70 Jahre Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V.

Wir gratulieren
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Wie haben sich die Bedingungen von Künstlerinnen und Künstlern in den vergangenen 30 Jahren und im Zuge der Digitalisierung geändert? Das zeichnete Nina George in ihrem Eröffnungsvortrag zur Tagung „Digitale Kultur / Kultur des Digitalen“ mit einer Zeitreise, Fakten und Daten aus den wesentlichen Kunstbereichen in Düsseldorf nach.
Dieser folgende Auszug mit Bezug auf die Buchbranche ist mit freundlicher und exklusiver Genehmigung der Autorin im Syndikat-Jahrbuch sowie auf BUCHSZENE.DE einsehbar.
2001 veröffentlichte Stephen King seine nur als E-Book erhältliche Novelle „Riding the Bullett“, sie kostete 2,50 Dollar, wurde in zwei Tagen eine halbe Million Mal geladen; ein Großteil gratis bei amazon.com. Nach zwei Tagen wurden die ersten illegalen Kopien herumgereicht und die Computer-Zeitschrift PC Welt brüstete sich, einen Weg zum Ausdrucken des 2,50-Dollar-Werkes gefunden zu haben. Auch andere Computerzeitschriften begannen mit ihren praktischen Leitfäden, wie ihre Leser im Internet an Umsonst-Kulturwerke kommen können. Illegal? Ist doch egal. Hier ein höfliches: „Ihr seid doch die Stradivaris unter den Arschgeigen“ fürs Protokoll und für Matthias Hornschuh, der es mag, wenn ich öffentlich ausfallend werde.
In der Buchbranche sanken die vertraglich vereinbarten Erlöse für die elektronische Buchverwertung; 2008 – also noch vor Einführung von Tablets und leistungsstarken Smartphones mit Lese-App – lagen sie bei 25 % auf den Verkaufspreis für die Autoren, inzwischen sind es 20 % des so genannten Nettoverlagserlöses – Kaufpreis minus Rabatte minus Kosten, die der Distributeur zwar nicht aufschlüsselt, aber in Rechnung stellt. Die Technik diktiert den Wert der Kultur.
Bei einem meiner Experimente in den 37 Märkten, in die ich zurzeit Lizenzen verkaufe, erhielt ich bei einem Flatrate-Modell 1 Cent pro Download. Mein Steuerberater weinte sehr. Bezahlen musste ich ihn trotzdem in voller Höhe. Debütautorinnen erhalten heute im Schnitt zwischen 0 und 1500 Euro Vorschuss. Jeder zweite Vorschuss spielt sich nicht ein.
In den USA und Großbritannien haben sich die Einkommen der Schriftstellerinnen in zehn Jahren halbiert. Als Gründe werden sinkende Vorschüsse, Flatrate Kannibalisierung und Piraterie angegeben.
Sieben Prozent des weltweiten Piraterie-Traffics sind E-Books und Scans, es geistern rund zwei Millionen Werke auf illegalen Portalen umher, dazu kommen noch 15 Millionen urheberrechtlich geschützte Bücher von 35.000 Verlagen, 40 Universitätsbibliotheken und in 400 Sprachen, die GoogleBooks eingescannt und veröffentlicht hat – und dabei das Europäische Urheberrecht ignoriert (die Klage gegen Google wurde 2015 zurückgewiesen). Ein beliebtes Weihnachtsgeschenk ist ein E-Book-Reader wie ein Kindle oder Tolino, aufgefüllt mit eintausend illegal kopierten E-Book-Dateien. Frohes Fest allerseits.
Wer denkt, super, geh doch ins Selfpublishing: Die beliebtesten Bücher bei Amazon kosten zwischen 99 Cent und 2,99 Euro. Das ist jene Preiskategorie, in der Amazon 70 Prozent der Erlöse für sich behält. Und das Recht auf ewige Nutzung. Ja, ewig. Es leben die AGB in Augenstreuschrift. Natürlich, es gibt sie, die erfolgreichen Selfpublisher oder die gewieften Hybrid-Autorinnen. Aber auch ihnen schnürt Amazon das Einkommen nach und nach ab, mindert die Ausschüttung für gelesene Seiten, ignoriert Betrüger und Plagiatoren, und promotet inzwischen mehr seine eigenen Verlagslabels als Selfpublisher.
Debütantinnen wissen, dass sie, in Zeiten, in denen jedes Jahr 400.000 deutschsprachige Werke erscheinen – ja, 400.000: traditionell verlegte, selbstverlegte, wiederaufgelegte – zwecks Sichtbarkeit mehr Zeit mit Selbstbewerbung im Netz zu tun haben werden als mit Schreiben. Werbung ist für sie eine existierende Währung, während es für mich nur eine faule Ausrede ist.
Als die Lufthansa mich neulich fragte, ob ich mein Audible-Hörbuch nicht 25 Millionen Gästen jährlich auf Langstreckenflügen zur Verfügung stellen wollte, fragte ich nach den Konditionen. 150 Euro. Pauschal. Einmalig. Weil: Es sei ja Werbung für mich. Wenn ein Hörbuch mit acht Stunden Länge auf einem Flug von zwölf Stunden gehört wird. Meiner Argumentation, dass ich dann gerne unbegrenzte Freiflüge hätte, weil: Das sei ja Werbung für Lufthansa, wollten sie seltsamerweise nicht folgen.
Wenn sie ins Selfpublishing gehen, zahlen sie Cover-Art, Lektorat, Typo, Satz und ISBN, einen digitalen Videotrailer und plagen sich mit Fake-Rezensionen ihrer Konkurrentinnen herum, die auf Amazon Verrisse texten. Sie wissen, dass kaum fünf Prozent unserer Zunft, egal ob Verlagsautorin oder Indie, ausschließlich vom Veröffentlichen den Alltag zahlen kann, und dass die meisten einen Hauptberuf haben, das Finanz-Modell „Ehepartner“ oder schreibnahe Zusatztätigkeiten wie Lehren und Übersetzen ausüben.
Selfpublishing professionalisiert sich, ja, und jüngst habe ich Perlen entdeckt, wie das Tagebuch einer Ärztin der Flüchtlingshilfe, oder das ultimative Thermomix-Rezeptebuch. Auch genießen neunzig Prozent aller Autoren und Autorinnen, die Kommunikation digital – mit Kollegen, mit Leserinnen, sie recherchieren mit dem Finger auf der Google-Map-Karte und lieben das Prokrastinieren bei Facebook. Früher war eben auch nicht alles lustiger.
Debütantinnen wissen allerdings auch, dass bei jedem Onlinekontakt mit dem Distributor eines E-Books, das Lesegerät Nutzerdaten an den Server funkt. Der Flatrate-Anbieter readfy weiß z.B., dass die Zielgruppe für ihre erotischen SM-Schmonzetten Männer über 59 und Frauen zwischen 21 und 29 ist. Ob man sich das so intensiv vorstellen will, ist eine andere Sache. Der US-Verlag Coliloquy verkauft Erkenntnisse aus Leserdaten an Autorinnen zurück. Welche Eigenschaften schätzen sie an Protagonisten? Heldinnen, die sowohl stark als auch sensibel sind, langhaarig und langbeinig, und männliche Protagonisten, die groß sind, dunkel, grünäugig und moderat behaart auf der Brust. Das ist ganz wichtig: Haare auf dem Kopf ja, Haare auf der Brust: nein.
In England schließen die Hälfte der Buchläden. Jeff Bezos verdient 260 Millionen Dollar am Tag. Die GAFA-Connection, Google, Apple, Facebook und Amazon, setzen zusammen mehr um als die ersten dreißig DAX-Unternehmen. Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender nutzen unsere Arbeit, von Fernsehkomponistinnen, Hörfunkjournalisten, Fotografen, Kameramännern, Dokumentationsfilmern, Synchronsprechern – ohne die Nutzung zu dokumentieren oder zu vergüten.
Sprecher für Hörbücher haben immer weniger Jobs für weniger Geld, da der Gigant Audible, eine Amazon-Tochter, 98 Prozent des digitalen Vertriebs hält und Verlage zwingt, Hörbücher in die Flatrate, sein Abomodell, zu geben und damit seine Marktmacht auszubauen. Als ich jüngst dagegen protestierte, verlangte der zwischengeschaltete Hörbuchverlag fünfzig Prozent meines Vorschusses zurück. Die Erpressung Amazons wurde unmittelbar an mich weitergegeben.
Am selben Tag erhielt ich einen Brief einer Leserin aus Indien. Er war sehr zärtlich. Ich genieße die virtuelle Nähe zu Menschen, die mich lesen. Egal auf welchem Weg. Als freie Journalistin erhalte ich nur noch zwischen 25 und 50 Prozent dessen an Texthonorar, was noch 2003 üblich gewesen ist. Ich beendete meine Kolumne beim Hamburger Abendblatt 2011; mein Nachfolger erhielt 0 Euro, da, Zitat der Redaktion, eine Kolumne mit Bild doch „Werbung“ für ihn sei.
Journalisten, die Anfang des Jahrtausends mit der Hälfte des Printhonorars entlohnt wurden, wenn ihre Texte online erschienen, erhalten heute für die Online-Verwertung: nichts. Selbständigkeit für Journalisten, Literaturkritikerinnen, Fußballblogger ist eine Option, natürlich: nur funktionieren die Bezahlmodelle nicht breitflächig, weder freiwilliges Zahlen der Leser, noch Crowdfunding. Aber sie machen sich einen Namen. Sie stärken ihr Profil – Sichtbarkeit und unbezahlte Eigenleistung werden so zur Ersatzwährung, zur Investition in eine ungewisse Zukunft. „Fotografen der freien Tageszeitungen dürfen froh sein, wenn ihr Name unter einem Bild steht und sie fünfundzwanzig Euro erhalten.“ (Sie wissen schon: ist doch Werbung). Fotografien, die bei Facebook erscheinen, dürfen laut AGB geteilt werden, so wurde eine Aufnahme meines Kollegen Leander Wattig von dem Panorama der Lutherstadt Wittenberg auf der Facebook-Fanseite der AFD Sachsen verwendet, ohne dass er gefragt worden wäre.
Unsere Werke werden benutzt, aber ihre Schöpferinnen gelten als lästig. Autorinnen und Künstler werden als „Besitzstandswahrer“ (Malte Spitz) verunglimpft, als „Urheber-Rechts-Extremisten“ (Leonard Dobusch), als Copyright-Faschisten und Urheberrechts-verschärfungs-Lobbyisten. Julia Reda zitierte nach einem Besuch bei ihrem inhaftierten Freund Peter Sunde, dem Pirate-Bay-Gründer, dessen Aussage, Gefängnis sei „ein bisschen wie Urheberrecht“. Reda wurde zur Haupt-Berichterstatterin über eine Änderung des Europäischen Urheberrechts. Ja, insgesamt ist die Debattengrundlage eher suboptimal. Und schaut man in die Öffentlichkeit, sieht man, wie wenig sexy und Konsens es ist, für digitale Kultur zu bezahlen. Als ich 2017 in Berlin Steglitz bei Saturn einen neuen Fernseher kaufen wollte, empfahl mir der Geiz-ist-geil Verkäufer einen Sony. Mit eingebautem Zugang zu Google Chrome. Und der praktischen Voreinstellung mit Zugang zu der Piraterie-Plattform Kinox.to. Mit Suchfunktion. Sie können sich meiner Replik vorstellen – und das mir erteilte Hausverbot erscheint mir im Nachhinein durchaus schlüssig.
Die gesamte Dokumentation der Tagung sowie der komplettem Vortrag von Nina George ist abrufbar als PDF unter:
https://www.kulturrat-nrw.de/wp-content/uploads/2019/04/Dokumentation_web_090419.pdf
©2019 BUCHSZENE.DE ist eine Marke der Buchwerbung der Neun GmbH, München
Liebe Freundinnen und Freunde des Breitenbachplatzes,
Eindrücke von der Messe
Am 28. Oktober fand der Herbstempfang der BVV Fraktion Bündnis 90/Die Grünen statt zu der wir eingeladen waren und viele interessante Gespräche zur Künstlerkolonie und weiteren zukünftigen gemeinsamen Projekten führen konnten.
Vom Freitag, dem 1. November bis Sonntag, dem 3. November 2019 findet eine dreitätige Messe für Gegenwartskunst in der Kommunalen Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176 in 10713 Berlin, statt. Eintritt frei .
Die Messe „3 Tage Kunst“ wird am Freitag, dem 1. November 2019, um 17 Uhr von Bezirksstadträtin Heike Schmitt-Schmelz und von der Leiterin der Kommunalen Galerie Elke von der Lieth feierlich eröffnet. Messetage
Die Messe „3 Tage Kunst“ ist seit 2013 eine temporäre Plattform für professionelle Künstlerinnen und Künstler, die im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf leben und arbeiten. In diesem Jahr wurden von einer unabhängigen Fachjury 29 Künstler*innen ausgewählt, um ihre aktuellen Werke zu präsentieren. Das Messeformat bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in den Räumen der Kommunalen Galerie Berlin optimal zu präsentieren. Die kunstinteressierte Öffentlichkeit hat Gelegenheit, aktuelle Werke unterschiedlicher Genres zu entdecken und zu erwerben: Fotografie, Druckgrafik, Malerei, Objekte.
Eine Neuerung der 3 Tage Kunst 2019 ist das Format
Zum Gedenken an die nationalsozialistische Pogromnacht am 9. November 1938 präsentiert die Hochmeisterkirche, Westfälische Straße 70, Theateraufführungen des Projekts „Erinnern und nicht vergessen“, das von einem Team aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelt wurde. Unter dem Titel Die Flucht gibt es am Freitag, 8. November, und am Samstag, 9. November, jeweils ab 19 drei Einakter, die alle auf wahren Begebenheiten beruhen. Dazu singen Mitglieder des Hochmeisterprojekts aus der vom Kirchenmusiker Christian Hagitte komponierten Messe „Missa Popularis“. Am 20. November ab 10 Uhr folgt eine Schüleraufführung im Café Theater Schalotte an der Behaimstraße 22. Der Eintritt ist frei.