischen Konzeption für Sinn und Form angegriffen. Auf Druck von offizieller Seite wurde Huchel 1953 zur Kündigung seines Redaktionspostens genötigt, was nur durch die Intervention Bertolt Brechts verhindert werden konnte. Als sich nach Brechts Tod 1956 die Angriffe auf Huchel wieder verschärften und seine Arbeit bei Sinn und Form in immer größerem Ausmaß behindert wurde, sah er sich 1962 endgültig zum Rücktritt gezwungen.

1963 erhielt er den Fontane-Preis für den im selben Jahr im bundesdeutschen Fischer Verlag erschienenen Lyrikband Chausseen, Chausseen. Da er sich weigerte, diesen West-Berliner Preis abzulehnen, durfte er in der Folgezeit in der DDR weder publizieren noch reisen. Ab 1968 wurde auch die an ihn gerichtete Post konfisziert. Erst nach Interventionen der West-Berliner Akademie der Künste, der Präsidenten des Internationalen PEN-Zentrums und Heinrich Bölls wurde Huchel 1971 die Ausreise aus der DDR genehmigt.

Station 4: Kreuznacher Straße 48

Bildvergrößerung: Gedenktafel für Alfred Kantorowicz
Bild: BA-CW, ML
Gedenktafel für Alfred Kantorowicz
 

Station 4.1: Kreuznacher Straße 48 / Gedenktafel / Alfred Kantorowicz

In diesem Haus der ehemaligen Künstlerkolonie
lebte von 1931 bis 1933

ALFRED KANTOROWICZ
12. 8. 1899 – 27. 3. 1979

Literaturwissenschaftler und Schriftsteller, emigrierte 1933 über Frankreich in die USA. Mitbegründer der Exilorganisation “Schutzverband Deutscher Schriftsteller”, seit 1946 in Berlin (Ost), 1947 bis 1949 Herausgeber der Zeitschrift “Ost und West”, seit 1957 in der Bundesrepublik Deutschland.

Alfred Kantorowicz wurde 1899 in Berlin geboren und starb 1979 in Hamburg. Er war Jurist und Schriftsteller. Auch Kantorowicz war mit Ernst Bloch befreundet. Kantorowicz war vor 1933 Redakteur der Vossischen Zeitung, engagierte sich publizistisch gegen den aufkommenden Nationalsozialismus, trat 1931 in die KPD ein und musste 1933 vor den Nazis nach Frankreich flüchten. Er kämpfte weiter gegen den Nationalsozialismus und veröffentlichte Beiträge in zahllosen Zeitschriften. Zum ersten Jahrestag der Bücherverbrennung in Deutschland 1933, am 10. Mai 1934, gründete Kantorowicz in Paris eine „Bibliothek der verbrannten Bücher“ (Deutsche Freiheitsbibliothek), die von Alfred Kerr und Egon Erwin Kisch eröffnet wurde. Was in Deutschland verboten und verbrannt war, wurde in aller Welt gesammelt, bereits am Eröffnungstag zählte die Freiheitsbibliothek über 11.000 Bände. Sie wurde nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris zerstört.

Kantorowicz kämpfte auch im Spanischen Bürgerkrieg gegen das Francoregime. 1941 konnte Kantorowicz vor den Nazis in die USA flüchten.1946 kam er nach Deutschland zurück und gründete in Berlin die Zeitschrift Ost und West mit Beiträgen zu kulturellen und politischen Fragen der Zeit, die auf Druck der SED nach drei Jahren eingestellt wurde. Später wurde er Professor für neue deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin. Hier machte er sich einen Namen als Forscher der Exilliteratur. 1957 flüchtete er vor der drohenden Verhaftung nach Westdeutschland.

Die Zeit in der Künstlerkolonie nannte er später:

„ein ehrenhaftes Kapitel des Widerstandes freier, unabhängiger Geister gegen gewalttätige Diktatur – mit zweifach tragischem Ausgang: nach 1933 und nach 1945“.

Station 4.2: Stolpersteine für Erna Jezower und Ignaz Sebastian Jezower

 

HIER WOHNTE
ERNA JEZOWER
GEB. MÜNCHENBERG
JG.1888
DEPORTIERT 13.1. 1942
ERMORDET IN
RIGA

HIER WOHNTE
IGNAZ SEBASTIAN
JEZOWER
JG.1878
DEPORTIERT 13.1. 1942
ERMORDET IN
RIGA

Erna und Ignaz Sebastian Jezower lebten zusammen mit ihrer Tochter Veronika von 1931 bis 1939 in der Künstlerkolonie.

Station 5: Ludwig-Barnay-Platz

Station 5.1: Bonner Straße 2 / Gedenktafel / Helene Jacobs

In diesem Hause lebte von 1935 bis zu ihrem Tode die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus

HELENE JACOBS
25. 02. 1906 – 13. 08. 1993

Sie versteckte in ihrer Wohnung untergetauchte Juden und verhalf ihnen zur Flucht. Sie wurde von der Nazi-Justiz zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

Helene Jacobs ist uns bei unserem Kiezspaziergang im März schon einmal begegnet. Sie war von Oktober 1942 bis April 1945 im Frauengefängnis in der Kantstraße 79. Von Haus war sie Bankangestellte.

Gegenüber in der Bonner Straße 12 von Helene Jacobs ehemaligem Haus hängt eine Gedenktafel für Axel Eggebrecht.

Station 5.2: Bonner Straße 12 / Axel Eggebrecht

Hier lebte von 1931 – 1933

AXEL EGGEBRECHT
10. 1. 1899 – 11. 7. 1981

Schriftsteller und Journalist

In den 20er Jahren Mitarbeiter der “Weltbühne” und der “Literarischen Welt” Wegen seines radikaldemokratischen Engagements wurde er 1933 für einige Monate im KZ Hainwalde inhaftiert 1945 Mitbegründer des Nordwestdeutschen Rundfunks in Hamburg Kommentator und Hörspielautor des NDR

Eggebrecht arbeitete ab 1925 als Filmdramaturg und Regieassistent bei der UFA, bei Siegfried Jacobsohns Weltbühne und als Filmkritiker beim Berliner Tageblatt, außerdem schrieb Eggebrecht als freier Schriftsteller in der Literarischen Welt. 1933 war Eggebrecht für einige Monate im Konzentrationslager Hainewalde inhaftiert. Unter Decknamen schlug er sich nach seiner Freilassung in der Filmbranche als Drehbuchautor, Assistent und Kritiker durch. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, im Juni 1945, holten britische Besatzungsoffiziere Eggebrecht ins Funkhaus des vormaligen Reichssenders Hamburg. So gehörte Eggebrecht zu den Mitbegründern des im September 1945 ins Leben gerufenen Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) und war dort Abteilungsleiter. Als Journalist zählte Axel Eggebrecht zu den Pionieren des Radio-Features. Mit Peter von Zahn gründete Axel Eggebrecht 1946 die Nordwestdeutschen Hefte, deren Mitherausgeber er bis 1948 war. 1963 bis 1965 berichtete er über den Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main. Eggebrecht wurde 1965 Mitglied des PEN-Clubs Deutschland und war von 1972 an dessen Vizepräsident. Er schrieb Gedichte, Romane, Hörspiele, Filme und Essays.

Und am Haus daneben hängt die Gedenktafel für Ernst Busch.

Station 5.3: Bonner Straße 11 / Ernst Busch

Hier lebte von 1931 bis 1933
und von 1945 – 1946
ERNST BUSCH
22. 1. 1900 – 8. 6. 1980

Schauspieler und Regisseur, Sänger politischer Lieder: “Barrikaden-Tauber” Emigrierte 1933. Von 1943 bis 1945 in Gestapo-Haft. Seit 1950 Mitglied des “Berliner Ensemble”.

Ernst Busch wurde 1900 in Kiel geboren und starb 1980 in Berlin. Ab 1920 nahm Busch Schauspiel- und Gesangsunterricht und begann seine Karriere 1921 am Stadttheater Kiel. 1927 zog er nach Berlin, wo er an der Piscator-Bühne engagiert war und ab 1929 in der Künstlerkolonie wohnte. Ab 1928 trat er in Berlin an der Volksbühne, dem Theater der Arbeiter und der Piscator-Bühne in Stücken von Friedrich Wolf, Bertolt Brecht und Ernst Toller auf. In der Verfilmung der Dreigroschenoper von Georg Wilhelm Pabst spielte er den Moritatensänger und sang das bekannte Mackie-Messer-Lied.

Nach der Machtergreifung der NSDAP floh Busch über Holland, Belgien, die Schweiz, Österreich in die Sowjetunion, wo er für Radio Moskau arbeitete. 1937 reiste Busch nach Spanien, trat als Sänger bei den Internationalen Brigaden auf, gab Liederbücher heraus, nahm Schallplatten auf und hatte Radioauftritte. 1940 wurde er verhaftet und bis 1942 im südfranzösischen Gurs interniert. Bei seiner Flucht in die Schweiz wurde er erneut verhaftet und der Gestapo in Berlin ausgeliefert. Einem Todesurteil entkam er wegen einer schweren Kopfverletzung während der Luftangriffe im November 1943. Stattdessen wurde er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

Nach dem Krieg wohnte er wieder in der Künstlerkolonie, zog aber 1949 nach Ostberlin. Als Schauspieler trat er am Berliner Ensemble, dem Deutschen Theater und der Volksbühne auf.

Busch wurde auch als Interpret der Lieder von Hanns Eisler und internationaler Arbeiterlieder bekannt. Von 1963 bis 1975 spielte er in der Schallplattenreihe Aurora der Deutschen Akademie der Künste etwa 200 seiner Lieder ein. Er war Mitglied der Akademie der Künste.

Station 5.4: Ludwig-Barnay-Platz / Herkunft des Namens

Ludwig Barnay, der eigentlich Ludwig Weiß hieß, wurde 1842 in Budapest geboren und starb 1924 in Hannover. Barnay begann seine Schauspielkarriere mit 18 Jahren und ging kurze Zeit später ans Burgtheater nach Wien. Er setzte sich sehr für die Interessen der Schauspieler ein und gründete 1871 die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, die auch die Künstlerkolonie mitgegründet hat. Barnay war an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen engagiert und leitete auch mehrere Theater.

Bildvergrößerung: Herr Naumann und Herr Schütze neben dem Mahnmal für die politisch verfolgten der Künstlerkolonie
Bild: BA-CW, ML
Mahnmal für die politisch verfolgten der Künstlerkolonie

Station 5.5: Künstlerkolonie Wilmersdorf

1926 wurde das Areal zwischen der Laubenheimer Strasse und dem Breitenbachplatz von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger und dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller erworben. Ziel war es für die Mitglieder bezahlbaren und – im Gegensatz zu den Mietskasernen – angenehmen Wohnraum zu schaffen. Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Schauspieler*innen haben im Regelfall ja kein festes Einkommen und viele unter ihnen verdienen auch nicht so viel. Im Volksmund hieß die Künstlerkolonie deshalb auch Hungerburg.

Die Siedlung wurde von den Architekten Ernst und Günther Paulus entworfen. Sie orientierten sich an dem Konzept der “Rheinischen Siedlung”, die vor dem Ersten Weltkrieg in den Jahren 1911-15 um den Rüdesheimer Platz erbaut worden war. Es sollte eine “Gartenterrassenstadt” entstehen, die gemeinschaftliches Wohnen und Zusammenleben – auch durch die Anlage der Innenhöfe – fördern sollte. Am 30. April 1927 erfolgte die Grundsteinlegung durch den damaligen Präsidenten der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger Gustav Rickelt.

In der Planung von 1929 war noch ein vierter Block zum Breitenbachplatz hin vorgesehen, der einen Lesesaal als Kommunikationszentrum hätte erhalten sollen. Das Naziregime, dem die ganze Siedlung überhaupt suspekt war, hatte aber eine weitere Bebauung untersagt.

Der Publizist Axel Eggebrecht schrieb in seinen Erinnerungen Der halbe Weg – Zwischenbilanz einer Epoche von 1981:

Mir gelang es, eine sehr billige Wohnung in der Bonner Straße nahe dem Breitenbachplatz zugeteilt zu bekommen, in der ‘Künstlerkolonie’. Das war kein Worpswede, keine romantische Siedlung. Bühnengenossenschaft und Schriftstellerverband hatten für ihre Mitglieder drei ganz normale Häuseblocks gebaut, gerade noch rechtzeitig vor der Krise. Nun brachten viele Bewohner selbst die niedrigen Mieten nicht mehr auf, wie überall in Berlin drohten Exmittierungen, wie überall gab es dagegen Protestaufmärsche. Bei uns ähnelten sie eher Volksbelustigungen, hatten immer Erfolg. Und dabei zeigte sich schon ein Gemeinschaftsgeist, der in naher Zukunft eine wichtige Rolle spielen sollte.

Die Weltwirtschaftskrise führte gerade unter den Künstlern zu großer Arbeitslosigkeit; etwa 75 % der Bewohner waren zu dieser Zeit ohne Einkommen. Viele Bewohner konnten die Miete nicht mehr aufbringen, und die Wohnungsbaugesellschaft GEHAG strengte Zwangsräumungen an, die jedoch meist am solidarischen Widerstand in der Künstlerkolonie scheiterten. Um die Interessen der Mieter zu vertreten und Mietminderungen zu erreichen, wählten die Bewohner Mieterräte. Im Januar 1933 wurde tatsächlich eine Mietsenkung um acht Prozent erreicht, jedoch erhielten die drei Mieterräte die Kündigung ihrer Wohnungen. Zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr 1933 lebten etwa 300 Schriftsteller*innen und Künstler*innen in der Künstlerkolonie.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden viele Bewohner verfolgt und inhaftiert, wenn sie nicht rechtzeitig fliehen konnten, was ja aus den einzelnen bisher vorgetragenen Lebenswegen schon zu hören war. Erst 1952 ging die Künstlerkolonie, die 1933 der Reichskulturkammer zugeordnet wurde, zurück in den Besitz der GEHAG. Nach 1952 errichtete diese zwischen Steinrückweg und Breitenbachplatz auf der ehemaligen Erweiterungsfläche der Künstlerkolonie für einen vierten Wohnblock „moderne“ Neubauten, an denen wir eben vorbeigegangen sind. Diese verfolgten jedoch nicht den ursprünglichen Bauplan und können den Gemeinschaftsgeist der Kolonie architektonisch nicht mehr zum Ausdruck bringen.

Lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das schwere Schicksal der zahlreichen Bewohner der Künstlerkolonie „unsichtbar“. Erst in den 1980er Jahren wurde begonnen, Gedenktafeln an den Häusern anzubringen. 1988 wurde das Mahnmal hier auf dem Ludwig-Barnay-Platz aufgestellt. Es trägt eine Bronzeplatte mit der Inschrift „MAHNMAL, FÜR DIEPOLITISCH VERFOLGTEN DER KÜNSTLERKOLONIE.“

Viele aus der Künstlerkolonie vertriebenen Bewohner*innen kehrten nach dem Krieg zurück. Auch für Künstler der Nachkriegsgeneration besitzt die Künstlerkolonie, heute mehr aus Gründen der Historie als wegen preiswerten Wohnraums, wieder Anziehungskraft.

Im Jahr 1990 wurde die Gartenstadt am Südwestkorso unter Denkmalschutz gestellt. Diese beinhaltet auch die Künstlerkolonie, die etwa 20 % der Fläche ausmacht. Gut vier Jahre später wurde am 31. Dezember 1994 die Künstlerkolonie an die Veba (später Viterra, dann Deutschbau, Deutsche Annington, heute Vonovia) verkauft. Die Interessen der heutigen Mieter vertritt ein Mieterbeirat.

Bei dem Begriff Künstlerkolonie assoziiert man allgemein eine kleine Gemeinschaft von Künstlern, wie z.B. in Ahrenshoop oder anderswo. Unsere Künstlerkolonie hier in Wilmersdorf ist hingegen etwas völlig anderes und international einmalig!

Es handelt sich um diese Wohnanlage hier um den Ludwig-Barnay-Platz, zu welcher Ende der 1920er Jahre 632 Wohnungen und Ateliers fertig gestellt waren und nach dem 2. Weltkrieg, Ende der 50er Jahre, die Neubauten am Zipfel zum Breitenbachplatz hinzu kamen. Insgesamt handelt es damit um knapp 700 Wohnungen, die einst von der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) und dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller mit einer eigens gegründeten Wohnungsgesellschaft für ihre Mitglieder gebaut wurden.

Zu dieser Zeit gibt es eine Besonderheit einzufügen: Aus der Inflation 1923 konnten sich fast alle Immobilieneigentümer zu ihren Hypotheken entschulden, woraufhin seinerzeit im Deutschen Reich eine Sondersteuer zum dringend nötigen Wohnungsbau eingeführt wurde, – die sogenannte Mietzinssteuer auf alle Kaltmieten der Vorkriegsbauten. In Berlin ging das in einen Sicherheitsfonds ein zur Absicherung von Hypothekenkrediten, womit die meisten der heute als Altneubauten bezeichneten Wohnungen Berlins errichtet wurden. Ich erwähne das so gerne, weil ich denke, das wäre vielleicht auch heute eine Möglichkeit der Mietspekulation zu begegnen, wie damals schon erfolgreich.

Wir gehen davon aus, dass damals vermutlich durchschnittlich mindestens 4 Personen in einer Wohnung wohnten. Also in knapp 700 Wohnungen mal durchschnittlich 4 Personen, und bis heute über 4-5 Generationen gerechnet, gehen wir von wahrscheinlich etwa zehntausend Künstlerinnen und Künstlern, die mit ihren Familienangehörigen hier wohnten und vielfach noch immer hier wohnen. Diese Quantität künstlerischer Nachbarschaft blieb weltweit einmalig und sollte nach unserer Ansicht möglichst weitgehend erhalten bleiben.

Das ist durchaus nicht einfach, denn bereits im Januar 1933, unmittelbar nach der sogenannten Machtergreifung der Nazis stürmte die SA mit Unterstützung preußischer Hilfspolizisten hier viele Wohnungen und verhaftete viele Künstler*innen, die ins Konzentrationslager Oranienburg verschleppt wurden. Andere konnten rechtzeitig mit Hilfe von Freunden und Nachbarn flüchten. Bis Ende des Jahres 1933 wurde die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger in die Reichskulturkammer eingegliedert und die Immobilien der Künstlerkolonie kamen zur Goebbels-Stiftung. Wir haben es der Umsicht des damaligen GDBA-Vorsitzenden zu danken, dass er die diesbezügliche grundbuchamtliche Eintragung bis zum Kriegsende verschleppte. Doch gab es in dieser Zeit auch neue Bewohner aus dem Kreis des NSDAP-Umfeldes.

Hierzu gilt es noch ein historisches Kuriosum sehr eigener Art anzufügen: Mit der Weltwirtschaftskrise 1933 brach auch der Sicherheitsfonds zu Wohnungsneubauten zusammen. Daraus konnte der Zipfel der Künstlerkolonie zum Breitenbachplatz dann nicht mehr bebaut werden. Auch viele damals noch im Bau befindliche Häuser um unsere Künstlerkolonie herum blieben unfertig. In den Bauruinen spielten die Künstlerkoloniekinder, bis die Dielen und Balken als Brennmaterial benutzt wurden. Wer heute hier spazieren geht, achte deshalb auf die neben dem Hauseingang angebrachten Schilder des Nachkriegswiederaufbaus. Das sind die Häuser, die erst Anfang 1950 fertig gestellt wurden.

Aus den oben genannten Umständen konnte 1945 die wiedererrichtete GDBA ihren Anspruch auf unsere Künstlerkolonie wieder geltend machen, während der Schutzverband Deutscher Schriftsteller ausschied. Doch folgte schnell die politische Forderung, die damaligen Freiflächen zum Breitenbachplatz neu zu bebauen. Doch dazu fehlte der GDBA das Geld. Nach langen Verhandlungen übergab die GDBA diese Immobile einer kommunalen Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft, – allerdings mit einer einmaligen Klausel, nach der jede frei werdende Wohnung der GDBA zu melden sei und nur wenn diese keinen Nachfolger aus ihrem Mitgliederbestand vorschlagen konnte, durfte diese Wohnung auch an andere vermietet werden. Inzwischen wurde die Immobilie mehrmals verkauft und gehört heute zur Vonovia, – doch diese alte Klausel gilt noch immer.

So blieb die Nachbarschaft aus unterschiedlichen Künstlern erhalten. Doch nach dem Mauerbau gab es dann kaum noch Engagements für Künstler*innen im damaligen Westberlin, viele zogen nach Westdeutschland und immer öfter wurden Wohnungen an Nicht-Künstler*innen vermietet, während noch so manche alltäglich nach Ostberlin fuhren, um dort weiter zu arbeiten, wozu sie einen Dauerpassierschein hatten. Auch zu dieser kuriosen Situation wurde viel zu wenig berichtet.

Durch vermehrte neue Arbeitsmöglichkeiten für Künstler*innen in Westberlin und nachbarschaftlichen Verbindungen fanden sich Ende der 70er- und frühen 80er-Jahre wieder Künstler*innen, die auf die Bedeutung und Achtung solch eines einmaligen Wohnraum aufmerksam machen wollten. Ab 1985 konstituierte sich daraus unser Verein KünstlerKolonie Berlin e.V.

Nach dem Fall der Mauer gab es wieder viele Umschichtungen und Verwerfungen im Bereich der Engagements, – und bald stiegen die Mieten deutlich. So erhielt vor wenigen Jahren eine alte Künstlerin von der Agentur für Arbeit den Rat, sich doch eine billigere Wohnung am Stadtrand zu suchen. Eine andere ältere Künstlerkoloniebewohnerin wohnt z.B. im 3. Stock und wäre gerne in eine gerade frei gewordene Wohnung gleicher Größe im Parterre umgezogen, doch hätte das bedeutet ihren alten Mietvertrag aufzugeben und einen neuen einzugehen, der aber um 200 € teurer geworden wäre. Ein Bringedienst zum Einkaufen erwies sich als billiger, – was mir wenig vernünftig scheint.

Auf unsere Initiative hin steht diese, unsere Künstlerkolonie längst unter Denkmalschutz, was sich als gut und richtig erwies. Doch ein nachträglicher Einbau von Fahrstühlen entfällt damit.

Und lassen Sie mich nun abschließend bitte noch kurz etwas zu unserer Vereinsarbeit sagen: Zur Geschichte unserer Künstlerkolonie konnten wir bisher über 1300 Bilder, Presseberichte und Dokumente digital einspeichern, die wir mit vielen persönlichen Erinnerungsberichten und Fotos in eine historische Übersicht von 1926 bis heute einfügten. Es bleibt aber noch viel Material, was wir noch abzuarbeiten haben, bevor wir es in absehbarer Zeit als „große Ausgabe“ veröffentlichen können. Dazu trifft sich unsere Arbeitsgemeinschaft (AG) Dokumentation an jedem zweiten Sonntag eines Monats im Casino Sternstunde. Auch morgen ist wieder der zweite Sonntag im Monat, doch bitten wir alle hierzu unseren Stand auf dem Sommerfest auf dem Rüdesheimer Platz zu besuchen. Alles weitere dazu finden Sie bei uns dort. Dort können Sie bei Interesse auch Ihre Adresse hinterlassen, um zu unseren Kulturveranstaltungen eingeladen zu werden oder weitere Verabredungen zu finden.

Mit Ihrer und möglichst vieler anderer Unterstützung suchen wir einen besonderen Kiezschutz für diese, unsere Künstlerkolonie anzuregen, um auch weiterhin bei Neuvermietungen möglichst Künstler*innen zu berücksichtigen bzw. einzuwerben, damit diese weltweit einzigartige Wohnanlage mit ihrer historischen Situation weiter in die Zukunft getragen werden kann.

Station 5.6: Ludwig-Barnay-Platz 3 / Walter Hasenclever

Wir gehen nun auf der linken Seite des Ludwig-Barney-Platzes entlang in die Wetzlarer Straße und treffen uns wieder auf dem Bergheimer Platz in der Marienkirche. Auf dem Weg über den Ludwig-Barnay-Platz kommen Sie an einer Gedenktafel an dem Haus Nr. 3 vorbei, die Walter Hasenclever ehrt. Hasenclever war ein expressionistischer Dichter und Theaterschriftsteller. Auf der Gedenktafel steht:

Hier lebte von 1930 – 1932
WALTER HASENCLEVER
8. 7. 1890 – 21. 6. 1940

Lyriker, Dramatiker, Repräsentant der expressionistischen Literatur-Revolte: “Der Sohn”  (1914). 1917 Kleist-Preis. Kehrte Ende 1932 nicht mehr nach Deutschland zurück, blieb als Emigrant in Italien und Frankreich. Nahm sich aus Furcht vor der Auslieferung an die Gestapo im Internierungslager Les Milles das Leben.

Zwei Gedichte von Hasenclever: vortragen. Das erste entstand im Ersten Weltkrieg, als er durch das zerstörte Löwen in Belgien zog:

O Schreckensnacht Löwen, wir alle sind schuldig.
Gott floh aus den Kirchen der brennenden Stadt.
Kanäle verwesen, Abfluss der Toten.
Arme irre, verfallene Frau gräbt in den Scherben,
scharrt in den Kellern Verschüttete aus gequollenem Schrei.
Verbogene Straße lagern im Haufen der grauen Verwüstung.

1916 machte er sich daran, die Tragödie Antigone von Sophokles zu einem Antikriegsdrama umzugestalten. Antigone ruft darin aus:

Ich rede zu euch Witwen und Waisen,
die ihr heimkehrt in die einsamen Hütten,
wo die Seufzer der Erschlagenen
von den feuchten Steinen des Herdes
schrecken in euren Abendtraum:
Wollt ihr, dass eure Kinder,
überschrien von dem Ruhm des Schlachtrufs,
euer elendes Schicksal teilen?

Station 5.7: Ludwig-Barnay-Platz 2 / Hans Meyer-Hanno

Vor dem Haus Nr. 2 liegt ein Stolperstein für Hans Meyer-Hanno. Darauf steht:

HIER WOHNTE
HANS MEYER
HANNO
SCHAUSPIELER
GEB. 3. 6. 1906
ERMORDET
30. 4. 1945
BAUTZEN

Hans Meyer-Hanno wurde 1906 in Hannover geboren und starb 1945 im Zuchthaus in Bautzen. Er war Maler, Bühnenbildner, Musiker, Kabarettist und Schauspieler. Er war mit einer jüdischen Pianistin verheiratet.

Seine Laufbahn begann er als Theatermaler. Von 1931 bis 1933 gehörte das KPD-Mitglied Meyer-Hanno dem kommunistisch-proletarisch ausgerichteten Theaterkollektiv „Truppe 31“. Meyer-Hanno, der bereits als Kleinstdarsteller der UFA vor der Kamera ein wenig Erfahrungen mit dem Medium Film gesammelt hatte, konzentrierte sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Anfang 1933 auf die Arbeit beim zunächst noch nicht übermäßig politisierten Film, wo er eine große Anzahl von Nebenrollen, vor allem Berliner Typen – einfache Schupos oder kleine Gauner, auch in NS-Propagandafilmen – verkörperte. Außerdem arbeitete er häufig als Synchronsprecher bei deutschen Fassungen ausländischer Filme. Ab 1938 hatte er ein Festengagement am Schiller-Theater, wo er bis zu seiner Verhaftung blieb. Neben seiner Arbeit als Schauspieler lebte Meyer-Hanno als überzeugter Kommunist ein Doppelleben. Er nahm er aktiv an Widerstandsaktivitäten im Umfeld der „Roten Kapelle“ teil.

Meyer-Hanno wurde laut Aussage seines damals anwesenden Sohnes Andreas während eines Urlaubs auf einem Bauernhof im Salzkammergut verhaftet und nach Berlin verbracht. Meyer-Hanno stand auf einer Liste von Personen, die Flugblätter erhalten hatten und der Gestapo in die Hände gefallen war. Er konnte jedoch glaubhaft versichern, dass er keine Flugblätter hergestellt, sondern dieses Material lediglich der Gestapo nicht ausgehändigt hatte. Der Schauspieler wurde dennoch am 4. Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Bautzen zu verbüßen hatte. In den verbleibenden Kriegstagen als letztes Aufgebot gegen die anstürmende Rote Armee rekrutiert, versuchte Hans Meyer-Hanno bei der Aushebung von Schützengräben über eine Mauer zu klettern und zu entkommen und wurde dabei erschossen.

Station 5.8: Laubenheimer Straße 19 / Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V

Station 6: Bergheimer Platz

Station 6.1: Bergheimer Platz / Herkunft des Namens
Der Bergheimer Platz wurde nach der mittelalterlichen Stadt Bergheim im Rhein-Erft-Kreis in Nordrhein-Westfalen benannt.

Station 6.2: Laubacher Straße / Herkunft des Namens
Die Laubacher Straße ist nach einer hessischen Stadt in der Nähe des Vogelsberg benannt.

Bildvergrößerung: Pfarrer Scheele in der Pfarrkirche St. Marien
Bild: BA-CW, ML
Pfarrkirche St. Marien

Station 6.3: Pfarrkirche St. Marien

Die neoromanische katholische Pfarrkirche St. Marien wurde 1913 und 1914 von Christoph Hehl und Carl Kühn erbaut. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Aus der bauzeitlichen Ausstattung, die zu großen Teilen von Wilhelm Haverkamp stammt, ist nicht mehr viel erhalten. Der Altarraum wurde 1990 durch Paul Brandenburg neu gestaltet.

Im Jahr 2009 wurde die Pfarrgemeinde St. Marien mit der Gemeinde Heilig Kreuz zur Pfarrgemeinde Maria unter dem Kreuz zusammengeschlossen. Seitdem umfasst die Gemeinde die Berliner Ortsteile Wilmersdorf und Friedenau.

Seit November 1993 verfügt das Dekanat Wilmersdorf über eine Suppenküche für Obdachlose und Menschen mit geringem Einkommen. Die Räume für die Suppenküche stellt die Kirche St. Marien zur Verfügung. Getragen wird das Projekt vom Dekanatsrat Wilmersdorf mit finanzieller Unterstützung des Bezirksamtes. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen aus allen sechs Gemeinden des Dekanats sorgen für die Ausgabe von Essen und warmen Getränken. Ferner gibt es Duschen, eine Kleiderkammer und medizinische Versorgung. Das Essen wird von einer Firma geliefert. Die Suppenküche wird von ungefähr 50 bis 70 Personen besucht.

 

Station 7:  IBZ Internationales Begegnungszentrum der Wissenschaft e.V. Berlin

 

 

Station 8: Rüdesheimer Platz

Das sogenannte Rheingauviertel zwischen Laubacher und Binger Straße ist ein Versuch der ausgehenden Kaiserzeit, den Charakter englischer Gartenstädte mit großstädtischer Dichte zu verbinden. Der Plan zu einer einheitlichen Bebauung des Viertels stammt von 1906. Die viergeschossigen Mietshäuser sind in Anlehnung an den englischen Landhausstil erbaut. Vor allen Häusern befinden sich ansteigende Rasenvorgärten und in den Erdgeschossen Rankgerüste. 1909 erhielt der Platz seinen Namen. Straßennamen und Skulpturenschmuck beziehen sich auf das damals beliebte Reiseziel Rheingau. Mittelpunkt ist der Rüdesheimer Platz, auf dem wir uns nun befinden.

Seit 1967 gibt es von Mai bis September auf dem Rüdesheimer Platz den Rheingauer Weinbrunnen, somit liegen genau fünfzig Jahre hinter uns, was Sie heute mit uns feiern können. Auch im 51 Jahr werden an einem – für den Rheingau typischen– Weinprobierstand Wein und Sekt aus der Region ausgeschenkt.

Heute veranstaltet hier das Netzwerk am Rüdesheimer Platz, kurz Rüdi-Net e.V., jedes Jahr das Sommerfest. 

Die Rüdi-Net ist eine Vereinigung von verschiedenen Interessengruppen um den Rüdesheimer Platz herum, dazu gehören Einzelhandel, Dienstleister, Institutionen und Bürger. 


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Gedenken an Chris Gueffroy . Ein Stück Berliner Geschichte

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Gedenken an Chris Gueffroy 

22 Schüsse, einer ins Herz

Der 20-jährige Chris Gueffroy wurde als letzter DDR-Bürger bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer erschossen.

Sarah Borufka in Berliner Morgenpost, 06. Februar 2019

Berlin.  An diesem eisigen Januarmorgen, bei minus fünf Grad, geschieht an dieser im Winter wirklich tristen Stelle vor der Jacobs-Fabrik in Neukölln das, was Gedenkorte im besten Fall bewirken sollen: echtes Gedenken. Hier wurde vor 30 Jahren, in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989, Chris Gueffroy getötet, als letzter DDR-Bürger bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer erschossen. Heute erinnert eine rostbraune Stele am Ufer des Britzer Verbindungskanals an ihn.

Eine, die seine Geschichte immer wieder erzählt, ist Birgit Hillmer, die als Zeitzeugin Schulklassen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen führt und versucht, den Kindern und Jugendlichen das Ausmaß der Gräuel des DDR-Regimes bewusst zu machen. Doch wie gelingt es, jungen Menschen eine Zeit nahezubringen, die für sie längst graue Vergangenheit ist?

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Chris Gueffroy wurde nur 20 Jahre alt.
Foto: Peter Rondholz / ddp images/dapd

Hillmer, die wir an der Stele zum Fototermin treffen, hat mit den Jahren festgestellt: Chris Gueffroy, der mit nur 20 Jahren starb, weil er in Freiheit leben wollte, eignet sich schon allein wegen seines Alters, aber auch wegen seiner Motive als Identifikationsfigur für junge Menschen. „Wenn ich von ihm erzähle, begreifen die meisten Schüler, dass man sich nicht nur wegen Jeans und Bananen für eine Flucht entscheidet“, sagt sie. Die 58-Jährige hat eine forsche, unaufgeregte Art, die Dinge zu benennen. Auch nach 16 Jahren in Berlin hört man ihr die fränkische Herkunft noch deutlich an. Hillmer ist aufgewachsen in Sonneberg, im Süden Thüringens.

Außer uns ist hier an diesem Dienstagvormittag sonst niemand unterwegs – bis auf einen Spaziergänger mit Hund. Der Mann, der seit mehr als drei Jahrzehnten ganz in der Nähe wohnt, spricht uns an, und wenig später erzählt er von der Nacht, in der Gueffroy erschossen wurde. „Ich habe die Schüsse gehört und zu meiner Frau gesagt: Die haben bestimmt danebengeschossen, die schießen doch heute nicht mehr auf Menschen“, sagt er. Und so kommen der Anwohner und Birgit Hillmer ins Gespräch, reden über den Schießbefehl an der Mauer, über Gueffroy und das DDR-Regime. Und der Tod des jungen Mannes ist in diesem Moment nicht vergessen.

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Zeitzeugin Birgit Hillmer spricht mit Schülern über die DDR und berichtet auch von Chris Gueffroy. „Wenn ich von ihm erzähle, begreifen die meisten, dass man sich nicht nur wegen Jeans und Bananen für die Flucht entschied“, sagte sie.
Foto: Amin Akhtar

Seine Mutter hörte von

ihrer Wohnung die Schüsse

22 Mal schossen Grenzsoldaten am 5. Februar 1989, kurz vor Mitternacht, auf den 20-Jährigen, zwei Kugeln trafen ihn, eine davon zerriss seinen Herzmuskel. Auch Chris Gueffroys Mutter Karin hörte von ihrer Wohnung aus die Schüsse, die ihren Sohn töteten. Von seinem Tod erfuhr sie allerdings erst zwei Tage später. Nach Gueffroys Tod wurde der Schießbefehl an der Mauer aufgehoben, wenige Monate später fiel die Mauer, ein Umstand, der seinem Schicksal eine besondere Tragik verleiht.

Gueffroys Geschichte ist zeitlos. Es ist die eines jungen Mannes, der von einem Leben träumte, das größer ist als das, was er kennt. Der aber das Pech hatte, in einem Staat aufzuwachsen, in dem genau solche Träume unerwünscht sind. Gueffroy hat in Berlin die Sportschule des SC Dynamo besucht, war in seiner Jugend Leistungssportler, Turner. Als Jugendlicher ging er auf die Polytechnische Oberschule „Otto Buchwitz“. Nach der Schule weigerte er sich, eine Offizierslaufbahn bei der Nationalen Volksarmee (NVA) einzuschlagen. Das Abitur wurde ihm daraufhin verwehrt. So zerschlug sich auch sein Berufswunsch, Pilot zu werden. Stattdessen machte er eine Ausbildung zum Kellner im Flughafenhotel Schönefeld, bediente dort auch Gäste aus dem Westen, erhielt großzügiges Trinkgeld, mit dem er sich aber seinen Wunsch, in Freiheit zu leben, auch nicht kaufen konnte.

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Gegenüber der Stelle, wo Chris Gueffroy erschossen wurde, errichteten Menschen ein Holzkreuz zum Gedenken (l.). Heute erinnern eine Stele und auch die Chris-Gueffroy-Allee in Treptow an ihn.
Foto: Fotoreport-DB / dpa

Gueffroys Entscheidung zu fliehen reifte allmählich. Wie bestimmt man im Nachhinein den Punkt, an dem etwas gekippt ist, an dem die Angst vor der Flucht weniger schwer wog als die Sehnsucht nach Freiheit? Chris Gueffroys Mutter, die Medienauftritte meidet, sagte in einem ihrer seltenen Interview 2014 gegenüber der Zeitung „Die Welt“, ihr Sohn habe schon länger darüber nachgedacht zu fliehen. Als eine Freundin der Mutter in den Westen ausreiste, fragte Gueffroy sie: „Warum bleiben wir noch hier, wenn alle gehen?“ Ihren Einwand, dass sie beide niemanden im Westen kannten, schmetterte er ab. „Mutti, das reicht nicht fürs Leben: Arbeit, ein kleines Auto, Geld auf der Bank. Das ist zu wenig“, so zitierte ihn seine Mutter im Interview.

Zur Sehnsucht nach mehr Leben kam die Angst durch Schikanen seitens des Systems. Im Januar 1989 erfuhr Gueff­roy, dass er bis zum Mai zum Wehrdienst eingezogen werden soll. Gemeinsam mit seinem Freund Christian Gaudian schmiedete er einen konkreten Plan zu fliehen. Über die Mauer, rund zwei Kilometer von seiner Wohnung an der Südostallee in Treptow entfernt. Am Abend des 5. Februar machten sich die beiden Freunde gegen 21 Uhr auf. Eine Stunde lang versteckten sie sich in der Kleingartenkolonie „Harmonie“ nahe der Mauer in einem Schuppen, beobachteten die Grenzanlage. Schließlich, gegen 23.30 Uhr, verließen sie den Schuppen. Chris half seinem Freund per Räuberleiter auf die Hinterlandmauer, Gaudian zog ihn nach, als er oben saß.

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Chris Gueffroys Mutter (oben, 3.v.r.) erreichte, dass ihr Sohn nicht anonym begraben wurde, sondern beerdigt werden konnte – am 23. Februar 1989.
Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Gueffroy rechnete nicht damit, dass die Grenzsoldaten schießen. Ein Freund, der ebenfalls an der Grenze diente, hatte ihm erzählt, dass der Schießbefehl aufgehoben sei. Die beiden Männer machten sich über den Todesstreifen auf in Richtung Mauer, überwanden den Signalzaun, lösten um 23.39 Uhr einen Alarm aus. Sirenen heulten, Gueffroy und Gaudian wurden vom Flutlicht geblendet.

Grenzsoldaten eröffneten mit Kalaschnikows das Feuer auf die beiden jungen Männer, die immer noch versuchten, ein Metallgitter zu überwinden – das letzte Hindernis auf ihrem Weg in die Freiheit. Einer der Grenzer, Ingo H., war damals nur drei Jahre älter als Gueffroy. Er zielte aus 40 Meter Entfernung auf den jungen Mann, traf ihn erst am Fuß. Gueffroy hob die Hände, doch da durchschlug die zweite Kugel sein Herz. 15 Minuten nach Mitternacht war er tot, sein Freund Gaudian überlebte schwer verletzt. Er kam in der DDR in Haft, wurde sieben Monate später von der Bundesregierung freigekauft.

Gueffroys Mutter wurde nach dem Tod ihres Sohnes stundenlang verhört, die Staatssicherheit behauptete, er habe einen Anschlag auf eine militärische Einrichtung verübt. Da war seine Leiche schon eingeäschert worden. Später berichtete sie, sie sei in den Wochen nach dem Tod ihres Sohnes zu einer Form aufgelaufen, welche die Stasi sicher nicht von ihr erwartet hätte. So schaffte sie es, eine Bekannte nach West-Berlin zu schicken, die die Nachricht vom Tod ihres Sohnes an den Sender Freies Berlin (SFB) übergab. So kam es, dass, während die Zeitungen in Ost-Berlin schwiegen, der Tod von Chris Gueffroy in der „Abendschau“ des SFB vermeldet wurde. Gueffroy wurde nicht, wie andere Maueropfer, anonym begraben, sondern auf dem Friedhof Baumschulenweg im Beisein von 120 Menschen beigesetzt. Seine Mutter nannte es später „ihre kleine Rache“ an der DDR.

Die vier Soldaten erhaltenein Leistungsabzeichen

Die vier Soldaten, die an Gueffroys Tod beteiligt waren, erhielten ein Leistungsabzeichen und je 150 DDR-Mark Prämie. Nach der Wiedervereinigung wurde Gueff­roys Todesschütze 1991 in Berlin zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Bei diesem Prozess war die Mutter dabei, die Schützen vermieden den Blickkontakt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil später auf, verhängte eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.

„Was macht das mit einer Mutter, wenn die Mörder ihres Sohnes nur wenige Monate nach der Tat einfach so nach West-Berlin laufen können?“, fragt Birgit Hillmer. Es ist eine rhetorische Frage. Hillmer hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, gegen jede Art der DDR-Nostalgie auf die Barrikaden zu gehen. Dabei ist ihre eigene Rolle im damaligen Regime auch durchaus kritisierbar. Hillmer, Tochter einer Lehrerin und eines Ingenieurs, die beide „mehr als mitgelaufen sind“, wie sie selbst sagt, machte Abitur, wurde Lehrerin für Geschichte und Staatsbürgerkunde. Einer der zentralen Leitsätze der damaligen Arbeit an Schulen: „Schüler müssen zum Hass und zur Verachtung auf den imperialistischen Klassenfeind erzogen werden.“ Doch Hillmer glaubte nicht an das, was sie unterrichtete. „Aber das Studium abzubrechen, war auch keine Option. Jeder wusste, dass man danach kein zweites Studium machen durfte“, sagt sie. „Ich habe mich geschämt, wenn ich vor der Klasse stand und unterrichtete. Ich wusste, dass meine Schüler das, was ich sage, nicht glauben – und dass sie auch wissen, dass ich nicht daran glaube.“

Heute nennt sie die DDR eine „Erziehungsdiktatur“, hat ihre Rolle im Regime immer wieder kritisch hinterfragt, sich auf eigene Faust mit Pädagogik­seminaren fortgebildet und in den 90er-Jahren weiter als Lehrerin gearbeitet. Ihre leidenschaftliche Kritik am DDR-Regime und den einstigen Lehrmethoden brachte ihr an einer Schule in ihrer Heimat Thüringen im Kollegium einen Ruf als „Wendehals“ ein. Nach massivem Mobbing verließ sie das Gymnasium schließlich.

Als freie Mitarbeiterin der Gedenkstätte Hohenschönhausen sieht sie ihre Aufgabe auch darin, Schülern ein Verständnis für die Demokratie und das Privileg ihrer Freiheit zu vermitteln. „Den meisten ist zum Beispiel gar nicht klar, wie wenige von ihnen in der DDR überhaupt das Abitur machen und studieren konnten“, sagt sie. „Wie sehr der Erfolg und das eigene Leben von dem System und der eigenen Rolle darin abhing. Für die meisten ist das jedes Mal ein Aha-Moment.“

Gueffroys Tod jährt sich in diesem Jahr zum 30. Mal. Eine ganze Generation ist seitdem herangewachsen, die das Land, aus dem er fliehen wollte, gar nicht mehr kennt. Für die Freiheit ganz selbstverständlich ist, sagt Hillmer. Und die genau deshalb seine Geschichte kennen sollte.

Die DDR und der Schießbefehl an der Grenze

Mindestens 140 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer erschossen oder kamen unter anderen Umständen ums Leben, so die Gedenkstätte Berliner Mauer. An der gesamten innerdeutschen Grenze waren es mindestens 327, das ergab eine Studie der Bundesregierung im Jahr 2017. Über die genauen Zahlen wird noch immer geforscht – auch weil die DDR die Opfer nach Möglichkeit verheimlichte.

Auch über die Frage, ob es überhaupt einen Schießbefehl an der DDR-Grenze gab, wurde viel gestritten. Noch 2007 relativierten ihn Linke-Politiker wie etwa der damalige Parteichef Lothar Bisky, der in einem Interview sagte, er kenne kein entsprechendes Dokument. Nach Ende der DDR wurden jedoch immer mehr Quellen dafür bekannt.

Bereits am 22. August 1961, neun Tage nach dem Mauerbau, hatte Staatschef Walter Ulbricht gesagt: „Wer provoziert, auf den wird geschossen.“ 1974 zitierte ein Protokoll des Nationalen Verteidigungsrates den damaligen Staatschef Erich Honecker: „Nach wie vor muss von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden, und es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen.“

Erst unter dem Druck der politischen Veränderungen hob Honecker den Schießbefehl, der angeblich nie existiert hatte, Anfang April 1989 schließlich auf.

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