Die Künstlerkolonie in Wilmersdorf in Qiez

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Ein städtebaulicher Gegenentwurf zu den Berliner Wohnverhältnissen der 1920er Jahre sollte die Künstlerkolonie in der Wilmersdorfer Gartenstadt werden. Viel zu hohe Mieten, unbezahlbare Luxuswohnungen und fehlender sozialer Wohnungbau machten schon vor 90 Jahren das Wohnen in Berlin zum Problem.  Ein Vortrag des Nachbarschaftsvereins Rüdi.net, gehalten von Peter Starmann, informierte über die Geschichte und städtebaulichen Besonderheiten des Areals.

Bezahlbares Wohnen im Grünen ermöglichen, den Gegensatz zwischen Stadt und Land aufheben: Die Macher der Gartenstadt am Südwestkorso rund um den Rüdesheimer Platz gingen mit großen Zielen an die Arbeit. Bepflanzte Vorgärten und parkähnliche Innenhöfe sollten den Städtern naturnahes Leben ermöglichen – mit guter Anbindung an die Innenstadt. Viel Grün, viel Licht – die Gartenstadt bildete ein starkes Kontrastprogramm zu den dunklen Hinterhöfen und Mietskasernen, für die Berlin auch berühmt ist.

Ein Gegenentwurf zur Neuen Sachlichkeit und zum Bauhaus mit seiner kühlen und funktionalen Schlichtheit sollte entstehen, erklärte Starmann. So entwickelten die Planer und Architekten um das Architektenduo Ernst und Günther Paulus ein städtebauliches Konzept, das stark vom Expressionismus beeinflusst wurde.

Der Expressionismus war eine der prägenden Formensprachen in den 1920er Jahren. „Wer den Stummfilmklassiker „Das Kabinett des Dr. Cagliari“ kennt, mit seiner grotesken Stadtkulisse und einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, hat eine Vorstellung davon, wie eine expressionistische Stadt aussehen könnte“, sagt Peter Starmann. Doch da die Architektur außerhalb des Theaters immer an die Realität gebunden ist, könne es eine rein expressionistische Bauweise gar nicht geben. Und auch die Künstlerkolonie macht nur ein paar wenige Gestaltungsprinzipien sichtbar, wie etwa Ornamente aus Backstein, die die Dynamik der Zeit, ihre Heftigkeit und ihre Spannung zum Ausdruck bringen sollten.

Guter, bezahlbarer Wohnraum für Berlins arme Künstler

Die Künstlerkolonie war ein Teil der Gartenstadt am Südwestkorso. Sie sollte Berlins armen Künstlern günstigen sozialen Wohnraum bieten und ihnen gleichzeitig eine gute Wohnqualität ermöglichen. Klaus Kinski lebte hier zur Untermiete bei Schauspieler Eduard Matzik, Ernst Busch, Walter Zadek, Erich Weinert, Hedda Zinner, Steffie Spira und Verleger Franz Cornelsen sind nur einige der vielen namhaften Künstler, Schauspieler, Journalisten und Schriftsteller, die im Kiez zuhause waren.

„Morgens früh gingen wir in die „Meierei“, kauften Milch und Brötchen, und ich musste immer lachen, weil Alfred Kantorowicz und Max Schroeder immer in ihren Morgenröcken kamen. Die da verkauften, fielen aus allen Wolken. Also, so etwas konnte natürlich nur in der Künstlerkolonie passieren. Sonst gab es sowas überhaupt nicht, sowas „Verkommenes“. Uns störte das eigentlich nicht“, zitiert der Starmann die Schauspielerin Steffie Spira. Die „KüKo“ bot ihren Bewohnern einiges an Spielraum und persönlicher Freiheit. „Im Parterre waren die Fenster ganz weit auf, und ein großer Flügel stand dort, und es spielte der später bekannte, sehr gute Pianist Franz Osborn und begleitete Ernst Busch. Und die Stimme von Busch hallte über den Platz, und es war wunderschön“, zitiert der Referent die Schauspielerin weiter.

Mit den Nazis kam das Ende

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten war es damit vorbei. Die Künstlerkolonie war als Heimat vor allem linker Intellektueller und Künstler als „roter Block“ verschrien – inmitten eines Umfeldes, das vorwiegend national-konservativ und nationalsozialistisch geprägt war.

In den Morgenstunden des 15. März 1933 stürmten SA-Schergen die Häuser, durchsuchten die Wohnungen, beschlagnahmten mehrere Lastwagen voller Material und verhafteten zahlreiche Bewohner. Literatur, die den SA-Männern „bolschewistisch“ erschien, wurde auf dem Laubenheimer Platz (heute Ludwig-Barnay-Platz) verbrannt. Infolge der Razzia verließen viele Bewohner, darunter auch Steffie Spira, Nazi-Deutschland in Richtung Frankreich, Schweiz oder USA. Andere schlossen sich trotz der Gefahren dem Widerstand an oder versteckten, wie die Widerstandskämpferin Helene Jacobs, politisch Verfolgte oder Juden in ihren Wohnungen. Seit den 1980er Jahren erinnern Gedenktafeln an den Häusern und ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus an das einstige Leben in der Kolonie und das Engagement ihrer Bewohner.

Heute gammelt die historische Bausubstanz der Künstlerkolonie vor sich hin. Seit 1990 steht das Ensemble unter Denkmalschutz. Nachdem einer der Blocks saniert wurde, wurde das Ensemble an die Deutsche Annington verkauft. Seitdem ist nichts mehr passiert. Gut für die Mieten der Bewohner, schlecht für das historische Erbe. Auch unter dem Zuhörenden des Vortags wird Kritik an dieser Vernachlässigung laut. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die Künstlerkolonie nicht doch eines Tages das Schicksal ereilt, zu Luxuswohnraum für Besserverdienende zu werden.