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Geschichte des 1. Mai: Vom Kampftag zum Feiertag

 

Born in the USA

Zum 100. Jahrestag des Sturms auf die Bastille trafen sich am 14. Juli 1889 400 Delegierte sozialistischer Parteien und Gewerkschaften aus zahlreichen Ländern zu einem internationalen Kongress in Paris. Die Versammelten produzierten, wie auf Kongressen auch damals schon üblich, eine Menge bedruckten Papiers, darunter eine Resolution des Franzosen Raymond Felix Lavigne, in der es hieß:

„Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen (…). In Anbetracht der Tatsache, dass eine solche Kundgebung bereits von dem amerikanischen Arbeiterbund (…) für den 1. Mai 1890 beschlossen worden ist, wird dieser Zeitpunkt als Tag der internationalen Kundgebung angenommen.“

Zunächst war keine Rede von einer Wiederholung oder gar einer Institutionalisierung als Feiertag. Es schien aber wie ein stillschweigendes Übereinkommen, dass die Arbeiterbewegungen der meisten Länder davon gleichwohl ausgingen. Wieso entschieden sich die amerikanischen Gewerkschaften für den 1. Mai?

Arbeitszeitverkürzung

Die Vorgeschichte begann zum Ende des Bürgerkriegs 1865, als die amerikanischen Gewerkschaften erstmals die Forderung nach der Einführung des Acht-Stunden-Tags erhoben. Bis in die 1860er Jahre galten in den meisten US-Betrieben Arbeitszeiten von elf bis 13 Stunden, erst dann konnten sie den Zehn-Stunden-Tag als Regelarbeitszeit durchsetzen. Es sollten weitere beinahe zwanzig Jahre vergehen, bis sie 1884 die allgemeine und verbindliche Durchsetzung einer täglich achtstündigen Arbeitszeit in Angriff nahmen. Sie beschlossen, am 1. Mai 1886 dafür einen mehrtägigen Generalstreik zu führen. Noch stand nicht der Termin, sondern die Forderung im Mittelpunkt.

 

Der Grund für die Terminwahl war ein völlig banaler und wenig zur Mythenbildung geeignet: Der 1. Mai galt in den USA traditionell als „Moving day“, als Stichtag für den Abschluss oder die Aufhebung von Verträgen, häufig verbunden mit Arbeitsplatz- und Wohnungswechsel. Der Acht- Stunden-Tag sollte in die neuen Verträge aufgenommen werden. Dafür traten am 1. Mai 1886 rund 400.000 Beschäftigte aus 11.000 Betrieben der USA in den Streik, aber nur für 20.000 Arbeiter konnte der Achtstundentag wirklich durchgesetzt werden. Diesen bescheidenen Erfolg überschatteten die Ereignisse in Chicago. Die Kundgebung am dortigen Haymarket endete in einem Desaster. Nach Darstellung der Polizei warfen Anarchisten eine Bombe auf die anwesenden Beamten, der sieben Polizisten zum Opfer fielen. Vier anarchistische Arbeiterführer wurden, obwohl keine Beteiligung am Anschlag nachgewiesen werden konnte, zum Tode verurteilt und gehenkt.

Der blutige Vorfall konnte den Kampf für den Acht-Stunden-Tag nur vorübergehend unterbrechen. Im Dezember 1888 erklärten die in St. Louis versammelten Gewerkschaftsdelegierten, unter ihnen zahlreiche deutschstämmige Einwanderer, am 1. Mai 1890 erneut Streiks und Kundgebungen durchzuführen. Die Bewegung war nicht auf die USA begrenzt, im selben Jahr forderten zum Beispiel auch die französischen Gewerkschaften die Einführung des Acht-Stunden-Tags.

 

Der 1. Mai im Deutschen Kaiserreich (1890-1918)

Der Beschluss des Pariser Kongresses, den Kampf um den Acht-Stunden-Tag als internationale Aktion zu führen, fiel mitten in die größte Streikwelle hinein, die das Deutsche Reich bis dahin erlebt hatte. Bis Dezember 1889 hatten 18 Gewerkschaften ihre Absicht erklärt, am kommenden 1. Mai zu streiken. Diese Erklärungen waren nicht unumstritten. Im Kaiserreich war die Streikneigung verglichen mit anderen Ländern eher gering. Das hatte nicht nur mit der Schwäche der Gewerkschaften oder dem kühleren Temperament des deutschen Michels zu tun. Als die Maifeier vorbereitet wurde, galt in Deutschland noch das Sozialistengesetz. Die sozialdemokratische Partei, der viele Gewerkschafter nahe standen, war zwar zu den Reichstagswahlen zugelassen, aber als Organisation verboten. Während der Vorsitzende August Bebel im Reichstag Reden hielt, musste die Parteizeitung Vorwärts in Schweizer Käse verpackt über die Grenze geschmuggelt werden.

Die Unternehmerverbände drohten für den Fall von Streiks am 1. Mai mit Aussperrungen, Entlassungen und Schwarzen Listen. Wer darauf geriet, brauchte sich in seiner Gegend um Arbeit nicht mehr zu bemühen. Nur wenige Unternehmer, wie der Fabrikant Heinrich Freese oder Ernst Abbe (Zeiss Jena), der 1900 den 1. Mai als bezahlten (zunächst halben) Feiertag einführte, waren um sozialen Ausgleich und Deeskalation des Klassenkonflikts bemüht. Sie nahmen es mit der Arbeitsruhe am 1. Mai nicht so genau oder feierten gar mit.

DGB ein Maienkind

 

Trotz drohender Sanktionen beteiligten sich am 1. Mai 1890 in Deutschland etwa 100.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an Streiks, Demonstrationen und sogenannten „Maispaziergängen“. Die regionalen Schwerpunkte bildeten Berlin und Dresden, aber auch Hamburg, wo es zu einem besonders erbitterten Arbeitskampf mit zeitweise 20.000 Beteiligten kam. Die Auseinandersetzungen zogen sich dort bis in den Spätsommer hin. Das war nur deshalb möglich, weil die Gewerkschaften die Aktionen an allen anderen Orten nach und nach aufgaben, um sich auf Hamburg konzentrieren zu können.

Es gelang ihnen zwar, das Koalitionsrecht zu sichern. Die im internationalen Vergleich bescheidene Forderung nach einem Neun-Stunden-Tag ließ sich jedoch nicht durchsetzen. Es blieb, wie in den meisten anderen kapitalistischen Ländern, zunächst bei zehn Stunden als Regelarbeitszeit. Ein „Nebenprodukt“ des Streiks resultierte aber aus der Erfahrung gemeinsamer Aktion. Sie bewog die Vertreter der Gewerkschaften zur Gründung eines Dachverbandes, der noch 1890 als „Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands“ unter Führung Carl Legiens in’s Leben trat: Die Geburtsstunde des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Die Sozialdemokratische Partei (SPD), gerade wieder zugelassen, beschloss auf ihrem Hallenser Parteitag im Oktober 1890, den 1. Mai als dauerhaften „Feiertag der Arbeiter“ einzuführen. Um der Provokation die Spitze zu nehmen, wollte sie von Arbeitsruhe dort absehen, wo sich ihr Hindernisse in den Weg stellten. Partei und Gewerkschaften machten den Aufruf zum Streik von der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Betriebs abhängig. Wo er nicht möglich war, sollten am ersten Maisonntag Umzüge und Feste im Freien stattfinden.

mit dem Ersten Weltkrieg brach die Sozialistische Internationale auseinander. Die SPD entschied sich wie ihre Schwesterparteien in den meisten anderen Ländern für ihr Vaterland und gegen Lohnbewegungen und Maikundgebungen. Die daraus resultierenden Konflikte zerrütteten die Familienverhältnisse in der Arbeiterbewegung. Auch die deutsche Sozialdemokratie zerbrach. Nach Kriegsende gab es zwei sozialdemokratische und eine kommunistische Partei (KPD), deren Vorläufer, der Spartakusbund, gegen den Krieg auftrat und bereits seit 1916 wieder zu Streiks und Maidemonstrationen aufrief.

Der 1. Mai verliert seine Unschuld (1919-1932)

Das Schicksal des 1. Mai und des Acht-Stunden-Tags in der Weimarer Republik war so wechselhaft, wie deren Geschichte. Der Rat der Volksbeauftragten, eine seit November 1918 amtierende kommissarische Revolutionsregierung aus SPD und Unabhängiger Sozialdemokratischer Partei (USPD), dekretierte als eine der ersten Amtshandlungen die Arbeitszeitverkürzung auf acht Stunden täglich. Den 1. Mai erklärte die Nationalversammlung im April 1919 zum gesetzlichen Feiertag. Das Gesetz war aber auf den 1. Mai 1919 begrenzt, die spätere Regelung sollte in eine internationale Lösung eingebunden werden und nach Friedensschluss und Verabschiedung der Verfassung erfolgen.

Versuche des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und der SPD, den Tag der Arbeit über 1919 hinaus als gesetzlichen Feiertag zu sichern, blieben vergeblich. Lediglich in den Ländern Braunschweig, Lübeck, Sachsen und Schaumburg-Lippe hatte er nach 1922 Bestand. Die bürgerlichen Parteien argumentierten, dass der Feiertag einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe nicht allgemein verbindlich für die ganze Gesellschaft sein könnte. Aus diesem Grund hatte die SPD 1919 bei den Verhandlungen in der Nationalversammlung dafür plädiert, aus dem Kampftag des Proletariats einen allgemeinen Volksfeiertag zu machen, um, so Reichsminister Eduard David (SPD), ihren Willen zur Klassenversöhnung zu dokumentieren. Viele Unternehmer begriffen Maifeiern aber nach wie vor als Provokation. So fielen die klassenkämpferischen Parolen im „Arbeitgeber“, dem Zentralorgan der Unternehmerverbände, auf fruchtbaren Boden: „Auch in der Republik gilt der 1. Mai der Propaganda des Umsturzes, der Beseitigung des Privateigentums und der Errichtung der proletarischen Diktatur. Gleichgültigkeit gegenüber der Maifeier bedeutet Kapitulation vor dem Marxismus.“ (zitiert nach Schuster 1991, S. 63.)

„Blutmai“ 1929

In der Arbeiterbewegung selbst war die Frage, ob und wie der 1. Mai zu begehen sei, sehr umstritten. Die christlichen Gewerkschaften, seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem eigenen interkonfessionellen Dachverband vertreten, lehnten die „marxistische Heerschau“ ab. Ansonsten waren sie aber kaum weniger streikbereit und traten aktiv für die Interessen der Arbeiter in Fragen der Arbeitszeit und des Arbeitsschutzes ein. Die Spaltung der sozialistischen Arbeiterbewegung zog auch die „Spaltung“ ihres höchsten Feiertags nach sich. Während die Kommunisten stärker den Kampfcharakter akzentuierten, begingen ihn die Sozialdemokraten eher als Festtag.

Einen traurigen Höhepunkt der Konflikte zwischen SPD und KPD bildete der 1. Mai 1929. Karl Zörgiebel, der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin, hatte wegen befürchteter Unruhen ein Demonstrationsverbot über die Stadt verhängt. Die KPD ignorierte das Verbot und veranstaltete Demonstrationen, in deren Verlauf es zu wilden Schießereien kam. Dabei wurden 28 Personen getötet, darunter auch völlig Unbeteiligte. Der Tag ging als „Blutmai“ in die Geschichte ein und steht symbolisch für die tiefe Zerrissenheit der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Aber es sollte noch schlimmer kommen.

„Tag der Nationalen Arbeit“ (1933-1945)

Der „Schwarze Freitag“, der New Yorker Börsenkrach vom Oktober 1929, zog die deutsche Wirtschaft tief in den Abgrund. Bis 1932 entwickelte sich ein Arbeitslosenheer von über sechs Millionen Menschen. Das entsprach einer Arbeitslosenquote von in der Spitze 33 Prozent – vor dem Hintergrund einer noch unzureichend entwickelten Arbeitslosenversicherung. Die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie waren bereits 1930 ausgehöhlt, seitdem vom Reichspräsidenten ernannte sogenannte „Präsidialkabinette“ auf der Grundlage von Notverordnungen an den parlamentarischen Mehrheiten vorbei regieren konnten.

Die Gewerkschaften, fast 44 Prozent ihrer Mitglieder waren arbeitslos, sahen sich in der Defensive. Ihre Vorstände wollten sich selbst dem Kabinett Hitler noch als unpolitische Fachvereine zur Vertretung ausschließlich beruflicher Interessen andienen. Der misstraute ihnen jedoch. Er brauchte sie auch nicht, wohl aber ihre Mitgliederbasis. Der Integration der Arbeiter in die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ maßen die Nationalsozialisten höchste Priorität zu, eine Schlüsselrolle hierbei sollte die Maifeier 1933 einnehmen. Mitte April 1933 notierte Goebbels in „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“: „Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet (…). Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns.“ Im April 1933 erklärte Hitler den 1. Mai zum „Feiertag der nationalen Arbeit“.

Tragische Fehleinschätzung

In ihren internen Lageeinschätzungen zu Beginn des NS-Regimes gingen die Gewerkschaftsführungen davon aus, dass nun etwas ähnliches zu erwarten sei, wie unter dem Sozialistengesetz. Sie glaubten immer noch, ihre Verbände als unpolitische berufsständische Organisationen durch eine, wie allgemein angenommen wurde, kurze Zeitspanne der NSDAP-Herrschaft lavieren zu können. Man rechnete mit „Schutzhaft“ und Zuchthausstrafen, zum Teil waren sie schon in Kraft und waren auch Gewerkschafter betroffen: Eine tragische Fehleinschätzung, wie sich schon am 2. Mai zeigte. Hitler ließ die Gewerkschaften zerschlagen, ihre Häuser von SA- und SS-Trupps besetzen und zahlreiche Funktionäre verhaften.

Der 1. Mai überlebte im Gegensatz zu seinen früheren Protagonisten die Hitlerzeit zweifellos auch deshalb, weil er dem Regime als hervorragende Kulisse für Paraden, Aufmärsche und Leistungsschauen der deutschen Industrie diente. Die pathetische Inszenierung von Massenauftritten haben die Nationalsozialisten zwar nicht erfunden, aber sie haben die, wie Walter Benjamin es nannte, Ästhetisierung der politischen Macht zu ungeahnten Höhepunkten weiterentwickelt. Die Usurpation des alten Feiertags der Arbeiterbewegung war sehr weitgehend, vollständig ist sie den Nationalsozialisten allerdings nie gelungen. Der 1. Mai war bis 1945 immer wieder Anlass für Aktionen von Oppositionellen. Sie traten mit symbolträchtigen, oft waghalsigen Aktionen an die Öffentlichkeit. Noch im Sommer 1933 fällten Unbekannte die von Hitler am 1. Mai auf dem Tempelhofer Feld in Berlin gepflanzte Eiche.

Feiern zwischen Trümmern (1946-1948)

1945 konnten an einigen von den alliierten Streitkräften bereits besetzten Orten die ersten freien Maifeiern seit 13 Jahren stattfinden, organisiert von überlebenden Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftern. Aber noch gab es an vielen Orten Kampfhandlungen, noch hatte die Wehrmacht nicht kapituliert. Diese Feiern fanden nur im kleinen Rahmen statt, denn die meisten Deutschen hatten anderes im Sinn, als Demonstrationen oder gar Streiks, die die Besatzer ohnehin nicht erlaubt hätten. Sie kämpften um das nackte Überleben, hungerten und hausten zwischen Trümmern.

Im April 1946 bestätigte der alliierte Kontrollrat den 1. Mai als Feiertag. Dennoch trauten die Besatzungsmächte den Deutschen immer noch nicht hundertprozentig, so durften auf Anordnung der amerikanischen Militärverwaltung bei den Umzügen keine Fahnen und Transparente mitgeführt werden. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) in der sowjetischen Zone hatte es da leichter, aber in einem Punkt glichen sich alle Maiumzüge in Deutschland und entsprachen dem Bild, das dem Berichterstatter des Weser-Kuriers auf der Bremer Maidemonstration auffiel: Männer in den Altersgruppen zwischen zwanzig und vierzig fehlten fast völlig. Wer nicht tot oder verwundet war, befand sich in Kriegsgefangenschaft oder irrte auf der Suche nach seinen Angehörigen quer durch Deutschland.

Bruch zwischen Ost und West

Die Entwicklung in Ost und West verlief bald in sehr unterschiedliche Richtungen, wie schon die Berliner Maikundgebungen 1946 deutlich zeigten. Die SPD in den westlichen Zonen der geteilten Stadt hatte sich im April der Zwangsvereinigung mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) erfolgreich widersetzt. Sie organisierte in den Bezirken Spandau, Neukölln und Schöneberg eigene Demonstrationen, alternativ zu der sehr stark von der SED dominierten Gesamtberliner Veranstaltung.

Dennoch hatten viele Berliner die Hoffnung noch nicht aufgegeben, bald wieder gemeinsame Kundgebungen durchführen zu können. Viele Deutsche hofften noch auf die Möglichkeit einer gesamtstaatlichen Entwicklung. Im Frühjahr 1948 war aber endgültig klar, dass es eine solche nicht mehr geben würde. Die ehemals verbündeten Siegermächte USA und UdSSR waren zu Feinden im „Kalten Krieg“ geworden und bezogen ihre jeweilige Besatzungszone fest in den eigenen Bündnisbereich mit ein.

Erster Mai in der DDR (1949-1989)

„Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei“ skandierten vor mehr als zehn Jahren unzufriedene DDR-bürger. Nicht lange davor war am 1. Mai 1989 noch die halbe DDR auf den Beinen und defilierte vor der Führung. Erich Honecker winkte gutgelaunt zurück und ließ sich von Jungen Pionieren Blumensträuße und Selbstgebasteltes überreichen.

Der 1. Mai war seit der Verabschiedung der ersten Verfassung der DDR 1949 staatlich garantierter Feiertag, nicht mehr Teil einer Gegenkultur und Gegenöffentlichkeit. Am 1. Mai 1951 zog man vom Ostberliner Lustgarten auf den einstigen Schlossplatz, der inzwischen auf die Namen von Marx und Engels umgetauft war und von nun an zum zentralen Kundgebungsplatz wurde. Anders als im Westen Deutschlands wurde der Tag der Arbeit zum staatlich verordneten Ritual, mit dem die Führung auch eine Verbesserung ihrer Legitimation erstrebte. Deutlich wurde das in dem Versuch, wirtschaftliche Erfolge herauszustellen. Die Arbeiter mussten geloben, mehr zu produzieren und besser zu arbeiten. Nicht mehr der Kampf um soziale und politische Rechte, sondern das Bemühen um wirtschaftlichen Fortschritt stand im Mittelpunkt der Kundgebungen

Militärparaden

Seit 1956 wurden die Ostberliner Maifeiern mit einer Militärparade nach sowjetischem Vorbild eröffnet. Der Aufmarsch der „gepanzerten Faust der Arbeiterklasse“ veränderte das äußere Bild der Maifeiern total. Die Partei- und Staatsführung nahm die Parade von der Balustrade des Volkskammergebäudes hoch über den Köpfen der ostdeutschen Bevölkerung ab. Erst nachdem USA und UdSSR den Kalten Krieg überwunden hatten, verzichtete die SED-führung ab 1977 auf das militärische Ritual. Die Ehrentribüne ließ sie absenken, so dass auch wieder ein engerer Kontakt mit der Bevölkerung möglich war und Hände geschüttelt werden konnten.

Mit solchen Gesten allein konnte die Entfremdung zwischen Volk und Führung in der DDR allerdings nicht überwunden werden. 1988 wurde die Maikundgebung deshalb zur geschlossenen Gesellschaft, denn aus Angst vor oppositionellen Spruchbändern und Demonstrationen ließ die Partei die Straßenzüge um die Karl-Marx-Allee großräumig von Kampfgruppen und FDJ abriegeln. Das Schauspiel wiederholte sich in ähnlicher Form am 1. Mai 1989, nur dass das offizielle Maikomittee diesmal mit Blick auf die Demokratisierungsbemühungen Gorbatschows in der Sowjetunion auf den üblichen Maigruß an alle „Bruderländer“ verzichtete.

Der 1. Mai in der Bundesrepublik (1949-1989)

Seit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) 1949 zeichnete der geschäftsführende Bundesvorstand für die Maifeiern verantwortlich und beschloss die Maiaufrufe und die zentralen Maiparolen. 1951 begründete er die Tradition, die politischen Kundgebungen mit kulturellen Veranstaltungen zu umrahmen. Aus einer zunächst schlichten Feierstunde entwickelte sich später eine Mairevue, auf der der DGB- Vorsitzende zwischen künstlerischen Darbietungen die gewerkschaftlichen Forderungen erläuterte. Diese Veranstaltungen wurden von den Rundfunkanstalten der ARD, später von den dritten Fernsehprogrammen übertragen bzw. in Ausschnitten gesendet.

Aber auch die Kulturveranstaltungen und die mediale Präsenz konnten nicht verhindern, dass sich seit Mitte der fünfziger Jahre ein deutlicher Trend zu sinkenden Teilnehmerzahlen einstellte. Selbst die Gewerkschaftsmitglieder begriffen den 1. Mai zunehmend weniger als Kampf- oder Feiertag der Arbeit, sondern vielmehr als Angebot zur individuellen Freizeitgestaltung. Der DGB versuchte, diesem Trend durch attraktive Massenveranstaltungen im Anschluss an die Kundgebungen entgegenzuwirken. Seit Ende der sechziger Jahre war tatsächlich wieder eine Zunahme zu verzeichnen. Das hing mit der Neugestaltung der Maifeiern, aber auch mit den verschlechterten gesamtwirtschaftlichen Eckdaten zusammen. 1966/67 brach die erste Nachkriegsrezession über die Bundesrepublik herein.

 
Neue soziale Bewegungen

Nicht nur wirtschaftlich und politisch, auch gesellschaftlich standen die Signale auf Veränderung, wie nicht zuletzt die Maifeiern in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren dokumentierten. Neben den Gewerkschaften führten auch andere Gruppen Kundgebungen durch oder chaotisierten die offiziellen DGB-Feiern: So geschehen 1977 in Hamburg und Frankfurt, aber auch in anderen Städten wie Bremen und Berlin, wo sie aufgrund oppositioneller Störmanöver mehrere Jahre nur noch im Saal stattfanden. Bis zu den achtziger Jahren gelang es aber nach und nach, die Kluft zwischen der „alten“ Arbeiterbewegung und den neuen sozialen Bewegungen zu verringern. Es wurde üblich, am 1. Mai erst zur DGB- Veranstaltung und anschließend zum alternativen Stadtteilfest zu gehen.

Der 1. Mai hatte von dieser Art Frühlingsknospen freilich wenig, denn der Trend zu rückläufigen Teilnehmerzahlen an den Kundgebungen setzte wieder ein. Anders als in früheren Zeiten gelang es dem DGB nicht mehr ohne weiteres, die sich verschärfenden Tarifauseinandersetzungen oder die Kampagnen für die 35-Stunden-Woche und gegen den Streikparagraphen 116 (Arbeitsförderungsgesetz) zu einer stärkeren Mobilisierung zu nutzen. Das Ende des 1. Mai, gleich ob als Kampf- oder als Feiertag der Arbeitnehmer, schien nahe. Auch innerhalb der Gewerkschaften sahen manche, wie die Ötv-Chefin Monika Wulff-Matthies, die einzige Überlebenschance in der Umwidmung in eine Art Volksfest für die ganze Familie.

Der 1. Mai im vereinten Deutschland

Volksfest, Kampftag oder Feiertag, diese Überlegungen gerieten schnell in den Hintergrund, als 1989/90 ganz andere Ereignisse die Aufmerksamkeit der Gewerkschaften in Anspruch nahmen. Beinahe über Nacht hatte sich mit dem Zusammenbruch des Sozialismus die Welt verändert. Dem DGB- Vorsitzenden Ernst Breit hielt 1990 vor dem Berliner Reichstag die erste freie gewerkschaftliche Mairede an ein gesamtdeutsches Publikum seit 1932, seit beinahe 60 Jahren. Zugleich handelte es sich um den 100. Jahrestag des 1. Mai, eine wahrhaft historische Situation vor passender Kulisse.

Zunächst bescherte die staatliche Einheit der (west-)deutschen Wirtschaft einen Boom. Mahnende Stimmen, dass die überhastete Einführung der Marktwirtschaft und der DM die Absatzmärkte der DDR-Industrie wegbrechen lassen würde, wischte Kanzler Helmut Kohl hinweg: In wenigen Jahren entstünden in den neuen Bundesländern „blühende Landschaften“. Wie sich bald zeigte, war der Gang zum Arbeitsamt das einzige, was vielen Ostdeutschen blühte. Nachdem der anfängliche Boom in eine Rezession umschlug, wurde deutlich, dass die ostdeutschen Länder über lange Jahre hinweg auf Hilfe aus dem Westen angewiesen sein würden.

Teilen verbindet

Vor diesem Hintergrund entschloss sich der DGB, den 1. Mai 1992 unter das Motto „Teilen verbindet“ zu stellen. Dieses Motto und die dahinter stehenden Gedanken stießen innerhalb der Gewerkschaften auf ein sehr geteiltes Echo. Viele Kritiker lehnten es als zu defensiv ab. Nach ihrer Meinung belastete die Bundesregierung die Arbeitnehmer mit den Kosten der Einheit im Vergleich zu Selbständigen unverhältnismäßig. Solidarisches Teilen sei Sache der gesamten Gesellschaft, nicht bloß einzelner Gruppen.

In den neunziger Jahren verfestigte sich für kritische Beobachter der Eindruck, als sei der Gedanke solidarischen Teilens völlig in den Hintergrund getreten. So nahm IG Metall-Chef Klaus Zwickel den 1. Mai 2000 zum Anlass, an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu erinnern und einzufordern, dass ihr ein höherer Stellenwert als dem Shareholder-Value eingeräumt wird. Papst Johannes Paul II. forderte, die Menschen müssten endlich wieder den ersten Platz in der Wertehierachie der Arbeitswelt einnehmen.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts stehen die Gewerkschaften vor großen Herausforderungen. Mit der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist das organisatorische Fundament für den Übergang von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft gelegt. Auch die Gewerkschaftsbewegung der Zukunft wird auf Symbole nicht verzichten können. Der Tag der Arbeit spielt hier eine wichtige Rolle.

Er bietet nach wie vor gute Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und Ansprache an ein breites Publikum. Das spricht nicht gegen seine Modernisierung. Phantasievolle Aktionen, wie die Schweriner Jobparade und der Berliner Inlineskater-Block vom 1. Mai 2000 können dabei helfen, die Ideen Raymond Felix Lavignes und seiner Mitstreiter auch nach über 110 Jahren an die nachfolgende Generation weiterzugeben.

Literaturauswahl zur Geschichte des  1. Mai

  • Udo Achten, Wenn ihr nur einig seid: Texte, Bilder und Lieder zum 1. Mai, Köln 1990.
  • Udo Achten/ Matthias Reichelt/ Reinhard Schulz, Mein Vaterland ist international. Internationale Illustrierte Geschichte des 1. Mai 1886 bis heute, Oberhausen 1986.
  • Horst Dieter Braun/ Claudia Reinhold/ Hanns-A. Schwarz (Hg.), Vergangene Zukunft. Mutationen eines Feiertags, Berlin 1991.
  • Dieter Fricke, Kleine Geschichte des Ersten Mai. Die Maifeier in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 1980.
  • Inge Marßolek (Hg.), 100 Jahre Zukunft. Zur Geschichte des 1. Mai, Frankfurt/M./Wien 1990.
  • Dieter Schuster, Zur Geschichte des 1. Mai in Deutschland, Düsseldorf 1991.

© www.dgb.de


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Che Guevara vom Breitenbachplatz

Manfred Maurenbrecher „Rotes Tuch“

 

Rente? Nö: „Rotes Tuch!“ So heißt das neue Album des Liedermachers Manfred Maurenbrecher. … Ein Hausbesuch.

von GUNDA BARTELS, in Der Tagesspiegel, 24.02.2015

 

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Viel zu verstimmt. Das Klavier dient Manfred Maurenbrecher, Jahrgang 1950, zum Aufstützen und zur Dekoration seines Wilmersdorfer…FOTO: KITTY KLEIST-HEINRICH
 

Jetzt, wo sie von selber kommen, da lässt er sie frei – die Lieder. Das sei ihm noch nie passiert, staunt Manfred Maurenbrecher. Einfach so am Klavier sitzen, nichts zwingen, nichts sollen, nichts wollen und dann einfach so ernten. Die Töne, die Worte. Nur noch aufschreiben, nichts mehr ändern, fertig. Zwei von rund sechshundert Liedern, die der Liedermacher in den letzten 35 Jahren geschrieben hat.

Beide – und das kann kein Zufall sein – sind zärtliche Balladen, das eine gar ein rollender Walzer, getränkt mit Gelassenheit und bildhaft aufgeladen mit ozeanischer Melancholie. Gesungen mehr wie Achim Reichel, getextet mehr wie Reinhard Mey. „Aufbruch“ heißt die eine, die andere „Ein anderes Blau“. Zu finden auf dem neuen Album „Rotes Tuch“, nach dem auch Maurenbrechers Liveprogramm mit Band heißt, das morgen im Mehringhoftheater Premiere feiert.

Die erste Strophe vom „Anderen Blau“ geht so: „Der Maler an der Reling,/ das Meer vor sich im Frühling, / malte es schmutzig grau./ Man fragte ihn: Fehlt Farbzeug?/ Er lachte nur: Was quält euch?/ Das ist ein andres Blau.“ Ein Lob der subjektiven Wahrnehmung, der individuellen Sicht. Poesie made by Maurenbrecher, der sich eigentlich viel lieber Geschichtenerzähler am Klavier statt Liedermacher nennt.

Er will sie freilassen, die Lieder

Auf „No Go“, seinem Album von 2013, hatte er sich seiner angestammten musikalischen Ausdrucksform gerade noch mal umfassend vergewissert und wurde dafür prompt mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Nun will er sie freilassen, die Lieder. Perspektivisch jedenfalls. „Wenn ich so richtig alt bin, will ich diese Form nicht mehr auf der Bühne erfüllen.“ Er habe immer den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch bewundert, wie der so ewig erzählen konnte. Und den Pianisten Friedrich Gulda, wie der von der Klassik kommend auf der Bühne losjazzte. Einfach noch mehr Musik machen, trotzdem das Wort nicht verlieren und beides auf der Bühne für sich stehen lassen, das könnte doch was sein. „Da will ich mal hinkommen.“ Er gestikuliert, er strahlt, dafür hat der vergnügte Mann scheint’s alle Zeit der Welt gepachtet. Im Mai wird Manfred Maurenbrecher 65 Jahre alt.

 

Geboren ist er in Wilmersdorf. Da wohnt er auch schon etliche Jahre wieder. In der Künstlerkolonie am Breitenbachplatz, die 1927 auf Initiative der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger und des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller entstand. Als preiswerter Wohnraum für brotlose Künstler und Denker. Die winterkahlen Bäume und Büsche lassen den Blick auf Gedenktafeln frei: Peter Huchel, Lyriker und Hörspielautor, Alfred Kantorowicz, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller, Ernst Bloch, Philosoph. Bei Manfred Maurenbrecher hängt keine am Haus. Da gebührt dem promovierten Germanisten unter den wichtigsten deutschen Songwritern die alleinige Deutungshoheit.

„Das hier ist der Überblick“, sagt er und deutet mit der Hand aus dem Wohnzimmerfenster im vierten Stock. Und in Ostbrandenburg, wo wir seit 1992 ein Häuschen auf dem Dorf haben, das ist das Dickicht.“ Da schaue man aus dem Fenster direkt in Blumen und Büsche.

Er liebt ellenlange, politische Poeme

Die grenzenlos geträumte und die von der Realität begrenzte Welt, das sind Maurenbrechers Pole. Auf „Rotes Tuch“ frönt er wieder der Disziplin, die er sich von seinen verehrten Musikerkollegen Bob Dylan, Woody Guthrie oder Franz Josef Degenhardt abgeschaut hat: ellenlange Poeme. „Reportagen“ nennt Maurenbrecher diese mit wenig musikalischer Ausmalung vorgetragenen Wortkaskaden. Nummern wie „Kiewer Runde“ oder „Wer hat, der kriegt“ beschreiben präzise beobachtet und ebenso getextet verrottete politische und gesellschaftliche Zustände.

Das ist „Spoken Word“. Das macht so nur Maurenbrecher, den die junge Berliner Lesebühnen-Szene in den Neunzigern, als er die Reformbühne Heim & Welt mitgründete, ja auch prompt adoptierte. Eine für den Romanautor und Liederschreiber segensreiche Allianz, aus der die kabarettistischen Dauerbrenner „Mittwochsfazit“ und das jedes Jahr sieben Wochen hintereinander ausverkaufte „Jahresendzeitprogramm“ hervorgegangen sind.

Was es mit der Tenorblockflöte auf sich hat, die in seinem Arbeitszimmer steht? „Ich bin kein allzu schlechter Blockflötenspieler“, sagt er. Das heißt in seinem Sprech – ein guter. Auf dem Notenpult des E-Pianos steht ein Blatt mit einem noch unbetitelten Song über einen Shitstorm im Internet gleich neben Juli Zehs Roman „Die Stille ist ein Geräusch“. Eine Feststellung, die Maurenbrecher blind unterschreiben kann. Die Kombi hat aber weiter nichts zu bedeuten. „Ich vertone das Buch nicht, ich lese es nur.“

Was er dagegen gerade vertont, ist das Leben von Pete Seeger. Zumindest ein Teil davon. „Wie er in der McCarthy-Zeit von Berufsverbot bedroht war und das listig überwunden hat.“ Zusammen mit seinem Freund Diether Dehm, der für die gelegentlich vom „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“-Marxisten Maurenbrecher unterstützte Partei Die Linke im Bundestag sitzt. In Bonn soll das Musical rauskommen. Dieses Jahres noch. Was bei dem Roman, den Maurenbrecher gerade in der Mache hat, noch nicht ausgemacht ist. So leicht die Lieder zu ihm kommen, so sehr ringt er mit dem Literatendasein.

Das Handy klingelt. Schon zum zweiten Mal. Immer dieselben Anfangsakkorde. „Ein Song von der vorletzten Dylan-Platte.“ Maurenbrecher ist stolz auf den Klingelton. Er hat lange dran gebastelt. Den Song digital geschnitten, den Ton aufs Telefon gespielt. Das hätte man nun nicht geglaubt, dass er sich mit so was abgibt. Seeger ja, aber Techniktüftelei? So als Anhänger des gestrigen Kunstformats CD. Von „Rotes Tuch“ wird er wohl dreitausend Exemplare verkaufen, in den Achtzigern waren es fünfstellige Stückzahlen. „Mein Sohn ist 25, der hat zu Hause drei CDs.“ Maurenbrecher lächelt. Er tritt auf, er schreibt, er kommt zurecht. Der Titelsong „Rotes Tuch“ sei schließlich ein Plädoyer fürs riskante Leben, sagt er. Ordnung könne man eh keine herstellen, dann lieber angreifen. Das Albumcover ziert sein Konterfei, ironisch stilisiert, als Che Guevara vom Breitenbachplatz.

© Der Tagesspiegel


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Im Schatten des Betonmonsters – Kiezspaziergang mit Manfred Maurenbrecher in Der Tagesspiegel

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Der Liedermacher und Autor ist am Breitenbachplatz heimisch.

Er vermisst Cafés, bangt um die Post – und was denkt er über die Autobahnbrücke?

von CAY DOBBERKE in Der Tagesspiegel, 25.02.2018

 

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Manfred Maurenbrecher beim Kiezspaziergang am Breitenbachplatz.FOTO: AGNIESZKA BUDEK

 

Den Verkehrslärm von der neuerdings wieder stark umstrittenen Autobahnbrücke am Breitenbachplatz findet Manfred Maurenbrecher „nicht so dramatisch“. Er höre davon so gut wie nichts in seiner Wohnung in der benachbarten Künstlerkolonie Wilmersdorf, sagt der Liedermacher und Autor.

Der heute 67-Jährige ist dort aufgewachsen. Im Alter von 20 Jahren zog er aus – kehrte aber ein Vierteljahrhundert später nach dem Tod seiner Eltern in deren Vier-Zimmer-Wohnung zurück, zusammen mit seiner Frau Kristjane und seinem (inzwischen erwachsenen) Sohn. Über die Künstlerkolonie hat er sogar ein Buch geschrieben, das 2016 im bebra-Verlag erschienen ist.

„Ich würde auf das Losbrausen verzichten“

Sollte die Brücke der Stadtautobahn am Breitenbachplatz abgerissen werden? Die Diskussion darüber ist aktuell geworden, seit sich die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf einstimmig dafür ausgesprochen hat. Im Nachbarbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, zu dem Teile des Platzes gehören, haben die Grünen einen wortgleichen BVV-Antrag gestellt.

Manfred Maurenbrecher ist hin- und hergerissen. Auf der einen Seite stört es ihn, dass „die olle Brücke“ den Platz zerschneidet. Der „monströse“ Betonbau aus den 1970er Jahren sei in einer Ära entstanden, in der sich Stadtplaner in Ost- und West-Berlin nach dem Mauerbau „wohl nur wenig an planerischer Willkür nahmen“. Den Bürgern sei trotz ihrer Proteste letztlich „keine Gegenwehr“ geblieben.

Andererseits genießt es Maurenbrecher, wie er in seinem Buch schreibt, über die Autobahnzufahrt „aus der Gegend raus in den Norden zu brausen“. Beim Spaziergang durch den Kiez fügt er dann aber hinzu: „Natürlich würde ich die Rekonstruktion des historischen Platzes begrüßen und dann auf das Losbrausen verzichten.“

Etwas ambivalent ist auch das Verhältnis des Musikers zum ganzen Kiez. Diesen findet er „ein bisschen spießig“, aber auch freundlich und gemütlich. Der heutige Vermieter der rund 90 Jahre alten Künstlerkolonie, das Wohnungsunternehmen Vonovia, „bemüht sich“ und agiere nicht als rücksichtslose „Heuschrecke“.

Seit dem Sommer 2017 sei endlich auch das Grünflächenamt Charlottenburg-Wilmersdorf „wieder aktiver“. Zuvor allerdings habe es den Ludwig-Barnay-Platz in der Mitte der Künstlerkolonie, der nach einem der Gründer der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger benannt ist, lange verwahrlosen lassen.

Vom „Fluch des ständigen Wechsels“

An Treffpunkten für die Anwohner mangelt es. „Erstaunlich ist, dass es hier kein einziges Café gibt“, sagt Maurenbrecher. „In meiner Jugend gab es Versuche, eines zu etablieren, die aber alle gescheitert sind.“ Für ihn und seine Frau ist das italienische Restaurant „Piazza Michelangelo“ am Südwestkorso zum Stammlokal geworden.

Den Nachbarn begegnen beide oft auch in der kleinen Einkaufszeile „Läden der Künstlerkolonie“ zwischen dem Südwestkorso und der Kreuznacher Straße. „Das Reisebüro hier gibt es seit meiner Kindheit.“ Der dortige Supermarkt habe mal bis Mitternacht öffnen wollen, erinnert sich Maurenbrecher. „Aber dann gab es Beschwerden.“ Anwohner befürchteten, dass trinkfreudige junge Leute und Alkoholiker bis spätnachts draußen herumlungern würden. Am Ende beließ es der Marktbetreiber bei den alten Verkaufszeiten.

Ebenso wie viele Nachbarn „bangen wir ums Postamt“, erzählt Maurenbrecher. Ständig gebe es Betriebsversammlungen in der Postbankfiliale an der Kreuznacher Straße, die Zukunft scheine ungewiss. Der Standort sei nicht zuletzt für Geldgeschäfte wichtig, nachdem andere Banken ihre Filialen im Kiez geschlossen und die Sparkasse ihren letzten Geldautomaten abgebaut habe.

Direkt am Breitenbachplatz stehen mehrere Läden und Lokale leer, Maurenbrecher spricht vom „Fluch des ständigen Wechsels“. Ein Beispiel dafür sind die einstigen Räumen des Jazzclubs „Eierschale“, der 1956 an der nordwestlichen Platzseite eröffnet hatte, aber 1977 wegen der hohen Miete an die Dahlemer Podbielskiallee umgezogen war.

Am alten Standort machte zuletzt im Frühjahr 2015 das „Grand Café Tomasa“ auf, schloss aber nur wenige Monate später wieder. Seitdem steht das Café leer, „trotz der schönen Dachterrasse“, an die sich Maurenbrecher gern erinnert. Er vermisst auch eine frühere Obsthandlung, die „etwas Besonders war“ und bedauert die Schließung des traditionsreichen Eisenwaren- und Haushaltswarenladens Weger nach 85 Jahren.

Unterdessen bliebt Manfred Maurenbrecher selbst auf der Erfolgsspur. Soeben erhielt er zum dritten Mal den „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ in der Kategorie Liedermacher – diesmal für sein Album „flüchtig“, das im Oktober erschien und vom Unterwegssein handelt. Die Jury aus deutschen, österreichischen und schweizerischen Musikjournalisten hatte zuvor bereits seine Alben „no go“ (2013) und „Rotes Tuch“ (2015) ausgezeichnet.

© Der Tagesspiegel


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Studie: Künstler sind arm wie Kirchenmäuse

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Die neue IFSE-Studie beschäftigt sich mit der Situation Berliner Künstler. Den meisten droht Altersarmut.

Ein Überblick.

Gabriela Walde in Berliner Morgenpost 25.04.2018
 

Berlin. Der Kultursenator wird sich kaum freuen, wenn er die Zahlen auf seinen Tisch bekommt. Gleich zu Anfang seiner Amtszeit hat er klargemacht, dass ihm die Förderung freier Künstler eine Herzensangelegenheit ist. Zumal Berlin sein Image als quirlige und international beliebte Kunst-Hauptstadt halten will. Dass die Mieten steigen, die Räume weniger werden, ist nicht zu übersehen. Die Zahlen werden Klaus Lederer erschrecken. Berlins Künstler sind nämlich arm wie Kirchenmäuse: Männer verdienen durchschnittlich im Jahr etwas mehr als 11.000 Euro, der Verdienst der Frauen beträgt nur 8390 Euro – brutto. Der Unterschied beträgt 28 Prozent.

Für 80 Prozent der etwa 8000 Künstler in der Stadt bedeutet Kunst ein Verlustgeschäft, sie schlagen sich mit zahlreichen Nebenjobs oder mit Hilfe von Freunden durch. Zehn Prozent leben sogar zu mehr als 50 Prozent von staatlicher Unterstützung. Die wirtschaftlich unsichere Situation spüren besonders Frauen, die verdienen weniger und tragen den Hauptteil der Kindererziehung. Für viele Künstlerinnen schließen sich daher Kind und Familie aus.

Künstlern droht Altersarmut

Der GAU aber kommt im Alter: Da droht Altersarmut mit einer durchschnittlichen Rentenerwartung von 357 Euro. Da ist kaum ein Caffè Latte drin und vom Mythos des genialischen Künstlerpoeten bleibt nicht viel übrig. Das belegt die kompakte Studie vom Institut für Strategieentwicklung IFSE, die jetzt vorgestellt wurde und ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Situation der Berliner Künstler und Künstlerinnen wirft. Wer die 27 Din-A4-Seiten durchblättert, weiß, für diesen Beruf braucht man nicht nur Talent, sondern mindestens ebenso viel Durchhaltevermögen, Vermarktungswillen und Leidenschaft, um die Produktion im Atelier überhaupt über die Jahre durchzuziehen.

Eine Kärrnerarbeit, die das Team um Studienautor Hergen Wöbken mit ihrer Auswertung geleistet hat. Endlich liegen verlässliche Zahlen vor, die Lederer durchaus als Handlungsempfehlung für seine Arbeit verstehen darf. Die Studie gilt als repräsentativ, 1745 Künstler haben – im Alter von 18 bis 89 Jahren – daran teilgenommen. Per Mail angeschrieben wurden rund 8000 Künstler. Der Altersdurchschnitt liegt bei 47 Jahre. 75 Prozent haben einen deutschen Pass, einen Migrationshintergrund geben 17 Prozent von ihnen an. Die Qualität der 10.000 Textantworten habe ihn überrascht, erzählt Wöbken.

Künstlerinnen sind nach wie vor benachteiligt

Gegenüber ihren männlichen Kollegen sind die Künstlerinnen nach wie vor benachteiligt. Zwar studieren mehr Frauen Kunst an Akademien und Hochschulen, weit über 50 Prozent, doch im Galeriebetrieb sind viel weniger vertreten. Der Gender-Gap fällt besonders bei den Einzelausstellungen auf, bei den Männern liegt die Teilnahme um 22 Prozent höher als bei Frauen. Beim diesjährigen Gallery Weekend seien, so Wöbken, die Künstler stark überrepräsentiert, der „Gender Show Gap“, so hat er errechnet, liegt bei 40 Prozent. Wir werden nachrechnen!

Malerei ist mit 25 Prozent weiterhin das Genre Nummer eins, das in den Galerien gut verkauft wird, zu sehen auch während des Gallery Weekend. Es folgen Installation, Skulptur, Fotografie und Konzeptkunst mit nur acht Prozent. Nicht ganz so überraschend ist ein anderes Ergebnis: Für die meistens Künstler spielt das große kulturelle Angebot Berlins eine wichtige Rolle als Standort, vor allem aber die internationale Kunstszene. Der Name Berlin gehört mittlerweile zum Selbstverständnis einer Künstlervita. Im Vordergrund aber steht die Verfügbarkeit von Räumen und Nischen, die (noch) zahlbar sind.

Ateliers werden knapp

Das ändert sich derzeit mit den steigenden Mieten und der Gentrifizierung. Die größte Angst der Künstler ist, dass sie sich ihr Atelier nicht mehr leisten können. Kein Wunder, dass der hochpreisige Bezirk Prenzlauer Berg langsam seine Künstler verliert. Aus den ehemaligen Freiräumen sind Eigentumswohnungen geworden. Neukölln und Kreuzberg liegen dagegen weit vorne, ein Drittel lebt momentan in Kreuzkölln, Tendenz steigend. 400 Euro kostet die Miete derzeit durchschnittlich. Ein Anstieg von mittlerweile 23 Prozent.

Am Ende wird man sehen, welche Impulse so eine Studie für Berlins Kulturpolitik bedeutet. Arbeits- und Recherchestipendien helfen als eine Form temporärer Grundsicherung. Die Atelierförderung steht an erster Stelle, da ist der Lederer dran. Über vier Millionen Euro sind 2019 für den Ausbau von Arbeitsräumen vorgesehen, über eine Million mehr als noch in diesem Jahr.

„Am besten, die Künstler würden streiken“, ruft ein Mann hinauf aufs Podium von Hergen Wöbken. So richtig aber kann darüber niemand lachen.

© Berliner Morgenpost


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Die letzten Monate des Erich Mühsam

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Die letzten Monate des Erich Mühsam

von Manfred Gebhardt

 

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Vor knapp 85 Jahren, am 11. Juli 1934, meldete die faschistische Presse hämisch den Tod des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam. Was da in einer lapidaren 20-Zeilen-Notiz berichtet wurde, war wie so vieles in dieser Zeit eine Nazilüge, unwahr, hinterhältig und feige. So stand in der „Berliner Nachtausgabe“ zu lesen: „Der … Schriftsteller Erich Mühsam, der sich in Schutzhaft befand, hat seinem Leben durch Erhängen ein Ende gemacht.“ Nach eineinhalbjähriger Regierungszeit wagten die Hitlerfaschisten nicht, ihren Mord an dem ihnen verhaßten Schriftsteller einzugestehen, geschweige denn, sich zu ihm zu bekennen. Wie im Falle John Schehr und Genossen, wie zehn Jahre später bei der Ermordung Ernst Thälmanns, sollte die Öffentlichkeit getäuscht werden.

Erich Muehsam

 

Mitgliederversammlung mit Gästen des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller, Ortsgruppe Berlin, an. Zum Thema „Faschismus und Kulturnation“ sollte neben anderen auch Carl von Ossietzky sprechen. Für viele der Teilnehmer war es die letzte. Gelegenheit, öffentlich gegen das Hitlerregime zu protestieren. Die Stadt hallte wider von Schüssen und Gerüchten. Die Versammlung war mehr ein Abschiednehmen, eine letzte Begegnung mit Freunden, für die es ungewiß war, ob und wann sie einander wiedersehen würden. Auch für Erich Mühsam.

 

 

Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz

Mühsam wohnte Anfang 1933 in der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz in Berlin-Wilmersdorf. Das waren drei große Wohnblocks, in denen bis zum Machtantritt der Faschisten keine Hakenkreuzfahne aus einem Fenster. hing. Die hier wohnenden Antifaschisten, vorwiegend Künstler, Schriftsteller und Theaterleute, darunter viele Kommunisten wie Erich Weinert, Ernst Busch, Fritz Erpenbeck und Hedda Zinner, Gustav und Inge von Wangenheim, hatten der Kolonie den Namen „Der Rote Block“ eingetragen. Und Mühsam, der immer rebellierende Schriftsteller, war hier zu Hause.

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Mühsam mit seiner Frau Zenzl (1924)

 

An diesem Abend in den Kammersälen meldete auch er sich zu Wort. Am Vorstandstisch saßen Ludwig Renn und Carl von Ossietzky. Der unvergessene F. C. Weiskopf erinnerte sich später an Mühsams Auftreten. „Hemdsärmlig, die Krawatte verrutscht, die roten Haare in Unordnung sprach, gestikulierte, schrie er seine Empörung, seinen Haß gegen Krieg in den Saal hinein.“ Mühsam deutete mit einer großen Gebärde auf den Vorstandstisch. Seine Worte blieben vielen der Anwesenden im Gedächtnis: „Ich sage euch, daß wir, die wir hier versammelt sind, uns alle nicht wiedersehen. Wir sind eine Kompanie auf verlorenem Posten. Aber wenn wir hundertmal in den Gefängnissen des Dritten Reiches verrecken werden, so müssen wir heute noch die Wahrheit sagen, hinausrufen, daß wir protestieren.“

 

 

Die Nazis klingelten früh um Fünf…

Mühsam war ohne Illusionen in diesem Kampf gegen einen barbarischen Feind. Acht Tage später, am Morgen des 28. Februar, wollte er nach Prag fahren, um den antifaschistischen Widerstand vom Ausland aus fortzusetzen. Das Reisegeld hatte er zusammen, die Koffer waren gepackt. In dieser letzten Nacht, die er in Berlin bleiben wollte, konnte, brannte der Reichstag. Gegen fünf Uhr früh klingelten ihn zwei Kriminalbeamte aus dem Schlaf. Er stand weit oben auf der Liste der Faschisten, die den Brand gelegt hatten, um Rache an ihren Gegnern zu nehmen.

Von der Gestapo verhaftet

Klaus Mann erinnert, sich in seinem Buch „Der Wendepunkt“ an jene Tage:

„Zwischen einem Tango und einem Walzer erzählte man sich die neuesten Schreckensnachrichten aus Berlin. Wir tanzten im Regina-Palast-Hotel, während in der Hauptstadt das Reichstagsgebäude in Flammen stand. Wir tanzten im Hotel Vier Jahreszeiten, während die Brandstifter Unschuldige des Verbrechens bezichtigten, das sie begangen hatten. Das war am 28. Februar – Faschingsdienstag –, und tags darauf war Aschermittwoch. Als der Anarchist Erich Mühsam, der Pazifist Carl von Ossietzky und der Kommunist Ernst Thälmann von der Gestapo verhaftet wurden, kehrte man in München Luftschlangen und Konfetti von den Straßen. Man war verkatert. Der Fasching war vorüber.“

 

Mühsam wird noch in der Nacht mit Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch und vielen anderen ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebracht. In einem großen Kellerraum mit hunderten Verhafteten zusammengepfercht, verbringen sie die Nacht. Am nächsten Tag bringt man sie, vermutlich auch Mühsam, in ein Gefängnis nach Spandau, in sogenannte „Schutzhaft“.

Progrome, Plünderungen, Verhaftungen…

In einem Artikel in der „Weltbühne“ hatte Mühsam das alles schon im Dezember 1931 (Heft 50/31) vorausgesehen. Er schrieb, daß „nach längst fertigen Listen alle organisatorisch oder rednerisch tätigen Kräfte, alle der Führerschaft verdächtigen Personen verhaftet oder noch wirksamer beiseitegeschafft werden.“ Ja, er prophezeite in diesem Artikel: „Wenn der Tanz des Dritten Reiches losgeht“, daß dann „die Auflösung aller Arbeiterkoalitionen, standrechtliche Erschießungen, Pogrome; Plünderungen, Massenverhaftungen das Recht in Deutschland darstellen werden.“ Und er kommt zu dem Schluß: „Die einzige Kraft, die imstande wäre, Hitlers Machtergreifung zu verhindern, ist der verbundene Wille der vom Nationalismus nicht verwirrten deutschen Arbeiterschaft.“

Ein Mahner und Warner vor dem kommenden Krieg

Mühsam war kein Kommunist. Doch er gehörte zu denen, die unermüdlich die ‚Hintergründe imperialistischer Kriegspolitik aufdeckten. Seit er 1912 mit seinem Gedicht „An die Soldaten“ vor dem kommenden Krieg gewarnt hatte, blieb er ein Mahner, ein Kämpfer gegen den Krieg. Das brachte ihn, wie der österreichische Schriftsteller Bruno Frei schrieb, „ohne inneren Bruch zur Waffenbrüderschaft mit den Kommunisten“. In einem Gruß an Wilhelm Pieck, dem „lieben Genossen“…, steht der Satz: „Es lebe die Einheitsfront.“ Erich Weinert nannte ihn 1928 „einen der wichtigsten Vertreter der Literatur und Kunst, die dem Befreiungskampf der Arbeiter Ausdruck verleiht“. Das machte Mühsam, den Anarchisten und Pazifisten, zum Bündnispartner der revolutionären Arbeiterpartei, zu einem kritischen, aber verläßlichen Freund. Im Zorn beschimpfte er auch die Partei Thälmanns. Doch im Kampf gegen Krieg und Faschismus gab es zwischen ihm und den Kommunisten keine Differenzen.

Solidarität der Genossen

Da war seine Beziehung von Solidarität geprägt, was auch in seiner großen Arbeit für die Rote Hilfe deutlich wurde. Mühsam war explosiv, er sagte seine Meinung heftig und ohne Umschweife. Gegenüber den Genossen der KPD galt für ihn die Maxime: „Wenn ich mit euch einverstanden bin, dann stehe ich zu euch. Wenn ich nicht mit euch einverstanden bin, dann sage ich es.“ Darauf konnte man sich verlassen.

Der Leidensweg Erich Mühsams

Von Spandau aus begann im Frühjahr 1933 der 16monatige Leidensweg eines großen Kämpfers, einer starken Persönlichkeit. Die erste Station war das Zuchthaus Sonnenburg in der Nähe von Küstrin. Von Sonnenburg brachte man ihn ins Zuchthaus Brandenburg an der Havel. Eines Tages erhielt seine Frau Zenzl Mühsam ein Paket schmutziger Wäsche. Darunter ein Hemd, das an mehreren Stellen: eingerissen war und am Schulterteil deutliche Spuren eines Nagelstiefels trug, ein Beweis für die Mißhandlungen, denen er ausgesetzt war. Und die wurden immer schlimmer, satanischer, brutaler. Eines Tages bat Mühsam, der Schreibverbot hatte, den Anstaltsarzt, für ihn die Schreiberlaubnis zu erwirken. Der Arzt in SA-Uniform sagte das zu und bat um Mühsams Hand. Arglos gab Mühsam sie ihm. Da packte der Sadist den Daumen des Gefangenen, drehte ihn heraus, daß er brach, und sagte: „So, nun schreiben Sie mal Ihrer Frau.“

Bestialische Folterungen der Faschisten

Mühsam wurde zu simulierten Hinrichtungen geführt, er mußte sein eigenes Grab schaufeln, die Augen wurden ihm verbunden, wie vor dem Erschießen. Er riß die Binden von den Augen und schrie laut über den Zuchthaushof: „Ich will die Hunde sehen, die mich erschießen.“ Wilhelm Girnus berichtete, wie er Mühsam in Brandenburg antraf, das Gesicht blutbeschmiert, grünblau verschwollen, verschoben, das eine Auge wie zugedunsen, so liegt er in einer Lache von Spülwasser, in der Hand einen Aufwaschlappen. Und jedesmal, wenn er sich erheben will, treten ihn die Stiefel wieder nieder. Er leidet, aber kein Schrei kommt über seine Lippen.

Mühsam_Grosz

Mühsam vor seinen Peinigern. Zeichnung: George Grosz (1935)

Im Winter 1933/34 wird das Lager Brandenburg aufgelöst. Ein Teil der Gefangenen kommt ins Moor, ein anderer in das KZ Oranienburg, das in der alten Brauerei in der Berliner Straße, kurz vor der Einfahrt in die Stadt, untergebracht war. Anfang Februar kam Mühsam mit einem größeren Transport Gefangener aus Brandenburg hier an. Das Lager wurde von den SA-Männern der Standarte 208 bewacht, von denen die meisten mehr korrupt als grausam versuchten, einen persönlichen Nutzen aus dem Kommando zu ziehen. Mühsam sah man die Folgen der Mißhandlungen in Brandenburg noch an. Striemen am Hals und grüngelbe Beulen im Gesicht. Die illegale Lagerleitung zählte ihn zu den besonderen Schutzwürdigen.

 

Er kommt in eine große Baracke, in der etwa 100 bis 120 Gefangene leben. Je drei Schlafstellen stehen übereinander und je drei bis vier nebeneinander, Holzpritschen mit Strohsack und Decke. Die neun bis zwölf Betten, fest zusammengezimmert, bilden je eine Reihe, ein einziges Möbel aus ungehobelten Brettern.

Erich Mühsam im KZ

Mühsam war 56 Jahre alt, der Älteste in der Baracke, wahrscheinlich im ganzen Lager. An seinen roten Haaren, dem charakteristischen Bart und dem altmodischen Kneifer war er leicht zu erkennen. Einige der Wachmannschaften wußten etwas über ihn. Mancher kannte seine Lieder, andere hatten etwas von der „Kommune in München“ gehört. So wurde der Dichter mehr gejagt und gequält als andere. Oft wurden alle jüdischen Häftlinge oder auch nur er allein zu dem Vertreter der Gestapo im Lager gerufen, der ein wirklicher Sadist war. Das konnte am Tage geschehen, aber auch abends, wenn die Häftlinge Schach spielten. Gewöhnlich bedeutete es, daß man Schläge bekam. Mühsam legte Wert darauf, daß die Schachfiguren während seiner Abwesenheit unverändert stehenblieben. Wenn er zurückkam, spielte er weiter, ohne ein Wort darüber zu verlieren, was es bei der Gestapo gegeben hatte.

Der sogenannte „Röhm-Putsch“

Dann kam der 30. Juni 1934, der Tag, an dem Hitler seine ihm zu mächtig gewordenen SA-Führer ermorden ließ. Im Lager kursierten die wildesten Gerüchte. Aus der Umgebung marschierten SA-Kolonnen heran. Alle Außenkommandos wurden eingezogen. Abends zogen die fremden SA-Leute wieder ab. Am nächsten Morgen war das Lager von Polizeitruppen besetzt. Sie hatten die SA-Wachen überwältigt und sämtliche Waffen beschlagnahmt. Der Tag verlief ruhig. Häftlinge, die in Berlin gearbeitet hatten, berichteten, daß hohe und höchste SA-Führer erschossen wurden.

Die SS besetzte das KZ Oranienburg

In der Nacht vom 5. zum 6. Juli besetzte die SS das Lager Oranienburg. Es war ein regelrechter Überfall. 150 SS-Männer aus Württemberg und Bayem übernahmen nun das Kommando. Für Mühsam bedeutete das nichts Gutes. Er war weit über seine 56 Jahre hinaus gealtert, die Zähne waren ihm eingeschlagen, das Gehör hatte unter den ständigen Drangsalierungen gelitten. In Oranienburg wurde er von den meisten SA-Leuten in Ruhe gelassen, er mußte täglich mehrere Stunden lang Klo-Papier aus Zeitungen und Zeitschriften auf das richtige Maß schneiden. Für die bayrischen SS-Posten war sein Name ein rotes Tuch. Unter den jüdischen Häftlingen im Lager war er der einzige Prominente.

Mühsam_Nachricht

Letzte Nachricht Erich Mühsams an seine Frau…

Das Todesurteil

Am Nachmittag des 9. Juli wurde Erich Mühsam überraschend gerufen, er sollte ein Paket nach Zimmer 17, dem Büro des Lager-Adjutanten Ehard, bringen, einem SS-Sturmführer aus München, für den der Name Mühsam die Tage der Münchener Räte-Republik von 1919 wieder in Erinnerung brachte. Mühsam lieferte wie befohlen das Paket ab, drehte sich um und befand sich schon wieder an der Tür, als er kurz hintereinander zweimal seinen Namen rufen hörte. Er wandte sich um, konnte aber wegen seines schlechten Gehörs nicht gleich verstehen, was der SS-Mann von ihm wollte. Aber beim Wiederholen hörte er die Worte, die sein Todesurteil waren: „Mir gehm dir 48 Stunden Zeit, di umzubringen, und wann’s du’s dann net tuäst, wer’n ma scho nachhelfen.“ Sein ohnehin fahles Gesicht erstarrte zur Leblosigkeit. Er wußte, daß es ernst gemeint war, daß es sich vermutlich um einen persönlichen Racheakt von Ehard handelte. Es wurde beraten, was zu tun sei. Mühsam sagte: „Was auch passiert, die werden nicht erleben, daß ich mir selbst das Leben nehme.“

Erich Mühsam wird ermordet

Nach dem Abendessen ging er allein auf dem Hof umher. Alle respektierten sein Schweigen. Kurz vor der Schlafenszeit erhielt er den zweiten ungewöhnlichen Auftrag dieses Tages: Er sollte eine SS-Uniform und ein Paar Schaftstiefel reinigen. Beim Nachtappell war Mühsam nicht anwesend. Seine Kameraden der 6. Kompanie, die in ihrer Sorge um Mühsam keinen Schlaf finden konnten, sahen, wie in der Nacht das Licht auf dem Hof zweimal an- und ausgegangen war. Am Morgen fehlte Mühsam noch immer. Man fand ihn im vorletzten Abteil des Klosetthauses an einem Balken erhängt. Die Gefangenen mußten antreten. Jüdische Häftlinge wurden beauftragt, den Toten abzuschneiden. Einer von ihnen berichtete, daß der Knoten so kunstvoll geknüpft war, wie es Mühsam, der kaum die Schuhsenkel zuschnüren konnte, niemals fertiggebracht hätte. Sein Zwicker lag unter der Leiche auf dem Betonboden, die Zunge hing nicht heraus, die Fäuste waren geballt, und die Füße berührten den Klosettdeckel. Die SS hatte ihn ermordet.

Der Leichnam wurde auf eine Bahre gelegt und in den Vorhof getragen. Im Tagesraum, wo die Gefangenen versammelt waren, erhoben Sie sich von den Plätzen, um den Ermordeten zu ehren, Erich Mühsam, den viele nicht kannten und von dessen Werken viele nichts wußten. Eine erschütternde Trauerfeier von Menschen, von denen jeder täglich mit dem Tode rechnen mußte.

Beerdigung auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem

Am 16. Juli wurde Erich Mühsam auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem begraben. Die Trauergemeinde bestand aus wenigen Menschen. Nur diese kleine Gruppe hatte es gewagt, ihre Sympathie für den toten Dichter zu zeigen. Seine besten Freunde und Mitkämpfer saßen selbst in Zuchthäusern und Lagern, oder sie hatten das Land verlassen müssen. Die Lüge von Mühsams Selbstmord wurde den Mördern nicht geglaubt. Als die Untat der SS auch in Paris bekannt wurde, veranstaltete der Schutzverband, deutscher Schriftsteller im Exil am 23. Juli eine Gedenkfeier für den toten Mitkämpfer, auf der Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und andere Emigranten sprachen.

Gedenktafel

„Seine Poesie war temperamentvoll und vielgestaltig“, sagte Kisch, „bald sang sie von Kampf und Revolution, bald scherzte und spielte sie. Solange er lebte und spottete, konnte er manchen darüber hinwegtäuschen, daß es ihm blutig, tödlich ernst war um seine Überzeugungen. Nun, da er starb wie ein Held, ist kein Zweifel mehr möglich.“ Und Erich Weinert, der vor 1933 oft mit Mühsam gemeinsam in Versammlungen aufgetreten war und wie dieser seine aufrüttelnden Verse rezitiert hatte, sagte in seinem Nachruf:

„Mein unvergeßlicher Freund! In der Nacht noch, als ich die Nachricht bekam, daß die Schinder dich gehenkt hatten, versuchte ich, Schmerz und Wut in ein Gedicht zu fassen. Es gelang nicht, beide waren unausdrückbar … Auch als Außenstehender bliebst du uns als Kampfgenosse treu verbunden. Du standest immer vom, ungebändigt, unerschrocken, immer bereit, mit deiner Freiheit und deinem Leben für die Sache des Getretenen einzustehen … Dein revolutionärer Name wird leben, unvergeßlicher Freund!“

© Manfred Gebhardt

Quelle: Das Magazin, Berliner Verlag (DDR), Heft 6/1984, S.44-48

 


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Blick in die Presse – Kauft Berlin die Künstlerkolonie Wilmersdorf zurück ?

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Berlin will Wilmersdorfer Künstlerkolonie zurückkaufen in Berliner Morgenpost

 

Berlin soll Wohnsiedlung kaufen in Berliner Kurier

 

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Eindrücke vom Stadtspaziergang mit dem Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger durch das Künstlerviertel

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Auf Anregung von Herrn Fischer für die Mieter in der Künstlerkolonie und auf Vorschlag von Herrn Schruoffeneger anlässlich der Mieterveranstaltung im IBZ, fand heute ein Stadtspaziergang u.a. mit Redakteuren aller Berliner Tageszeitungen, Anwohnern, der GDBA und dem Verein der Künstlerkolonie statt.

Herr Fischer erläuterte für die Mieter die aktuellen Probleme und Herr Maurenbrecher brachte den Teilnehmern die Geschichte der Berliner Künstlerkolonie näher. Herr Schruoffeneger berichtete über die aktuellem politischen Diskussionen und kündigte für die kommende Woche eine Initiative des Bezirkes für die Künstlerkolonie Berlin an.

Wir werden die Presse in den nächsten Tagen beobachten und die jeweiligen Artikel online stellen.

 

Eindrücke vom Stadtspaziergang mit dem Bezirksstadtrat
Oliver Schruoffeneger durch das Künstlerviertel

 

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Endlich Frühling: So können Sie das Sonnenlicht unbeschwert genießen

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Sonnenlicht schenkt uns Vitamin D und gute Laune

 

Mit dem Ende des Winters locken uns endlich sonnigere und wärmere Tage an die frische Luft. Das tut nicht nur unserer Seele gut, sondern auch unserem Körper, denn die Sonneneinstrahlung regt Atmung, Durchblutung, Kreislauf und Stoffwechsel an und macht uns resistenter gegen Infektionen. Zudem lässt sie uns über die Strahlung auf unserer Haut das so wichtige Vitamin D bilden.

Vitamin D: das Sonnenvitamin

Vitamin D ist nicht nur wichtig, um unsere Knochen stark und gesund zu erhalten, sondern ist auch für viele andere Organe und Gewebe unverzichtbar. Viele Studien weisen darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und diversen Krankheiten wie beispielsweise Osteoporose, Rheuma, Infektanfälligkeit, Depressionen, Morbus Alzheimer, Parkinson-Krankheit und Multiple Sklerose gibt. Schon 10 bis 30 Minuten Sonnenbestrahlung der Haut täglich sollen reichen, um unseren Vitamin-D-Bedarf zu decken. So kann man an sonnigen Frühlingstagen zum Beispiel durch ein offenes Fenster im Büro oder einen kleinen Spaziergang in der Mittagspause für die tägliche Dosis Sonnenlicht sorgen. 

Die Sonne und die Seele – Balsam von oben

Wenn die Sonne scheint, sieht die Welt auch gleich viel freundlicher aus und man fühlt sich insgesamt aktiver und fitter. Kein Wunder, denn es ist wissenschaftlich bewiesen, dass das Sonnenlicht sich positiv auf Körper und Seele auswirkt. Über die Netzhaut aufgenommen leiten Nerven die Lichtreize weiter an die Zirbeldrüse, die unter anderem das Glückshormon Serotonin ausschüttet. Serotonin ist maßgeblich für unseren Antrieb und unsere Stimmung zuständig. Es lohnt sich also, auch mal kurz auf die Sonnenbrille zu verzichten.

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© www.sbk.org

 

Wie bei allem ist auch beim Sonnengenuss auf eine ausgewogene Dosis zu achten. Zu viel Sonnenlicht beschleunigt die Hautalterung, kann vor allem ohne Schutz zu Sonnenbrand führen und ist der wichtigste Risikofaktor bei der Entstehung von Hautkrebs. 

UV-A- und UV-B-Strahlung – was ist das eigentlich?

Bei der Sonneneinstrahlung wird zwischen zwei Strahlungstypen unterschieden: Der UV-A- und der UV-B-Strahlung. Während die langwelligen UV-A-Strahlen nur für eine kurzfristige Bräune sorgen und als Verursacher von bösartigem Hautkrebs gelten, sorgen die kurzwelligen UV-B-Strahlen dafür, dass unsere Haut Melanin bildet. Dieses Pigment sorgt für den Eigenschutz unserer Haut. Gleichzeitig lässt zu viel Sonne Sonnenbrand entstehen, eine entzündliche Reaktion unserer Haut. Während die Sonne im Frühjahr noch nicht über ihre volle Kraft verfügt, steigert sie ihre Intensität im Laufe der Monate kontinuierlich, um uns schließlich im Sommer schon nach kurzer Zeit ungewollt erröten zu lassen. Dem kann man jedoch vorbeugen.

Sonnenschutz: Haut ist nicht gleich Haut

Ob Gel, Öl oder Creme, Sonnenschutz gibt es heute in vielen Varianten. Je nach Hauttyp kann man hier für optimale Pflege und für Hautschutz sorgen, der bei Bedarf auch noch wasser- und abriebfest ist. Was alle Sonnenschutzmittel bieten sollten: einen kombinierten UV-A- und UV-B-Schutz. Besonders empfindliche Hauttypen haben in der Sonne nur eine Eigenschutzzeit von etwa 10 Minuten, dunkle Typen liegen bei ca. 45 Minuten. Je nach Hauttyp gibt es unterschiedliche Empfehlungen zum Lichtschutzfaktor (LSF): Für helle Haut wird LSF 50 empfohlen, für dunkle Typen mindestens LSF 15 oder höher. Im Zweifelsfall sind Sie mit einem LSF zwischen 30 und 50 immer gut beraten. 

Sonnenschutz: Kinder sind besonders sensibel

Kinderhaut benötigt einen besonderen Schutz, da sie noch über keinen (ausreichenden) Eigenschutz verfügt und deutlich schneller einen Sonnenbrand bekommen kann. Bei Babys kann ein Sonnenbrand sogar lebensbedrohlich sein. Vorbeugend gibt es (Bade-)Kleidung mit eingebautem UV-Schutz, der noch mehr Sicherheit bietet – auch für ältere Kinder und Erwachsene, zum Beispiel im Urlaub in besonders sonnigen Gefilden. Zudem sollten Babys und Kinder an ungeschützten Hautstellen mit einer für Kinder geeigneten, mineralischen Sonnencreme eingecremt werden und sie sollten einen Sonnenhut mit Nackenschutz tragen.

Immer auf der sicheren Seite: Hautkrebsscreening

Lassen Sie Ihre Haut als Erwachsener alle zwei Jahre von einem Arzt untersuchen. 


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West-Berlin Biografie einer Halbstadt

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Mit der Teilung Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg war der Westteil der Stadt bis 1989 von der Bundesrepublik, aber auch von seinem Umland getrennt. Elke Kimmel porträtiert die einstige Halbstadt in historischen, kulturellen und politischen Facetten: schillernd, inspirierend, widersprüchlich.

Eine Stadthälfte als Insel: Von der Teilung Berlins als Folge des Zweiten Weltkriegs bis zum Fall der Mauer 1989 war der Westteil nicht nur von der Bundesrepublik, sondern auch von seinem Umland getrennt. Dramatisch augenfällig wurde dies mit der sowjetischen Blockade 1948 und vor allem mit dem Mauerbau ab August 1961. Die langjährige Insellage West-Berlins wirkte sich nachhaltig auf Kunst und Kultur, Politik, Wirtschaft und soziale Lagen aus. Alteingesessene hatten sich mit den modifizierten Bedingungen abzufinden oder wussten ihnen etwas abzugewinnen, der bunte Strauß höchst heterogener Neuankömmlinge fand hier Rückzugsorte oder Experimentierfelder für Lebensentwürfe.

In zahlreichen Porträts und Episoden spiegelt Elke Kimmel quer durch die bewegte Geschichte West-Berlins das Spezifische und Prägende der einstigen Halbstadt, nicht zuletzt auch ihre Funktion als politische Bühne im Großen wie im Kleinen. Ihre Existenz kam mit dem Fall der Mauer im November 1989 abrupt an ihr Ende. Bis dahin war sie indes immer widersprüchlich-anders: hier modern, dort piefig, mal selbstvergessen, mal avantgardistisch, zuweilen schwächelnd und doch voller Dynamik.

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