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Die Architektur der Künstlerkolonie Berlin und deren Architekten

Ernst und Günther Paulus begannen erst 1927 mit dem Bau von Wohnsiedlungen. Deshalb soll auf die ausführliche Darstellung der Entwicklung des Massenwohnungs­baus vor diesem Zeitraum verzichtet werden. Es ist bezeichnend, daß die Architekten auch hier recht spät an einem Prozeß Anteil hatten, der so wesentlich für die Verbreitung des „Neuen Bauens” sorgte.

Berlin-Schmargendorf, “Künstlerkolonie” 1928-1931 (Kat. 102), Lageplan unter Verwendung eines Ausschnitts der Karte von Berlin Nr. 4142 (Wilmersdorf 1977)

 

In diesem Jahr 1927, dem ersten, in dem eine Wohnsiedlung der Architekten vollendet wurde, erreichte Berlin mit 27.000 Wohnungen den Höhepunkt des Wohnungsbaus zwischen 1924 und 1931. Mit der 1924 eingeführten Hauszinssteuer und mit neuen, gemeinnützigen Bauträgern konnte die staatliche Wohnbaupolitik über einige Jahre erheblich zur Besserung der großen Wohnungsnot ,Minderbemittelter‘ beitragen. Staatlich gesicherte Rahmenbedingungen, einhergehend mit möglichst preisgünstiger Erstellung, beförderten die bekannte Entwicklung der Wohnsiedlungen. Sie reicht von der Gesamtanlage, bei der sich in den späten Zwanziger Jahren der Zeilenbau gegen die Blockrandbebauung durchgesetzt hatte, über die auf das Notwendigste reduzierte, funktionale Fassadengestaltung, hauptsächlich durch Gliederungen in Form von Eingängen und Treppenhausachsen, Loggien oder Balkons, bis hin zu den Grundrissen mit vorgegebenen Zimmergrößen und ökonomischer Anordnung der Funktionen.

Rationalisierung und Typisierung waren bestimmende Vorgaben, denen nach Möglichkeit auch der Bauprozeß selbst unterworfen wurde, beispielsweise mit vorge­fertigten Elementen. Besonders am Zeilenbau konnte man immer wiederkehrende Typen aneinanderfügen, weil es keiner Abweichung durch Ecklösungen bedurfte. Trotz der breit publizierten Forderung nach – auch durch maschinellen Einsatz – rationalisierter und industrialisierter Bautätigkeit in Großprojekten des Wohnungsbaus unterblieb dies angesichts der hohen Arbeitslosigkeit.

Sowohl in der großen Form als auch am einzelnen Aufriß wurden besonders in Berlin bedeutende Lösungen gefunden, etwa mit der Hufeisensiedlung von Bruno Taut und Martin Wagner (1925-1927) oder den Bauten von Hans Scharoun und Hugo Häring in der Siedlung Siemensstadt ( 1929-1931 ). Im betrachteten Zeitraum entwarfen Ernst und Günther Paulus fast ausschließlich in Berlin Wohnsiedlungen von unterschiedlicher Größe und Struktur. Die auftraggebenden Wohnungsbaugesellschaften wechselten. Die erste Bauherrin war die Domus AG, für die in Wilmersdorf eine dreiseitige Blockrandbebauung um einen großzügigen Gartenhof entworfen wurde (WV 1927 /4).323 Mit der Künstlerkolonie, dem zweiten Projekt, begannen die Architekten 1928.

Die Fertigstellung von drei Blöcken mit rund 550 Wohnungen zog sich bis in das Jahr 1931 hin. Bauherrin war hier eine eigens von der Berufsgenossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und dem Schutzverband deutscher Schriftsteller gegründete, gemeinnützige Heimstättengesellschaft, die ,,Künstlerkolonie“.

Berlin-Schmargendorf, “Künstlerkolonie”, Block C/III, Übersichtsplan Steglitz-Zehlendorf, BWA, Archiv, Bauakte

 

Den Umbruch in der deutschen Wohnungsbaupolitik markierte die Brüningsche Notver­ordnung im Oktober 1931, in der, ein Rückgriff auf frühere Entwicklungen, bevorzugt die vorstädtische Kleinsiedlung und die landwirtschaftliche Siedlung zur staatlichen Förderung vorgesehen wurden. Im Werk von Ernst und Günther Paulus ist als Reflex auf diesen Umbruch die vorstädtische Reihenhaussiedlung Berlin-Marienfelde auszumachen. Auch in ländlichen Regionen wurden sie daraufhin tätig, indem sie die „Pflug und Egge” Landsiedlungsgesellschaft gründeten.

Mit dem Regimewechsel 1m Januar 1933 wurde wohnbaupolitisch zunächst an die Kleinsiedlungen im Grünen, an den Stadträndern, angeschlossen. Erst ab 1935/36 erfuhr der Geschoßwohnungsbau wieder verstärkte staatliche Unterstützung. Mehrere vorbereitende Gesetze und Verordnungen mündeten in den Vierjahresplan vom Oktober 1936, der die Kriegsvorbereitung in allen Bereichen zum Ziel hatte. Bezüglich des Massenwohnungsbaus verabschiedete man sich vom Ideal der parzellierten Klein­siedlung, um wieder das konzentrierte, in der Herstellung kostengünstigere Wohnen in mehrgeschossigen Großsiedlungen zu unterstützen.

Das betraf insbesondere die in der Rüstungsindustrie beschäftigte Arbeiterschaft. Es war sicherlich vor allem Günther Paulus, der den später zur ausschließlichen Bauauf­gabe werdenden Siedlungsbau betrieb. Die Anzahl der Projekte und ihr jeweiliger Umfang allein würden eine monothematische Arbeit rechtfertigen. Im hier vorliegenden ersten Überblick über das Gesamtschaffen von Vater und Sohn ist es jedoch nicht möglich, so ausführlich darauf einzugehen, wie es angesichts der zahlreichen Projekte in diesem Bereich angemessen wäre. Viele ungeprüfte Angaben aus den beiden Hauptquellen müssen aus Zeitmangel übernommen werden; gerade die ausführlichere Archivrecherche über den Siedlungsbau hätten einen den Rahmen weit über­schreitenden Aufwand erfordert, der jedoch keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn versprach.

Berlin-Schmargendorf, “Künstlerkolonie”, Block A/I und B/II, Übersichtsplan, in Schäfer 1928, S. 127

 

Drei Projekte wurden exemplarisch ausgewählt: Die Künstlerkolonie Schmargendorf zeigt in ihrem ersten Block noch deutliche Einflüsse des „Individualbaumeisters” Ernst Paulus, ihr dritter Block hingegen weist stark versachlichende Tendenzen auf, die Günther Paulus zuzuschreiben sind. In der Siedlung „Am Mühlengrund” (Zehlendorf) bauten die Architekten für zwei verschiedene Wohnungsbaugesellschaften. Beginnend im Jahr 1930, wurde der Abschnitt für die zweite Bauherrin nach dem Regierungs­wechsel von 1933 fertiggestellt. Neben diesen mehrgeschossigen Siedlungsprojekten wird auch eine Reihenhaussiedlung vorgestellt, die dem Kleinsiedlungsideal der Zeit von 1931 bis 1936 nahekommt, jedoch durch ihre zeilenförmige Anordnung gleichzeitig moderne Bestrebungen aufnimmt. 

„Künstlerkolonie” Berlin-Schmargendorf

Berlin-Schmargendorf, “Künstlerkolonie”, Aufrisse der Fassaden des Blocks A/I am Laubenheimer Platz (heute Ludwig-Barnay-Platz), in Schäfer 1928, S. 126 links

 

Zum Ende des Jahres 1931 wurde der letzte von drei Blöcken einer Siedlung für eine besondere Klientel vollendet. Mit konkreten Planungen war bereits 1926 begonnen worden. In seinem Roman „Lydia Faude” aus dem Jahr 1965, der überwiegend in der Künstler­kolonie handelt, übernimmt Martin Kessel für jene drei Blöcke die angeblich gängigen Bezeichnungen „Tintenburg“, ,,Stempelburg” und „Wanzenburg“.

 

 

Die Bauherrin, die eigens von der Berufsgenossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und dem Schutzverband deutscher Schriftsteller gegründete gemeinnützige Heimstätten­gesellschaftKünstlerkolonie“, wollte günstigen Wohnraum vor allem für künstlerisch Schaffende aus den Bereichen Literatur und Theater zur Verfügung stellen. Aber auch einige Ateliers für Maler, mit Oberlicht versehen, wurden in den Dachgeschossen erstellt. Die Grundsteinlegung fand im Februar 1927 statt, und der Grundstein trägt eine eingemeißelte Inschrift, die den ersten Block, die „Tintenburg“, den literarischen und Bühnenkünstlern widmet: Aus dem Nichts schafft Ihr das Wort, und Ihr tragt’s lebendig fort, dieses Haus ist Euch geweiht, Euch, Ihr Schöpfer uns ‘rer Zeit.

Viele prominente Künstler, Schriftsteller und Personen anderer, auch politischer Bereiche wohnten im Lauf der Zeit im „Schwabing am Laubenheimer Platz”, so etwa Ernst Bloch, Sebastian Haffner, Joachim Ringelnatz; Johannes R. Becher und Ernst Busch; Lil Dagover und Klaus Kinski; Klaus Schütz und Wolfgang Leonhard, und sogar Hans Scharoun

Berlin-Schmargendorf, “Künstlerkolonie”, Innenhof des Blocks A/I, in Schäfer 1928, S. 128

 

Die Bezeichnung „Stempelburg” und „Wanzenburg” bezog sich auf die schwierigen Verhältnisse der Bewohner. In der Inflationszeit, die mit der Fertigstellung der Siedlung zusammentraf, sollen drei Viertel der Bewohner arbeitslos gewesen sein. Vor und mit Beginn des nationalsozialistischen Regimes häuften sich Übergriffe auf die Siedlung, deren Bewohner politisch überwiegend links eingestellt waren; auch viele jüdische Mieter wohnten in der Kolonie.

Aus heutiger Sicht und im Hinblick auf eine „sprechende” Architektur erscheint es verwunderlich, daß für diese linke, intellektuelle Klientel die konservativen Architekten Ernst und Günther Paulus ausgesucht wurden. Viel besser ist in diesem Zusammenhang eine ganz moderne Siedlung vorstellbar, sachlich, weiß verputzt und mit Flachdächern versehen. Gesamtanlage Die ersten Pläne vom Januar 1927 beinhalten den ersten und zweiten Block nördlich und südlich einer Platzbildung. Beide Blockrandbebauungen sollten sich zum Platz hin durch Arkadengänge öffnen, um Zusammengehörigkeit und Kommunikation der Bewohner zu fördern. Dem Erholungs- und Ruhebedürfnis hingegen sollten die abgeschlossenen Gartenhöfe dienen. 

Nach Vollendung des ersten Blockes im Frühjahr 1928 ergaben sich erste Änderungen für den zweiten Block, der im Winter 1929bezugsfertig war: Wenn nun [. . .} nach dem Laubenheimer Platz zugebaut werden muss, um erträgliche Mieten zu erzielen, so ist die gesamte Anlage in ihrer Wirkung vernichtet. Mit dem dritten Block, von dem nur ein Teil zur Ausführung kam, wurde Ende 1930begonnen. Er schließt sich im Westen an den Laubenheimer Platz bzw. die Bonner Straße an (vgl. auch Luftbild, WV 1928- 1931/1 ).

Berlin-Schmargendorf, “Künstlerkolonie”, Aufriss der Nordseite (Ausschnitt) des Block B/II, August 1928, Steglitz-Zehlendorf, BWA, Archiv, Bauakte

 

Waren die Langseiten der beiden ersten Komplexe noch nach den besonnungstechnisch nicht ganz so günstigen Nord- und Südseiten ausgerichtet, beachtete man dies bei diesem dritten Bauteil nun betont: Bei der Durchführung des Bauvorhabens der Künstlerkolonieist von den künstlerischen Bearbeitern des Projektes, den Herren Ernst und Reg-Baumeister a.D. Dr.-Ing. Günther Paulus darauf Rücksicht genommen worden, dass die Lage der Wohnungen möglichst Ost-West-Wohnungen ergibt.

Der Bezug auf den Laubenheimer Platz mit dorthin orientierten Öffnungen ist hier völlig aufgegeben, obwohl der Block westlich an den Platz grenzt. Dieser dritte Bauteil bezieht sich hingegen mit seiner Öffnung in Richtung Westen auf eine zwar geplante, aber nicht mehr zustandegekommene Fortsetzung. Nach Vollendung des letzten durch Paulus entworfenen Bauteils der Künstlerkolonie 1931war die Verwendung der Haus­zinssteuermittel für mehrgeschossige Mietwohnhäuser bereits gestoppt worden. Gestaltung Im ersten Block der Künstlerkolonie, der sich zwischen Südwestkorso und heutigem Ludwig Bamay-Platz erstreckt und im Osten von der Laubenheimer, im Westen von der Bonner Straße begrenzt wird, mischen sich in den Entwürfen die bewährten, behaglich-konservativen Gestaltungsmittel von Ernst Paulus mit sparsam verwendeten, expressionistischen Akzenten. Die Planung mußte im Verlauf geändert werden, da der Dispens zu einer überwiegend fünfgeschossigen Bebauung nicht erlangt werden konnte. Ursprünglich sollten die drei geschlossenen Seiten fünfgeschossig sein, um die vierte Seite zum Platz hin sanft abzustufen, über fünfgeschossige Ecken, die wie Kopfbauten wirken, auf viergeschossige Bauten bis zur symmetrischen Öffnung der Mitte. Dort war ein dreigeschossiges Haus geplant, das zu beiden Seiten mit Arkaden­gängen an die viergeschossigen Bauten anschloß.

Man findet hier herkömmliche Gestaltungsmittel wie ein massives Sockelgeschoß und das Mansardwalmdach. Da die Platzfassade nach Norden ausgerichtet ist, sind über­wiegend Fenster und nur wenige Loggien in streng achsgerechter Reihung angeordnet. Tatsächlich verwirklicht wurden die backsteinsichtigen Sockel, auf denen sich verputzte Mauem erheben. Weitere Akzente wie etwa Eingänge, Erker und bevorzugt behandelte Gebäudeecken sind ebenfalls in dem auffallenderen, roten Material gestaltet. Die Arkadengänge, backsteinsichtig und in Parabeiform, sollten ebenerdig ursprünglich mit Gewölben versehen werden. Auf diesen Arkaden waren Dachgärten geplant, die ein luftiges Flanieren möglich machen sollten. Schutz in der Höhe boten durchbrochene Brüstungen, die mit Skulpturen, rhythmisch den Pfeilern folgend, aufgelockert werden sollten. Leider wurde aus den schönen Plänen nichts. Was blieb, war zwar die durch Arkaden unterbrochene Platzwand, aber alle Gebäude dieser Seite wurden einheitlich viergeschossig gebaut. Die Arkaden beschränkte man auf je fünf Bögen pro Seite. Davon wurden je zwei verschlossen, die als Müllkastenräume und Transfomatoren­häuschen dienen.

Die Wirkung der abgestuften Traufhöhen zum Platz hin, eine freundlich einladende Geste, ist verloren, und der viergeschossige Mittelbau erscheint monolithisch mit seinen hohen, kahlen Brandmauern, die zu den eingeschossigen Arkaden nicht zu vermitteln vermögen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes wurde die Öffnung der Häuserwand im Verlauf der Planung vollständig gestrichen. Lediglich mit der von fünf auf vier Geschosse herabgestuften Bebauung, die dort möglich war, wird Bezug genommen auf die besondere Situation am Platze.

Eine Einleitung der Platzsituation zeigt die Fassade des ersten Blockes an der Ecke Bonner Straße und Laubenheimer Platz. Hier ist keine rechtwinklige Kante gegeben wie an seinen anderen Ecken. Durch die diagonale Kappung entsteht eine Fläche, betont durch einen breiten Erker. Die Horizontalität wird unterstrichen durch Zusammenfassung der Fenster mit schmaler Gesimsrahmung. Zwischen den Fenstern, die durch kleinteilige Sprossen belebt sind, ist als Intarsie das Bauzeichen von Günther Paulus, die „Schwalbe” eingelassen. Weitere Erker, aber nicht in dieser breiten Ausprägung, haben die Vorderfassaden zum Südwestkorso und zur Laubenheimer Straße und dem gleichnamigen Platz. Sie alle sind mit Backstein verkleidet.

Ecke Bonner Straße und Laubenheimer Platz
Erker, Entwurf

 

Ihre Grundform ist die Hälfte eines Achtecks, und sie ruhen auf einer mehrfach abge­treppten Konsole. Ihre Dreigeschossigkeit wird unterstrichen durch Gesimsbänder, die die Stockwerke betont voneinander absetzen und durch leichte Auskragung zu einer teleskopartigen Wirkung des Bauteils führen. Ein eigenes kleines Dach schließt den Erker oberhalb der Traufe ab. Solche liebevollen Details konnten am ersten Block der Kolonie noch realisiert werden, mußten aber beim zweiten und dritten Abschnitt aufgegeben werden. Wie bereits beschrieben, änderte sich die Gestaltung des zweiten Blockes im Lauf der Planung. Dies betraf nicht nur die Öffnung zum Platz, sondern auch die Anordnung entlang der südlichen Langseite Kreuznacher Straße. Zum Zweck der besseren Belichtung wurde aus einer „Straßenwand” eine vierfach versetzte Flucht.

Staffelung entlang der Kreuznacher Straße

 

Sie trägt zudem wesentlich zur Belebung bei. Erker oder abschnittweise Geschoßer­höhungen wie an der vergleichbar langen Fassade zum Südwestkorso (vgl. Abb. WV 1928-1931 /1, Block All) waren, wohl vor allem aus ökonomischen Gründen, nicht mehr möglich. Mit dem dritten Block, dessen Pläne im Juni 1930 entstanden, hatten sich Ernst und Günther Paulus endgültig von der gediegenen Behaglichkeit, die vor allem noch der erste Block ausstrahlt, verabschiedet. Der Not der Zeit gehorchend, ist der ganze Block fünfgeschossig ausgeführt worden. Eine spürbar sachlichere Gestaltung kommt nun zur Anwendung. Da, wie beschrieben, der Ausrichtung nach Ost und West für diese Wohnungen der Vorrang gegeben wurde, im Gegensatz zu den beiden ersten Blöcken, erstreckt sich die längste Fassade entlang der von Nord nach Süd verlaufenden Bonner Straße. Es ist zu erkennen, daß die Fassadengestaltung ausschließlich dem Aspekt der Besonnung unterworfen ist. 

Block 3, Nordseite (Südwestkorso)

 

Ganz diesem Funktionalismus gehorchend, ist die dem Südwestkorso zugewandte Fassade einzig von achsgerechten Fensterreihen dominiert, die im verputzten Mauer­werk ohne jedes dekorative Detail auskommen müssen. Damit unterscheidet sich dieser Bauteil vollständig vom östlich, jenseits der Bonner Straße anschließenden ersten Block (vgl. WV 1928-1931/1, Abb. Block A/I). Auflockerung und Abwechslung entsteht an der westlichen Seite durch die Balkone – nicht mehr Loggien wie in Block A und überwiegend auch B – mit ihren Klinkerverkleidungen. Das Sockelgeschoß besitzt nicht mehr die starke Betonung der ersten Blöcke, das Dach weist eine flachere Neigung auf und wird durch ein Traufgesims in Backstein abgesetzt. Akzente aus Klinker kommen auch an den Ecken vor, sie sind zum Teil vom Sockel bis zur Traufe damit verkleidet. Viele der hier angewandten Gestaltungsmittel finden sich in der Siedlung ,,Am Mühlen­grund” in Berlin-Zehlendorf wieder. Für die Heimstätten-Siedlungsgesellschaft entwarfen die Architekten, ebenfalls im Jahr 1930, den nördlichen Teil dieser Wohnanlage.

In Anlehnung an die Kreuzkirche sind in den Entwürfen des dritten Blockes einige Details zu finden, die leider nicht zur Ausführung kamen. Einzige Ausnahme ist die Mittelachse an der langen Zeile entlang der Bonner Straße, die sich über alle fünf Geschosse als Doppelbalkons erstreckt. Die „Schwalbe” ist hier auf den Brüstungen zu finden, in der auch an der Kreuzkirche angewandten Farbkombination von blauer Keramik auf rotem Klinker.

 

Balkone Bonner Straße

 

Figürliche Bauskulptur zeigen die Entwürfe sowohl des dritten Blockes als auch dessen westlicher Erweiterung, die nicht mehr gebaut wurde. An den beiden Kopfbauten des Richtung Westen geöffneten Blockes, am heutigen Steinrückweg, hatten die Architekten in Höhe des ersten Obergeschosses stehende Skulpturen geplant, die die zweiflügelige Eingangssituation flankieren sollten.

Auf Konsolen stehend, erinnern sie an den Turm der Kreuzkirche, der an allen vier Ecken ähnlich gestaltete Skulpturen aufweist. Sie zeigen die überlängten Formen der Art Deco. Höchstwahrscheinlich wären sie im Fall der Ausführung von Felix Kupsch, der auch die Skulpturen der Kreuzkirche in dieser Form entwarf, geschaffen worden. Anzunehmen ist außerdem, daß blaue Keramik vorgesehen war, von dunkelroter Klinkerverkleidung hinterfangen. Während am Turm der Kreuzkirche Spiralpfeiler die vertikale Vorlage bildeten, wären hier, ganz profan, die Fallrohre dazu verwendet worden.

Eine Belebung der sachlichen Gebäude durch Skulpturen planten die Architekten auch an der Hofseite der unverwirklichten Fortsetzung des dritten Blockes. Auf dem Entwurf ist nicht genau zu erkennen, ob die Skulptur Bestandteil des mittleren Pfeilers der Durchfahrt ist, oder ob sie davor plaziert ist. Als hoher Sockel, der sie über den Sturz der Durchfahrt schiebt, sieht der Entwurf eine gedrehte Klinkersäule vor, Reminiszenz an die gleichartigen Pfeiler der Kreuzkirche.

An der etwa gleichzeitigen Tempelhofer „Bärensiedlung” (WV 1930/3) wurden solche Skulpturen realisiert, allerdings auf glatten Pfeilerflächen.

 

Entwurf Künstlerkolonie Block 3, Juni 1930

 

Weitere „Nachwehen” des Expressionismus, mit dem Ernst und Günther Paulus mit der Kreuzkirche ihren größten Erfolg feiern konnten, waren in ähnlicher Komposition an der Eckgestaltung Südwestkorso und Bonner Straße geplant, aber eben nur geplant. Die Ausführung unterblieb; wahrscheinlich aus Gründen des wirtschaftlichen Drucks, vielleicht aber auch, weil diese Formen nun für den Zeitgeschmack obsolet waren.

 

Ecke Südwestkorso und Bonner Straße

 

Die auffallend geformte Blockecke, die zurückspringt und innen zugunsten eines Haus­eingangs abgeflacht ist, wirkt als einladende, öffnende Geste für die Bonner Straße. Zwar wurde die Klinkerverkleidung dieser markanten Eckaussparung verwirklicht, nicht aber die dafür vorgesehene Skulptur in Höhe des ersten Obergeschosses, so daß die Flächen reichlich nackt wirken. Lediglich die Laibung der Eingangstür erhielt eine Verkleidung in blauer Keramik. Wohnungsgrundrisse und Erschließung Für den ersten der drei Abschnitte hatten Ernst und Günther Paulus sechs verschiedene Typen von Wohngrund.rissen entworfen. Die Wohnungen haben eine Größe von zweieinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Zimmern, wobei der Typ mit zwei Zimmern und einer Kammer überwiegt: Von den insgesamt 127 Wohnungen gibt es davon 77.

Die Wohnungen sind quer zu den Fronten angeordnet, so dass eine gute Durchlüftung gewährleistet ist. Die Küchen sind stets nach Norden, die Wohnräume nach Süden ausgerichtet. Die Eingangstüren befinden sich jeweils an den Straßenseiten, während die Treppenhäuser zum Hof weisen. Pro Geschoß werden in den insgesamt 13 Wohn­gebäuden des ersten Blockes je zwei Wohnungen erschlossen. Die Vielzahl der Typen erklärt sich aus der Blockrandbebauung, die an den unterschiedlich ausgeformten Ecken eine Änderung der Raumanordnung gebietet.

Dabei wurden alle Wohnungen eines Geschosses der jeweiligen Ecktype zusammen­gefaßt wie beispielsweise die dreispännig erschlossenen Wohnungen an der Ecke Südwestkorso und Bonner Straße.

Die Durchwohngrundrisse folgen einer einheitlichen Grundstruktur mit zentralem, fensterlosem Flur, um den alle Räume angeordnet sind, die so von dort aus betreten werden können. So werden Durchgangszimmer vermieden, Intimität und Abge­schlossenheit werden bewahrt.

Der zweite Block weist in 20 Wohngebäuden 196 Wohnungen auf. Während am ersten Block nur Loggien vorkommen, gibt es hier zum innen gelegenen Gartenhof an zwei Seiten, ausgerichtet nach Süden und Westen, auch schon Balkone. Am dritten Block finden sich ausschließlich Balkone. Beide Freiraumformen haben Vor- und Nachteile: die Loggia ist stärker wind- und sichtgeschützt, nimmt jedoch dem anschließenden Zimmer viel Licht, der Balkon ist dem Wind ausgesetzt, erweitert aber den Raum über die Bauflucht hinaus und bietet ein stärkeres Freiraumgefühl. Im zweiten Block wurden nur kleinere Wohnungen geplant: Dieser Baublock soll den Junggesellen unter den Künstlern vorbehalten bleiben {. . .].  Die vielfältigen, komplizierten Ecktypen des ersten Blocks sind bereits vereinfacht. Die Typenbe­zeichnung ist hier umgestellt auf arabische Ziffern mit der Bezeichnung A bis D. Eine Wohnung mit anderthalb Zimmern, also Zimmer und Kammer, wird als „Dreiraum­wohnung” bezeichnet, wobei die Küche einbezogen ist. Dabei ist das Raumangebot jedoch mit einer Größe von knapp 54 qm großzügig bemessen. Die oben beschriebene Grundstruktur der Erschließung aller Räume durch den Flur wird beibehalten.

Die zunehmende Erfahrung und Routine mit dem Massenwohnungsbau wird in den Plänen für den dritten Block spürbar. Ein standardisiertes Verfahren mit Maschinen­schrift und Lichtpausen-Drucken, das in gleicher Form bei der „Heimstätten”-Siedlung Zehlendorf zu finden ist, weist bereits auf die Hinwendung zum rationalisierten und typisierten Bauen der Architekten. Auf großen Übersichtsplänen werden auf einen Blick die Typenzuordnung und die Wohnungen aller 20 Wohngebäude gezeigt. Da beim dritten Block durchgängig vier Obergeschosse möglich waren, konnten in diesem Block 225 Wohnungen erstellt werden.

 


Entnommen der Dissertation von Frau Bettina Held zu  
Die Architekten Ernst und Günther Paulus, Eine Werkmonographie,
2004, FU Berlin

© mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Bettina Held


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Berliner Frauenpreis 2020: Ihre Vorschläge sind gefragt!

Mit dem Berliner Frauenpreis werden seit 1987 Frauen gewürdigt, die sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzen. Auch im Jahr 2020 wird der Berliner Frauenpreis verliehen. Er würdigt diejenigen, die sich – ob im Hintergrund oder in der Öffentlichkeit – an vielen Orten und auf ganz unterschiedliche Weise für Chancengleichheit und Gleichstellung engagieren.

Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci: „Die Hälfte der Macht den Frauen, heißt es immer wieder. Dass das noch bei Weitem nicht so ist, erfahren wir jeden Tag. Es wird immer wieder deutlich, dass sich noch vieles ändern muss, bevor eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht ist. Angesichts dessen erleben wir inspirierende und kämpferische Frauen, die sich für eine Kultur der Gleichberechtigung einsetzen. Wenn es um die Anerkennung und Sichtbarmachung dieser Frauen geht, gibt es noch viel aufzuholen, was die Ehrung und Auszeichnung ihres Engagements, ihres Einsatzes, ihrer Ideen betrifft.“

Der Berliner Frauenpreis ist mit voraussichtlich 5.000 € sowie einer Skulptur dotiert. Über die Vergabe entscheidet eine unabhängige Jury unter dem Vorsitz der Staatssekretärin für Gleichstellung Barbara König.
Die Preisverleihung findet anlässlich des internationalen Frauentags 2020 im März im Berliner Rathaus statt.

Damit Frauen die Aufmerksamkeit und Ehrung erhalten, die sie verdienen: Schlagen Sie eine Frau für den Berliner Frauenpreis 2020 vor, die es mehr als verdient hat, für ihr Engagement ausgezeichnet zu werden!

Alle Berlinerinnen und Berliner – sowohl Einzelpersonen als auch Personengruppen – sind herzlich eingeladen, ihre Vorschläge bis zum 1. Oktober 2019 für den Berliner Frauenpreis 2020 einzureichen.

Mail: frauenpreis@sengpg.berlin.de
Post: Alina Zimmermann, GPR 3, Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Oranienstr. 106, 10969 Berlin
Telefon: 030 9028 2767

Weitere Informationen zum Berliner Frauenpreis sowie die Unterlagen der Ausschreibung finden Sie hier: www.berlin.de/frauenpreis


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Tag des offenen Denkmals 2019 – Führungen durch die Künstlerkolonie/Künstlerfriedhof Berlin Wilmersdorf

Die in Wilmersdorf gelegene Wohnsiedlung Künstlerkolonie (um den heutigen Ludwig-Barnay-Platz herum) entstand in der Zeit 1927-33 sowie 1938-39 und wurde schnell zur Heimstatt bedeutender Persönlichkeiten des Kulturlebens der Weimarer Republik.

Die Rundgänge zu Kiezgeschichte und -kultur laden anhand des Projektes Ehemalige Bewohner der Künstlerkolonie zur Suche nach Spuren dieses legendären Viertels ein.

 

 

Nähere Infos und Anmeldung unter 0178 1986638 oder christian@berlinerkuenstlerkolonie.de

 


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Albert Steinrück…Damals war’s…

Das Leben ist eine Rutschbahn

Ein letzter Triumph des preußischen Staatstheaters 

Am 28. März 1929, um 23 Uhr kam es in Berlin zu einem Theaterereignis welches in die Theatergeschichte Berlins eingehen sollte und bis heute kein vergleichbares Ereignis solcher Bühnenkraft stattgefunden hat.

Die Gedenkfeier für Albert Steinrück

In memoriam

Albert Steinrück. Bühnen- und Filmschaupieler, Regisseur, Direktor; geboren am 20. Mai 1872 in Wetterburg/Waldeck, gestorben am 11. Februar 1929 in Berlin. – Wesentliche Stationen: Schillertheater und (1905 bis 1908) Max Reinhardt Deutsche Theater Berlin; Hof- beziehungsweise Staatstheater München (1908 bis 1920); dann wieder Berlin, Deutsches Theater und Staatstheater. – Urwüchsiger Charakterdarsteller nicht ohne Aura der Innerlichkeit, genialische Bohemenatur; anfänglich (dann lebenslang nebenberuflich) Maler. -Unter anderem Woyczek der Münchner Uraufführung (1913); Shakespeare-, Schiller-, lbsen-, Strindberg -, Haupmann-Rollen, entscheidend beteiligt an den Erfolgen Wedekinds. Im Film zum Beispiel Partner Elisabeth Bergners ( ,Fräulein Else” ).

Heinrich Mann, aus der Sicht de Freunde, in seinen „Erinnerungen an Albert Steinrück“: ,,Er war einer der vollständigsten Menschen. Er hatte beides, die Kraft und die Feinheit.” (Essays Bd. I, Bin. 1954, . 43 ff.)-

Alfred Polgar, Nachruf: ,,Er stand wie ein Baum, breiten Schatten werfend, wuchtig und schwer in der dramatischen Landschaft. Wenn er, gefällt, stürzte, war das erschütternd … “. (Kleine Schriften Bd. 6, Hbg. 19 6 . 426 ff.)

Trotz der seit dem letzten Weltkrieg vielfältig vorangeschrittenen Theaterwissenschaft scheint eine Monographie über Steinrück, soweit bisher zu ermitteln war, noch nicht zu existieren. Ein recht kümmerlicher Artikel in H. Rischbieters Theater-Lexikon (Zürich 19 3) verzeichnet nur zwei „Quellen” mit teils umstrittenem Inhalt (W. Drews : Die Großen des deutschen Schauspiels , 1941; H. Jhering: von Josef Kainz bis Paula Wessely, 1942). – nachzutragen wäre zum Beispiel das einschlägige Kapitel in: Begegnungen mit Schauspielern. Zwanzig Porträts aus dem Nachhlaß (Bln./ R 1967· Neuauflage 1977) des – ebenfalls umstrittenen – Arnolt Bronnen. – Abschließend zur Person sci wenigstens noch Rudolf Fernau erwähnt der in einem, aus der Flut der Schauspieler-Memoiren herausragendem Lebenstage­buch „Als Lied beganns’ … “(zuerst Frankfurt/Bln. 1972) ein sehr lebendiges Porträt seines Lehrers Steinrück skizziert hat.

Dessen Ehrengrab befindet sich übrigens auf dem städtischen Friedhof Zehlendorf, Onkel-Tom-Straße 30.

Ein Verbindungsweg von der Kreuznacher Straße zum Südwestkorso an der Wilmersdorfer Künstlerkolonie trägt Steinrücks Namen. –

Kaum ein Berliner Theaterprogramm der vielmemorierten, genannten „goldenen” zwanziger Jahre dürfte eine solche Fülle prominenter Namen – und nicht nur der Bühne! – vereinen wie der hier repr oduzierte Anschlagzettel für die einmalige Nachtvorstellung vom 28. März 1929 im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Man studiere die Besetzung des Wedekindschen “Marquis von Keith” bis hinunter zur Statisterie sowie das nichttheatralische Personenaufgebot (wovon der „Ehrenausschuß” sicher nur eine zussätzlich anlockende Schirm­herrenfunktion hatte): zumindest als Theaterfreund wäre man gern dabei gewesen . . .Sind auch etliche Darsteller von der schnellebigen Nachwelt schon wieder vergessen, so ragen genügend andere in ihrer künstlerischen Wirkung noch unvergessen in unsere Gegenwart.

Nun sollte man sich von dem kulturellen Glanz einer derart singulären Veranstaltung, nicht über den tristen ja makabren Zeitgeschichtlichen Hintergrund hinwegtäuschen lassen, der sich – für das Jahr 1929 in Beispielen kurz zusammengerafft – etwa so darbietet: ,,Anhaltende Arbeitslosigkeit, Verschärfung der Lohnkämpfe Streik und Aussperrungen, defizitäre Finanzentwicklung. Blutige kommunistische Aktionen am 1. Mai in Berlin. Neuer Aufschwung der Nationalsozialisten ( … ) Die Schauspieler protestierten im Februar gegen ihre wirtschaftliche Lage. Polizeiliche Eingriffe in die Spielpläne einiger Berliner Theater [ … u w .).” ( . Rühle: Theater für die Republik 1917-33, Frankf. 1967 .917.)

Ferner ist daran zu erinnern, daß trotz der einmaligen Besetzung keine theaterhistorisch wichtige Aufführung stattfand sondern „nur” die aufwendige Gedächtnisfeier einer Elite für einen ihrer Besten, zugleich als Wohltätigkeitsveranstaltung ein gesellschaftlicher Anlaß. ,,Im Publikum Frack, große Toilette, Perlen. Der [für die Hinterbliebenen] wohltätige Zweck wurde erreicht.

Jessner nicht als Regisseur, sondern als Festleiter [ … ]. Selten ist ein Schauspieler so geehrt worden wie Albert Steinrück.” Der eben zitierte Kritiker Herbert Jhering berichtete am 30. März im „Berliner Börsen-Courier” anschaulich über einige Mimen und ihre Sonderleistungen, teilte aber auch die berechtigte Frage, wo denn eigentlich in solcher „Starversammlung” der Sinn des Stückes und dessen Autor geblieben seien (nachzulesen bei Jhering: Von Reinhardt bis Brecht, Bd. II Bin. 1961, . 391 ff.). -Der Dichter (Jahrgang 1 64) war schon 1918 seinem großen Lieblingsschauspieler vorausgegangen. C. Kühn

Albert Steinrück begann als Maler. Erst dann fing er an zu schauspielern, ohne jedoch eine Ausbildung durchlaufen zu haben. Seit Anfang der 1890er Jahre war er an Theatern in Mühlhausen, Breslau und Hannover sowie ab 1901 in Berlin beschäftigt. 1906 kam er zu Max Reinhardts Ensemble an das Deutsche Theater. Von 1908 bis 1920 war er am Hof- und Nationaltheater in München, wo er auch Regie führte und am Ende Schauspieldirektor war. Dabei spielte er unter anderem den Woyzeck in der Uraufführung des gleichnamigen Dramas von Georg Büchner am 8. November 1913. In den 1920er Jahren war er wieder an verschiedenen Bühnen in Berlin beschäftigt.

Seit 1919 war Albert Steinrück ständig auch beim Film tätig. Gerne wurde er besetzt in den Rollen grausamer Väter. Neben Rosa Valetti spielte er in Reinhold Schünzels Sittenfilm Das Mädchen aus der Ackerstraße. Sein Kollege Paul Wegener besetzte ihn 1920 als Rabbi Loew in Der Golem, wie er in die Welt kam. Ein großer Erfolg wurde 1922/23 Fridericus Rex von Arzén von Cserépy, in dem Steinrück Friedrich Wilhelm I. von Preußen spielte. Neben Asta Nielsen spielte er in Das Haus am Meer und Hedda Gabler, neben Henny Porten in Die Geierwally und Das goldene Kalb. Seine letzte Hauptrolle hatte er 1929 in Joe Mays Asphalt. Steinrück starb während der Probenarbeit zu Ehm Welks Schauspiel Kreuzabnahme, in dem er – an der Volksbühne Berlin – den sterbenden Schriftsteller Leo Tolstoi spielen sollte.

Albert Steinrück war in erster Ehe mit Elisabeth Gussmann (1885–1920), genannt Liesl, einer Schwester Olga Schnitzlers verheiratet, sodass er mit dem Schriftsteller Arthur Schnitzler verschwägert war. In zweiter Ehe mit der Tochter des Malers Alfred Sohn-Rethel (1875–1958), Elisabeth genannt Lissi (1897–1993). Deren Brüder waren der Sozialphilosoph Alfred Sohn-Rethel der Jüngere, sowie Hans-Joachim Sohn-Rethel (1905–1955), Maler und Geräuschimitator, der auch unter dem Pseudonym Freddy Dosh bekannt war. Einer seiner Enkel ist der Schauspieler Michael Hanemann.

Steinrück blieb ein passionierter Freizeitmaler. Einige seiner Werke wurden im Rahmen einer von Heinrich George organisierten Gedenkvorstellung im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt aus Anlass seines Todes ausgestellt und zum Verkauf angeboten und sind heute Teil der Sammlung des Stadtmuseums Berlin, so wie auch seit Mai 2016 sein Nachlass.

 

Ehrengrab von Albert Steinrück auf dem Friedhof Zehlendorf

 

Das Grab von Albert Steinrück befindet sich auf dem Friedhof Zehlendorf. Als Grabzeichen dient nur eine kleine Inschriftenplatte.[4] Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte von Albert Steinrück (Feld 017 Nr. 705) seit 1969 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet.

Der Barnayweg in der Künstlerkolonie Berlin wurde 1944 in „Steinrückweg“ umbenannt.

 

  • 1920: Das Mädchen aus der Ackerstraße. 1. Teil
  • 1920: Katharina die Große
  • 1920: Der Richter von Zalamea
  • 1920: Der Golem, wie er in die Welt kam
  • 1920: Die geschlossene Kette
  • 1920: Die Schuld der Lavinia Morland
  • 1921: Der Leidensweg der Inge Krafft
  • 1921: Das Blut (Regie: Paul Legband)
  • 1921: Fridericus Rex
  • 1921: Die Nacht ohne Morgen
  • 1921: Die Geierwally
  • 1921: Sappho
  • 1921: Der Todesreigen
  • 1921: Das Geheimnis der Santa Margherita
  • 1922: Monna Vanna
  • 1923: Der Schatz
  • 1923: Der Kaufmann von Venedig
  • 1923: Der Wetterwart
  • 1924: Helena (2 Teile)
  • 1924: Das Haus am Meer
  • 1924: Das goldene Kalb
  • 1924: Dekameron-Nächte
  • 1925: Das Haus der Lüge
  • 1926: Überflüssige Menschen
  • 1926: Brennende Grenze
  • 1927: Die Sporck’schen Jäger
  • 1927: Lützows wilde verwegene Jagd
  • 1927: Am Rande der Welt
  • 1927: Das Frauenhaus von Rio
  • 1928: Schinderhannes
  • 1928: Kinderseelen klagen euch an
  • 1928: Das letzte Fort
  • 1928: Der rote Kreis
  • 1929: Asphalt
  • 1929: Fräulein Else

 


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Jazzförderung 2020 ausgeschrieben

Für das Jahr 2020 bietet die Berliner Kulturverwaltung wieder diverse Förderungen für Berliner Musikgruppen bzw. Musiker/innen aller Stilrichtungen im Bereich Jazz an.

Das Förderungsangebot umfasst

  1. die Projektförderung
  2. die Basisförderung (für Jazzorchester, Big Bands u. ä. Großformationen, deren Stammbesetzung 10 Musiker/innen oder mehr umfasst)
  3. die Vergabe von Stipendien (Arbeitsstipendien sowie Stipendien für Audio- und Videoproduktionen)
  4. Tourneeförderungen

Projektförderungen können direkt oder indirekt erfolgen, das heißt Anträge können sowohl von den Musikerinnen und Musikern selbst für in eigener Verantwortung organisierte Projekte gestellt werden, aber auch von Dritten (z. B. Veranstaltern, Clubs, Vereinen, Agenturen u. a.), wenn deren Vorhaben den oben genannten Personenkreis im besonderen Maß berücksichtigen.

Alle übrigen Förderungen dienen ausschließlich der direkten Förderung von Berliner Musikgruppen bzw. Musikerinnen und Musikern und können nur von diesen selbst beantragt werden.

Die nicht projektbezogene Basisförderung soll Großformationen im Bereich Jazz eine kontinuierliche künstlerische Weiterentwicklung, eine Stärkung ihres Profils sowie eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit etc. ermöglichen. Sie ab 2020 erstmalig für zwei Jahre gewährt und kann im Einzelfall bis zu 50.000,00 € pro Förderungsjahr (Zeitraum jeweils von Januar bis Dezember) betragen. Die Basisförderung dient der Finanzierung von Kosten (inklusive von Probenhonoraren), die bei der laufenden künstlerischen Arbeit in Vorbereitung von Konzerten, Tourneen und Audioproduktionen ganzjährig entstehen.

Stipendien werden für zeitlich begrenzte musikalische Vorhaben, die der persönlichen künstlerischen Weiterentwicklung bzw. Vervollkommnung dienen, gewährt.

In Betracht kommen hier beispielsweise Kompositionsvorhaben größeren Umfangs, selbst organisierte Auslandsaufenthalte zum Zwecke des Einzelunterrichtes bei international anerkannten Musikerinnen und Musikern, der Besuch von renommierten Lehrgängen, die Durchführung von Studienreisen und ähnliches. Darüber hinaus werden Stipendien auch für Audioproduktionen in einem Tonstudio eigener Wahl sowie für die Produktion von Video-Clips vergeben. Eine Kombination von beidem, z.B. die Erarbeitung einer Komposition mit anschließender Audioproduktion, ist möglich.

Stipendien können für die genannten Vorhaben in Höhe von jeweils pauschal 2.000,00 €, 4.000,00 €, 6.000,00 € oder 8.000,00 € beantragt werden.

Im Rahmen der Tourneeförderung werden für die Durchführung von Inlandstourneen Reisekostenzuschüsse in Höhe von 80,00 € pro Musiker/in und Konzert als Stipendium vergeben.

Alle fristgerecht eingehenden Anträge werden einem unabhängigen Fachbeirat zur Beurteilung vorgelegt. Dem Jazzbeirat 2020 gehören an:

Angela Ballhorn (Journalistin, Musikerin), Maike Hilbig (Musikerin, Komponistin), Melanie Rossmann (Agentur Aufklang, Sprecherin der Bundeskonferenz Jazz), Nabil Atassi (Journalist), Ulf Drechsel (rbb Kultur) sowie Wolf Kampmann (Journalist, Buchautor, Dozent).

Weitere Informationen über das Antrags- und Vergabeverfahren sind im Internet zu finden unter: http://www.berlin.de/sen/kultur/foerderung/foerderprogramme/musik/

Die Antrags- bzw. Bewerbungsfrist für alle oben genannten Förderungsangebote endet am

19. September 2019 um 18.00 Uhr.

Für Tourneevorhaben im 2. Halbjahr 2019 wird es wieder eine zweite Antragsfrist geben, die voraussichtlich im April 2020 endet.

Anträge sowie alle Anlagen können elektronisch an die Berliner Kulturverwaltung abgesendet werden. Eine zusätzliche Abgabe von Unterlagen in Papierforum ist nicht notwendig.
Der Link zum Online-Formular sowie Informationsblätter zu Ausschreibungen genannten Förderungsangebote aller können im Internet unter

https://formular.berlin.de/jfs/findform?shortname=META&formtecid=4&areashortname=EGOKUEF

aufgerufen werden.


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Schreibwettbewerb für Kinder in der Stadtbibliothek Charlottenburg-Wilmersdorf zum Thema „Stadt – Land – Ich!“

Eberhard-Alexander-Burgh-Preis 2020 – Schreibwettbewerb für Kinder in der Stadtbibliothek Charlottenburg-Wilmersdorf zum Thema
„Stadt – Land – Ich!“

 

Im Herbst 2019 findet zum zweiten Mal ein Schreibwettbewerb um den Eberhard-Alexander-Burgh-Preis statt. Kinder der 4. und 5. Klasse in Charlottenburg-Wilmersdorf sind aufgerufen, ihre erlebten oder ausgedachten Geschichten zum Thema „Stadt – Land – Ich! Meine Geschichte aus Charlottenburg-Wilmersdorf“ einzusenden. Zehn Kinder erhalten für ihre von einer Jury ausgezeichnete Geschichte den „Eberhard-Alexander-Burgh-Preis 2020“ und gewinnen Bücherschecks im Wert von je 50 Euro. Zudem werden die besten Geschichten im Graphiti-Verlag Berlin veröffentlicht. Einsendeschluss ist der 12. Dezember 2019. Die Preisverleihung wird voraussichtlich im März 2020 sein.

Parallel zum Wettbewerb finden Schreibwerkstätten für Kinder der 4. und 5. Klasse in den Bibliotheken des Bezirks statt, die von erfahrenen Autorinnen und Autoren geleitet und vom Friedrich-Bödecker-Kreis im Land Berlin e.V. organisiert werden. Die Werkstätten sollen den Kindern helfen, sich dem Thema zu nähern, sowie erste spielerische Anregungen zum Geschichtenerzählen und -aufschreiben bieten.

Die Teilnahme an den Schreibwerkstätten ist kostenlos.

Lehrkräfte können ihre Klassen beim Friedrich-Bödecker-Kreis im Land Berlin e.V. (Tel.: 0176 – 52 51 88 75 oder burgh@fbk-berlin.de) für geschlossen Werkstätten anmelden. Vom 16. – 20.09. ist eine Aktionswoche vorgesehen, in der ein Großteil der Werkstätten durchgeführt werden wird.

Zudem können sich interessierte Kinder selbst für die offenen Schreibwerkstätten im Oktober in den Bibliotheken von Charlottenburg-Wilmersdorf anmelden. Weitere Informationen zu den Schreibwerkstätten und zum Teilnahmezettel gibt es im Internet unter www.fbk-berlin.de/burgh oder www.wir-bieten-vielfalt-einen-ort.de.
Jurymitglied und Kooperationspartner des Projekts ist der bekannte Autor Boris Pfeiffer („Die drei ???“, „Die Akademie der Abenteuer“), der auch einen Teil der Buchgeschenke sponsert. Gefördert wird das Projekt von der Eberhard-Alexander-Burgh-Stiftung. Der 2004 in Berlin verstorbene Schriftsteller Eberhard Alexander-Burgh (bekannt vor allem durch die Hörspielreihe „Hui Buh“) vermachte den Großteil seines Erbes dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf zur Förderung von Projekten für Kinder und Jugendliche.

Weitere Informationen unter: www.stadtbibliothek.charlottenburg-wilmersdorf.de, www.wir-bieten-vielfalt-einen-ort.de, www.fbk-berlin.de/burgh.


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Erinnerung an Cioma Schönhaus und Helene Jacobs …flitzen – verstecken – überleben?

 

Die Gedenkstätte Stille Helden (in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand) und das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg nehmen den 70. Jahrestag der Fabrik-Aktion 1943 zum Anlass, eine Handreichung über Rettung und Hilfe für Verfolgte von 1941 bis 1945 für den historisch-politischen Unterricht in der Schule zu veröffentlichen.

Ende Februar 1943 wurden in Berlin im Zuge der Fabrik-Aktion Tausende Jüdinnen und Juden festgenommen und in den folgenden Tagen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Obwohl diese Großrazzia systematisch und brutal durchgeführt wurde, gelang es etwa 4000 Verfolgten zu entkommen und sich in der Stadt und im Umland zu verstecken.

Jahrzehntelang wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, dass Jüdinnen und Juden in der Zeit der systematischen Deportationen von 1941 bis 1945 auch in Deutschland Hilfe und Rettung erfuhren. In der Forschung wurde dieses Thema ebenfalls lange Zeit marginalisiert. Dies hat sich erst in den vergangenen zwanzig Jahren geändert. Mit der Eröffnung der Gedenkstätte Stille Helden im Oktober 2008 in Berlin entstand schließlich mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ein zentraler Erinnerungsort, der seine Ausstellung den untergetauchten Jüdinnen und Juden und ihren Helferinnen und Helfern widmet.

In Berlin haben etwa 1700 als Juden Verfolgte im Versteck überlebt, in Deutschland insgesamt etwa 5000. Begründete Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 20.000 Frauen und Männer den Verfolgten aus unterschiedlichen Motiven geholfen haben. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist diese Zahl gering, aber sie ist größer, als lange angenommen wurde. Die Fallstudien zeigen, dass auch unter den Bedingungen der NS-Diktatur Hilfe möglich war und erfolgreich sein konnte.

Vier einführende Essays dienen der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Einordnung. Acht Fallbeispiele thematisieren Biografien sowohl von Verfolgten als auch Helfern. Diese kommen überwiegend aus Berlin und Brandenburg. Ein neuntes Beispiel stellt einen NS-Täter in den Mittelpunkt. Ein weiteres Kapitel präsentiert Zeitzeugenberichte zur Fabrik-Aktion. Die beiden Autoren haben für diese Handreichung aus dem umfangreichen Bestand des Archivs der Gedenkstätte Stille Helden zahlreiche bislang unveröffentlichte Quellen aufbereitet. Zu danken ist an dieser Stelle den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte Stille Helden, die in jahrelanger Recherche diesen wertvollen Quellenbestand erarbeitet haben, allen voran Claudia Schoppmann, Barbara Schieb und Martina Voigt.

Die Geschichten von Helferinnen und Helfern sowie von Verfolgten handeln von den Schwierigkeiten des Versteckens, von der Denunziationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft und vom mutigen Handeln einer Minderheit. Sie bieten eine fruchtbare Grundlage für die historisch-politische Bildung. Die Auseinandersetzung mit den Geschichten vom Helfen und Retten vermittelt historisches Wissen und regt zur Arbeit mit Quellen an. Die Arbeitsvorschläge eignen sich sowohl für einen individualisierten als auch einen kooperativen kompetenzorientierten Unterricht und geben Impulse für die historische Projektarbeit.

Alle beispielhaften Geschichten fordern zu der Frage heraus, inwieweit die Menschenrechte in der Gegenwart nicht nur normative, sondern auch praktische Geltung haben. Für junge Menschen ist die Beschäftigung mit diesen Geschichten wertorientierend im Sinne der Menschenrechte und stärkt die Demokratieerziehung.

Für Ihre Arbeit sei Ihnen viel Erfolg gewünscht.

Dr. Götz Bieber, Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM)

Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand


Gedenktafel in der Bonner Strasse, Künstlerkolonie Berlin Wilmersdorf

 

 

Zum vergrössern der Bilder auf das jeweilige Bild klicken



 

Entnommen Christoph Hamann und Beate Kosmala, flitzen – verstecken – überleben?

Hilfe für jüdische Verfolgte 1941–1945, Geschichten, Quellen, Kontroverse

Mit Beiträgen von Karoline Georg und Johannes Tuchel

© Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM);

Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin/Ludwigsfelde Juli 2013


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Briefe aus Stein – Buchempfehlung

In dem im September bei Metropol erscheinenden Buch «Briefe aus Stein» verfolgt Steven Robins anhand hunderter von 1936 bis 1943 geschriebener Briefe die Geschichte seiner Familie zwischen Südafrika und Deutschland.

“Letters of Stone” ist die Entdeckungsreise des südafrikanischen Anthropologen Steven Robins zu Leben und Schicksal der Familie seines Vaters im südlichen Afrika, in Berlin sowie im Vernichtungslager Auschwitz. Das Buch ist eine ergreifende Rekonstruktion einer Familiengeschichte, die in dem immer repressiveren und gewalttätigeren, letztlich tödlichen nationalsozialistischen Staat gefangen ist.

 

Er gibt dabei nicht nur Zeitzeug*innen und Hinterbliebenen eine Stimme. Robins untersucht ebenso wie aus Anthropologie, der Eugenik und der Ethnologie vermeintlich wissenschaftliche Grundlagen für den nationalsozialistischen Rassismus gelegt wurden. Am 19. September stellt er sein Buch in Berlin und am 23. September in Erfurt vor.


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Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS) in Paris

Exil in Paris und Hyères in den Jahren 1933 bis 1939

Rudolf Leonhard als „Ouartiermeister der Emigration” in Paris

Vergleicht man die Vielfalt und Intensität der politischen Aktivitäten Rudolf Leonhards, die er ab dem Frühjahr 1933 in Paris entwickelte, mit seinem zurückgezogen Leben bis zu diesem Zeitpunkt, so ist festzustellen, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 für den Dichter Rudolf Leonhard eine Zäsur in seinem Leben bedeutete, die ihn veranlasste sich wieder auf die politisch-literarische Bühne zu stellen.

Anders verliefen die Lebenswege seiner Kollegen TucholskyHasenclever und Friedrich Sieburg, die ebenfalls lange vor dem Beginn des Exil in Frankreich gelebt hatten. Tucholsky zog sich Ende 1932 völlig vom Literaturbetrieb zurück und stellte im März 1933 fest:

 

An einer etwa einsetzenden deutschen Emigrantenliteratur sollte [man] sich unter keinen Umständen beteiligen.”

 

Er war jedoch besorgt um seinen Freund Leonhard, dass dieser nicht Schaden nehme und sich hineinziehen lasse in politische Dinge, und er ihn dann nicht mehr zu Grabe trage könne, um anschließend … mit der Leiche noch einen Apéretiv zu nehmen.

Walter Hasenclever verfolgte aus Nizza entsetzt die Bücherverbrennung in Berlin. Trotz dieses starken Eindrucks blieb er der apolitische Dichter und schrieb an seinen Bruder:

Du weißt, ich habe es immer vermieden, mich mit Politik zu beschäftigen und möchte es heute weniger tun als je – und zwar [ … ] um meines Friedens willen! Ich lebe hier völlig zurückgezogen [ … ] mein ausschließliches Interesse gehört meinem Drama …

In den kommenden Exiljahren lebte der finanziell relativ gutausgestattete Hasenclever mal in London, mal bei seiner Schwester in Jugoslawien oder in der Nähe von Florenz. In keiner Weise engagierte er sich politisch.

Ein weiterer „AuslandsdeutscherFriedrich Sieburg, kannte Leonhardseit den frühen zwanziger Jahren aus Berlin; beide lebten seit Jahren in Paris. Dass Sieburg im ,,Excelsior” am 31.März 1933 erklärt hatte, er habe nach einem ausführlichen Gespräch mit Hitler den „besten Eindruck” vom Kanzler gehabt und nachdem er antisemitischeAusschreitung und die Pressezensur als ,,revolutionäre Übergangsmaßnahmen” verharmlost hatte, wirkte dies auf die Freunde und Kollegen im französischen Exil wie ein Schock. Der etwa vier Wochen später erschiene Aufsatz Leonhards in der von Henry Barbusse herausgegebenen Zeitschrift ,,Monde“, ist noch ganz von diesem Unverständnis getragen. Leonhard versucht in seinem Aufsatz die politische Wandlung Sieburgs nachzuzeichnen, schließt aber mit den bitteren Worten des enttäuschten Zeitgenossen:

,,Überlassen wir ihn seiner Selbstverachtung, die stets die Ergänzung seiner Eitelkeit und krankhaften Hofart war, jenes morbiden Schmerzes, den man so leicht in seinen unruhigen Zügen liest, falls man in Pariser Straßen seinen Weg kreuzt.“

In einem Gespräch beschrieb Rudolf Leonhard 1947 sehr emotionslos und knapp diesen einschneidenden biographischen Umschwung:

,, … ich war also Auslandsdeutscher. Aber eines Tages musste ich feststellen, dass ich Emigrant war: in Deutschland war eine neue Regierung gebildet worden. Ich konnte nicht mehr zurück. Bald darauf wurde ich ausgebürgert.”

 

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland änderte Leonhards Lebensbahn in ähnlich abrupter Weise, wie das Kriegsgeschehen des Weltkrieges. Der Emigrant Leonhard war nun einer den 25000 deutschen Flüchtlingen, die bis zum Juni 1933 in Frankreich eine erste Zuflucht gefunden hatten. Der Exilant Rudolf Leonhard hatte jedoch den Vorteil, seit fünf Jahren im Exilland Frankreich zu leben und zu arbeiten und die französische Sprache perfekt zu beherrschen. Bis 1934 wohnte Leonhard weiter in Hasenclevers Wohnung in Clamart und an Mittellosigkeit als einen finanziellen Dauerzustand war er seit Jahren gewöhnt.

Schon im April 1933 beteiligte sich Leonhard an der Gründung der ,,Ligue des Combattants de la Paix“. Zusammen mit Albert Einstein war er Präsident der deutschen Sektion.

Am 22. April 1933 sprach Leonhard über ,,La culture fasciste et La culture revolutionaire” im Pariser ,,Salle du Grand Orient’ und einige Wochen später war er Mitbegründer des „Comite d’Aide aux victimes dufascisme hitlerien“, das sich, indem es Vertreter vieler Hilfskommitees zusammenfasste, um die Gesamtheit der deutschenAüchtlinge kümmerte. Leonhard war hier zusammen mit Andre Breton, Henri Barbusse und Madeleine Paz im Vorstand des Komitees, aber auch als Mitglied des „Komitee zur Befreiung von Ernst Thälmann“.

Die neue Ordnung in Deutschland von Paris aus zu bekämpfen war das Ziel der Wochenzeitung „Die Aktion/ L’action“, die Rudolf Leonhard zusammen mit Maximilian Scheer (damals noch Walter Schlieper) ab Mai 1933 herausgab.

Leonhard, Schlieper, Alfred Kantorowicz und Vladimir Pozner gaben in den ersten zehn Monaten der „Aktion/L’action” ihr Gesicht. Das Redaktionskollegium arbeitete mit Leidenschaft und Freude für das Blatt:

 ,,Es waren hochgestimmte Nächte: wir hatten aufschreiben können, was wir dachten, wenigsten wichtiges davon; wir konnten es drucken, veröffentlichen.

Nach etwa zehn Monaten des Erscheinens wechselte die Zeitung nach den Angaben Scheers den Besitzer, und die gesamte Redaktion wurde von dem neuen Herausgeber ausgetauscht. Die Journalisten Georg Bernhard und Kurt Caro übernahmen nun die redaktionellen Arbeiten und setzten andere Schwerpunkte. Hatten Leonhard, Schlieper, Kantorowicz und Wladimir Pozner den Kampf und politische Aktionen gegen den NS-Staat in ihren Beiträgen gefordert, aber auch die Einheitsfront diskutiert, so berichteten die neuen Redakteure vom deutschen Emigrantenleben in Paris und führten eine Anzeigen-Rubrik ein, die auch private Nachrichten aufnahm.

Im Frühjahr 1934 wurde die letzte Nummer der „Aktion/L’action” ausgeliefert. Der Verlust dieser Zeitung schmerzte Leonhard noch Jahre später.

 

in das Ausland verlegt

Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS) in Paris

Neugründung und Arbeitsweise des SDS

 

Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin setzte für die deutschsprachigen Schriftsteller ein deutliches Zeichen der Bedrohung ihrer Arbeit und ihres Lebens durch die nationalsozialistische Regierung. Zwei Wochen später auf dem Internationalen PEN – Kongress, der vom 25. bis 28. Mai 1933 in Ragusa stattfand, war die deutsche PEN ­Gruppe (trotz der flammenden antifaschistischen Rede Ernst Tollers) in ,,Einklang mit der nationalen Erhebung” gebracht worden.

Die seit 1908 in Deutschland arbeitende gewerkschaftliche Interessenvertretung deutscher Autoren, der „Schutzverband Deutscher Schriftsteller“, war bereits am 11.März 1933 durch die Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftstellerunter der Führung von Hanns Heinz Ewers vereinnahmt worden. Am 31. Juli 1933 trat der Schutzverband Deutscher Schriftsteller dem „Reichsverband Deutscher Schriftsteller” bei.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich im Exilzentrum Paris Ende Mai 1933 deutsche Autoren trafen, um über eine Vertretung deutschsprachiger exilierter Schriftsteller zu diskutieren. Im „Gegen-Angriff’ lasen sich diese ersten Bemühungen schon sehr administrativ. Hier konnte man lesen, dass sich ein „ vorbereitendes Komitee eines (in Kürze zu bildenden) Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller– Ausland” gebildet hatte und alle Vertreter des „wahren, vom 3. Reich verfolgten Schrifttums” sollten sich anschließen.

Rudolf Leonhard wird von Alfred Kantorowicz als Initiator benannt:

„Wenn von der Sammlung der exilierten deutschen Schriftsteller in Paris und derBegründung des Schutzverbandes Deutscher Schriftstellerim Exil die Rede ist, muss man ihn wohl an erster Stelle nennen.”

 

In der kurze Zeit darauf folgenden Ankündigung der ersten Versammlung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller SDS) am 9. Juni 1933 in der Pariser Mutalite hieß es:

 

Anna Seghers 1935 in Paris

 

,,Sind unsere Verträge mitverbrannt? Zur Lage sprechen: Botho Laserstein, Rudolf Leonhard, Gustav Regler. [ … ] Gäste willkommen. Für den Vorstand gez. Rudolf Leonhard, Willi Wohlfrad, David Luschnat, Anna Seghers.”

 

Zu diesem ersten SDS­ Abend ging auch der Freundeskreis um Klaus Mann. Mann selbst notierte etwas ernüchtert die Begebenheiten dieses ,,langbesprochenen Abends” in sein Tagebuch:

,,Zuerst Holitscher, Rudolf Leonhard, Magnus Hirschfeld (schöner alter Märchenonkel) u.s.w. gesprochen. Erst endlich reden. Leonhard, recht matt. Ein jüdischer Anwalt zur ,Rechtslage’ – hoffnungslos, kein neues Wörtchen. Am interessantesten Apfelüber die Lage. Dann meine Vorlesung der Benn Briefe; freundliche Aufnahme, ganz würdevoll deklamiert. Kischliest noch eine Antwort. Kurze Auseinandersetzung mit Wieland Herzfelde. [ … ] Spüre keine großen Resultate des Abends.”

 

Große Resultate waren auch auf den nächsten Versammlungen nicht zu erwarten, ging es den Organisatoren, in deren erster Reihe Leonhard stand, darum, die exilierten deutschsprachigen Schriftsteller zu sammeln. So war das Thema dieser ersten Versammlung „Sind unsere Verträge mitverbrannt ?” für viele Autoren nicht von so großer Bedeutung, wie die Frage, welche Veröffentlichungsmöglichkeiten sich für deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich ergeben könnten. Zu diesem Problem sprach der französische PhilosophPaul Nizanin einer nächsten Versammlung, die möglicherweise von Rudolf Leonhard initiiert und vorbereitet worden war.

 ,,…Barbusse begleitet von Nizan kam zu uns, um uns in Frankreich zu begrüßen und, in schönster Kameradschaft, über unsere Lebens-, Kampf- und Arbeitsmöglichkeiten mit uns zu sprechen … “, berichtete rückblickend Rudolf Leonhard.

In der Versammlung am 30.Oktober 1933 wurde offiziell die Neugründung des „Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller – Ausland” in Paris bekannt gegeben. Als Erster Vorsitzender wurde Rudolf Leonhard gewählt, Alfred Kantorowicz wurde Generalsekretär und David Luschnat war bis Juni 1934 Sekretär und Schriftführer der Vereinigung.

 

Gedenktafel für die deutschen und österreichischen Flüchtlinge am Fremdenverkehrsbüro in Sanary-sur-Mer

 

Im Vorstand arbeiteten

Gustav Regler und Anna Seghers mit. Rudolf Leonhard hatte die Funktion des Ersten Vorsitzenden des (einige Quellen sprechen auch von Leonhard als Präsident) bis zum Verbot des SDS im Herbst 1939 inne.

So hatten die deutschsprachigen Autoren in Paris mit der Gründung ihrer Vertretung keinesfalls „einem von Goebbels beherrschten Verband das Recht zugestehen (können), die deutsche Literatur vor der Welt zu vertreten”, so Alfred Kantorowicz.

Trotz des leidenschaftlichen Kampfesgeist, den Kantorowicz hier zeigte, stellte Leonhardfünf Jahre nach der Neugründung des SDS ehrlich fest:

,,Es waren wohl anderthalb Dutzend Leute versammelt, und ich glaube wohl, dass keiner sich der Möglichkeit, die es für unser Unternehmen gab, wirklich voll bewusst war: wir hatten Mut und Willen, aber gar keine Übersicht.”

Der nun neugegründete SDS wies kaum personelle Kontinuitäten zur Berliner Gruppe des Schutzverbandes vor 1933. Heinrich Mann fasste die Umstände der Neugründung des SDS bündig zusammen:

„Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller ist, infolge vorrübergehender Umstände, in das Ausland verlegt worden. Er bleibt, was er immer gewesen ist, die berechtigte Vertretung der deutschen Literatur.”

In dieser neugegründeten Interessenvertretung  „Schriftsteller aller sollten antinationalsozialistischen Richtungen [ … ]  und kameradschaftlich” zusammenarbeiten.

Der SDS wollte als gewerkschaftliche Vertretung der Schriftsteller Hilfe in Notlagen anbieten (was der SDS jedoch mit seinen geringen Mitteln kaum leisten konnte) und wichtiger Austauschplatz für deutschsprachige Autoren sein, die durch das Exil von ihrem Publikum und ihrem Sprachraum abgeschnitten worden waren. Da die von Heinrich Mann genannten „vorübergehenden Umstände” nicht wie erhofft vorübergehend waren, wurde innerhalb des SDS ein wichtiges literarisch-politisches Forum Austauschplatz geschaffen: die „Montagsabende“.

 

Die „Montagabende” des SDS als Spiegel

der Arbeiten des literarischen Exils in Paris

Diese Abendveranstaltungen, die immer auf einen Montag gelegt wurden, fanden zunächst einmal im Monat, sehr bald jedoch wöchentlich im „Café Mahieu” und später im Souterrain des „Café Mephisto” am Boulevard Saint-Germain statt.

 

Boulevard Saint-Germain

 

Leonhard beschrieb diese ersten Veranstaltungen humorvoll in seinem Rückblick: „Dann kamen die ersten Abende, im Hinterzimmer des Café Mahieu, dessen Bänke damals so unbequem gestellt waren, dass die Hälfte der Anwesenden nur mit schrecklichen und schmerzhaften Halsverrenkungen den Redner sehn konnte.”

Diese Abendveranstaltungen wurden zum Herzstück des Verbandes und waren Spiegel der Arbeiten des literarischen Exils. Der Verband verfügte nur über sehr geringe Mittel, denn die exilierten Autoren konnten aus ihren bescheidenen Einnahmen kaum die monatlichen Mitgliedsbeiträge entrichten:

„Wir erheben monatlich fünf französische Franken, ab 1. Januar 1935. Für eine Reihe unsere Mitglieder – den meisten geht es ja elend schlecht, dem Rest im besten Fall nur schlecht – ist sogar dieser Beitrag eine Belastung,”

 

klagte der Schatzmeister des SDS in einem Brief. Trotzdem bildete nicht die finanzielle Hilfe für die vertriebenen deutschsprachigen Autoren das Kernstück der Arbeit des SDS, sondern die Diskussionsforen. Aber auch diese waren oft finanziell gefährdet:

„Die wirtschaftliche Lage unserer Mitglieder ist so schlecht, dass wir die Mitgliedsbeiträge überhaupt nicht in Rechnung stellen können, und jede Veranstaltung bedeutet daher nicht nur ein Risiko, sondern eventuell eine Gefahr,” berichtet Leonhardüber den finanziellen Notstand des SDS 1938.

 

Die Arbeit des neugegründeten SDS war anders gewichtet als die des SDS bis zum Februar 1933 in Berlin:

,,Die rein gewerkschaftliche Arbeit spielt eine ganz geringe Rolle,”

resümierte Leonhard fünf Jahre nach der Gründung. Er begründet diese Entwicklung so:

 

,,… weil die Verengung des ,Marktes’ kaum Konflikte zulässt; freilich ist die Frage der Fortführung der Produktion und gar die Frage des Nachwuchses das, was uns am ernstesten belastet. Wir machen einige Versuche, wie den mit dem Heine Preis, ohne natürlich viel erreichen zu können.

 

Der Heinrich-Heine-Preis war ein Preis, der einmal im Jahr an deutschsprachige Nachwuchsautoren im Exil vergeben wurde. Rudolf Leonhard hatte ihn ins Leben gerufen. Mit dieser Ehrung war ein Preisgeld und Veröffentlichung der Preisträgerarbeit verbunden. Ende September 1935 wandte er sich an der Amsterdamer Allert de Lange Verlag um eine solche Veröffentlichungsgarantie zu erhalten. Er fragte an ob man „sich dem SDS gegenüber dazu verpflichten (könne), das mit dem Preis ausgezeichnete Werk jeweils – mit allen verlegerischen Pflichten – in Verlag zu nehmen … “. Der Verlag wollte sich jedoch nicht auf eine solche Vereinbarung einlassen, bot jedoch an, das eingereichte Manuskript “selbstverständlich ernsthaft” zu prüfen.

 

Heinrich Heine Preis

 

Erstmals wurde der Heinrich-Heine-Preis 1936 vergeben für den Roman „Die Fischmanns” von Henry William Katz. In der Jury lasen „die große Anzahl [ … ] zur Überprüfung eingereichter Manuskripte” neben Anna Seghers, Bruno Frank, Hans Sahl und Hans Marchwitza auch Rudolf Leonhard.

Der Roman konnte im Oktober 1937 bei Allert de Langein Amsterdam erscheinen, was den beiden nachfolgenden Preisträgern nicht mehr vergönnt war.

In den beiden folgenden Jahren erhielten Elisabeth Karr und Henryk Keisch den Preis.

Noch vor der offiziellen Gründung des SDS diskutierten Rudolf Leonhard, Hanns Eisler und Fritz Kortner im Juli 1933 über aktuelle Probleme des Films. Es folgten noch im selben Jahr eine große Zahl Autorenabende.

Hier lasen u.a. Anna Seghers, Egon Erwin Kisch und Theodor Plivier. Im folgenden Jahr 1934 wurden diese Autorenabende fortgesetzt mit Lesungen u.a. von Gustav Regler, Theodor Balk, Egon Erwin Kisch.

Die Vortrags- und die Diskussionsabende waren ein weiteres kommunikatives Standbein der „Montagsabende” im SDS. So sprach im gleichen Jahr Erwin Piscator über das politische Theater (am 16. Juni 1934).

,,Die Bedeutung des Moskauer Schriftstellerkongresses für die zeitgenössische Literatur”

wurde vor fast 400 Zuhörern erörtert (am 15. Dezember 1934). Es fanden u.a. Diskussionsabende zu den Themen „Der Reichsverband deutscher Schriftsteller und wir” (am 1. Juni 1934) oder „Die Aufgaben der Intellektuellen in der Emigration” (am 25.Mai 1934) statt.

Im folgenden Jahr 1935 findet sich auch Leonhards Name als Autor und Redner im Veranstaltungskalender des SDS. Er las aus eigenen Werken am 31.März 1935 und hielt am 23.Mai 1935 zur Geburtstagsfeier von Egon Erwin Kischeine Rede. Am 3 Juni 1935 sprach Leonhard auf der Versammlung „Victor Hugo, der große Emigrant” zu dessen 50. Todestag.

,,Wir tagen hier jede Woche 100 Teilnehmer stark; wir können mit der Arbeit im gegenwärtigen Augenblick sehr zufrieden sein. Es ist uns gelungen, in der Tat hier das literarische Zentrum für die deutsche Emigration zu bilden, ohne dass es bisher auch nur die geringsten Reibereien und zu anderen als sachlich fruchtbaren Intellektuellen Auseinandersetzungen gekommen ist,”

 

resümierte der Generalsekretär Kantorowicz nach knapp zwei Jahren SDS-Arbeit.

Rudolf Leonhard bereitete nicht nur die „Monatsabende’” vor, sondern er leitete auch einen großen Teil dieser Veranstaltungen. Henryk Keisch, 1933 ein „junger Emigrant vom Rhein”, der sich in Paris als Student eingeschrieben hatte, berichtet davon. Er erlebte Leonhard auf vielen ,,Montagsabenden” und beschreibt ihn in einem kurzen Essay:

,,Ein schmales Gesichtmit vorspringender Vogelnase, der kluge scharfe Blick auffallend blaue Augen, ein kahler Schädel, am Handgelenk ein dünnes Goldkettchen mit Medaillon, Pfeifenraucher. Wenn er aufstand und nach einem etwas anachronistisch-koketten Spazierstock mit Elfenbeinknauf griff, merkte man mit Staunen, dass er viel kleiner war, also man vermutet hatte. Er leitete die Abende mit Souveränität, Gewandtheit und rethorischer Eleganz. [ … ] Er kannte alle, hatte von allen alles gelesen, wusste jedem etwas Angenehmes zu sagen, die Diskussion anzuregen und aufs Wesentliche zu lenken, das Allgemeine mit dem Aktuellen, das Grundsätzliche mit dem Konkreten und Praktischen zu verknüpfen. Er war die Seele des Ganzen. Er wusste das wohl auch.”

 

Zudem versuchte Leonhard in diesen Jahren die Arbeit der Schriftstellervereinigung in der Exilpresse bekannt zu machen. In der Verbandsschrift „Der Deutsche Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller” und in der „Neuen Weltbühne” erschienen seine Arbeitsberichte.

 

Vier Jahre nach der Neugründung konnte Leonhard für die SDS-Mitglieder nicht ohne Stolz feststellen: Dass

„…trotz großer Schwierigkeiten materieller und ideeller Natur eine umfangreiche Tätigkeit entfaltet [wurde.] [ … ] Die kulturpolitischen Aufgaben erstreckten sich in der Berichtszeit im wesentlichen auf drei Gebiete 1) Spanien, 2) Deutschland 3) die Emigration.”

Der Deutsche Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller

 

Kleine Animositäten, wie sie wohl in jeder Künstlervereinigung auftraten, gab es auch im SDS: ,,Als Döblin einmal im Schutzverbande war, wurde er in der Diskussion von irgendjemand als ,Kollege’ Döblin angeredet oder bezeichnet. Darüber regte sich nachher jemand – ich glaube mich mit Bestimmtheit zu erinnern, das es Hermann Kesten war – der rief: ein Döblin sei kein Kollege! Unheimlich und kleinlich, unheimlich kleinlich dieses Bedürfnis, sich immer und überall als Genie und als einzigartig zu fühlen und zu sehn.”

Die Schwierigkeiten nahmen jedoch 1938 weitere Formen an. Leonhard skizzierte sie in seinem Rechenschaftsbericht über die SDS Arbeit von Anfang März 1938:

,,Das Leben und die Tätigkeit deutscher Schriftsteller ist von einigen Schwierigkeiten gekennzeichnet [ … ] Diese Schwierigkeiten waren die Affaire des Pariser Tageblattes und das Verhältnis zu den Vorgängen in Sowjetrussland. Für die Affäre des Pariser Tageblattes hatte der Vorstand des Schutzverbandesden Beschluss gefasst, dass die Sache ihn nichts angehe und dass er sich auch zu dem durch die Affaire entfesselten Streit mit Schwarzschild um so weniger zu äußern brauche, als niemand der Beteiligten Mitglied des Schutzverbandesist.

 

Immerhin hat diese Affaire zur Gründung einer anderen Schriftsteller-Organisation geführt, des Bundes für freie Presse und Literatur. Die meisten Schriftsteller, die dort Mitglieder sind, gehören zum Typus der leicht Verärgerten [ … ] die immer Angst haben, eingewickelt und erdrückt zu werden.[ … ] Die Mitglieder dieser Vereinigung, die dem Schutzverbandangehört haben, sind Mitglieder des Schutzverbandes geblieben; und der Schutzverbandist gewillt, sie unter keinen Umständen abzustoßen; wenn es, mit einem von ihnen oder mit allem zum Bruch kommt, soll er nicht vom Schutzverband ausgegangen sein.”

Diese drei aufgeführten Problemkreise beschäftigten den SDS – Vorsitzenden Leonhard und den Schriftsteller Leonhard in starkem Maße.

Bei der Klärung der Affaire „Pariser Tageblatt” wurde ein Untersuchungsausschuss des Verbandes Deutscher Journalisten in der Emigrationgebildet, der jedoch zu keinem eindeutigen Urteil zu diesem „Tageblatt – Putsch” kam.

Dieser Konflikt spaltete den Verband und achtzehn Mitglieder gründeten den „Bund Freie Presse und Literatur’‘ am 4 Mai 1937.

Gründungsanzeige des Bundes Freie Presse und Literatur 1937

 

Der neue Verband machte dem SDS Sorgen, weil er wie Heinrich Mann in einem Brief an seinen Neffen Klaus urteilte, keine anderes Ziel habe, als der Sprengung des „Ausschusses zur Bildung der Volksfront,” zu betreiben.

Die Prozesse in der Sowjetunion 1936 gegen Sinowjew und Kamenew u.a., 1937 der „Prozess der 17″ gegen Radek u.a. und der Prozess gegen Marschall Tuchatschewski waren in der Pariser deutsch-sprachigen Emigration ein viel diskutiertes Thema. Auch Leonhardbeschäftige es sehr. Als er schon in Hyères am Mittelmeer lebte notierte er in sein Tagebuch:

Früh kam Solinger [ … ] Wovon wir auch sprechen wir kommen auf dieSowjetunion; es ist zum Verzweifeln, wenn er und Erwin[Piscator] mir immer sagen ,X ist verhaftet’ und ,Y ist weggegangen'”. Er schrieb an seinen Freund Scheer nach Paris von dem literarischen Plan, einer Broschüre mit einem „Artikel ‘über das erste Buch von Gide (der geschrieben ist), einen über das zweite Buch, einen über die Moskauer Prozesse (für den ich besonders gute Argumente habe), den aus der Warte,eine Fortsetzung, einen über die wolgadeutsche Verfassung …. “, und er dachte in diesemSommer 1937 in Hyères über eine Broschüre mit dem Titel „Stalinphobie” nach und entwarf hierzu schon das Vorwort.

 

Im Januar des folgenden Jahres konnte er in der Pariser Tageszeitung einen Artikel zu Prozessen in Moskau veröffentlichen. In seinem Bericht vom Frühjahr 1938 betonte Leonhard neben diesen problematischen Themen im SDS, die den Verband erschütterten, dass der SDS in hervorragender Weise bei allen wichtigen Unternehmungen der „Gesamtemigration”, wie „Fünf Jahre Hitler” und bei der „Spanienarbeit (an der wir um so stärker beteiligt sind, als ich außer dem Vorsitz des Schutzverbandes auch den des Spanien Hilfskomitees führe)”, mitwirkte.

Erschwerend kam jedoch für diese breitgefächerte Arbeit des SDS hinzu, dass

,,… unsere besten Leute in Spanien sind, und dass wir Mühe haben, unsere Arbeit durchzuführen[ … ]es fehlt uns nicht nur an Leuten für die laufende Arbeit, sondern auch an Vortragenden,”

resümierte Leonhard.

Nicht nur Leonhard, auch Alfred Kantorowicz als Generalsekretär beteiligte sich als Organisator und Ideengeber an der intensiven Kleinarbeit, die der Verband forderte.”

Gedenktafel für Alfred Kantorowicz am Haus Kreuznacher Straße 48 in Berlin-Wilmersdorf


Entnommen der Dissertation von Frau Bettina Giersberg zu ”
Die Arbeit des Schriftstellers Rudolf Leonhard im französischen Exil 1933 bis 1945,
2005, TU Berlin

© mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Bettina Giersberg
Leiterin des Museums des Landes Glarus
www.freulerpalast.ch

 

 


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Kulturaustauschstipendien des Landes Berlin – Comic/Graphic Novel: Paris

1 Stipendium à 6 Monate – November 2020 bis Ende April 2021

Zielgruppe / Ziele der Förderung

Das Stipendium ist für die künstlerische Entwicklung von professionell arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern bestimmt. Der Auslandsaufenthalt soll ihnen ermöglichen, Verständnis und Kenntnis der Kultur des Gastlandes zu erwerben, Entwicklungen der Szene vor Ort zu studieren, Kontakte zu knüpfen, Ideen auszutauschen, Anregungen zu gewinnen und vor Ort ein künstlerisches Projekt zu realisieren. Hierfür stellt die ausländische Partnerinstitution eine Atelierwohnung zur regelmäßigen Aufnahme Berliner Künstlerinnen und Künstlern bereit.

Voraussetzungen

  • Die Künstlerinnen und Künstler sind durch ihre künstlerische Arbeit ausgewiesen und belegen dies mit entsprechenden Arbeitsproben.
  • Während des Auslandsaufenthalts besteht Präsenzpflicht vor Ort.
  • Die Bewerberinnen und Bewerber leben und arbeiten in Berlin.
  • Die Künstlerinnen und Künstler sind an keiner Hochschule immatrikuliert.
  • Ehemalige Kulturaustauschstipendiaten, deren Auslandsaufenthalt vor zwei Jahren endete, können sich erneut bewerben.

Umfang der Förderung

Das Stipendium beträgt monatlich 2.500 € pauschal und mietfreie Nutzung der Atelierwohnung im Ausland.

Während des Auslandsaufenthaltes betreut die Partnerinstitution die Berliner Künstlerinnen und Künstler und vermitteln auf Anfrage Kontakte zur lokalen Szene. Auch die Goethe-Institute stehen als Kontakt zur Verfügung. Die von der Partnerinstitution organisierten Veranstaltungen (offene Ateliers, Ausstellungen, Künstlergespräche) bieten den Berliner Künstlerinnen und Künstlern Gelegenheit, ihre Arbeit vor internationalem Publikum zu präsentieren.

Ausländische Partnerinstitution

Zeitraum der Ausschreibung

Die Stipendien werden in der Regel jeweils im Juni eines Jahres für Aufenthalte im darauffolgenden Jahr ausgeschrieben.

Antragsstellung

Beachten Sie bei der Antragstellung unbedingt die weiteren Hinweise im jeweiligen aktuellen Informationsblatt.

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