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Damal’s wars Alexander Graf Stenbock-Femor

 

Erinnern Sie sich an unseren langjährigen Bewohner

Alexander Graf Stenbock-Femor

 

 

Alexander Stenbock-Fermor, ein Großneffe von Peter Kropotkin, wurde m 30. Januar 1902 in Nitau geboren und verstarb  am 8. Mai 1972 in Berlin. Er arbeitete zu Beginn der 20-er Jahre als Bergarbeiter im Ruhrgebiet. In Hamborn, damals einer syndikalistischen Hochburg, sammelte er den Stoff für sein erstes Buch – „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“.

Die Position Stenbock-Fermors wandelte sich mit der Zeit. Nahm er am Russischen Bürgerkrieg noch als überzeugter Weißgardist teil, machte er in der deutschen Emigration eine Wandlung zum Kommunisten durch. Anfang der 30-er Jahre vertrat er die nationalbolschewistische Linie der KPD, während des Nationalsozialismus bewahrte er nach Möglichkeit eine oppositionelle Haltung, und ergriff nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Partei für die Entwicklung in der entstehenden DDR. Die politische Wandlung Stenbock-Fermors zieht sich auch durch sein literarisches Werk, und ist damit für die Syndikalismusforschung von Interesse.

 

Das Schloss Stenbock-Fermors in Nitau (Nitaure) beherrbergt heute eine Schule, © PENTAX Image

 

Graf Alexander Stenbock-Fermor wurde am 30.01.1902 auf Schloß Nitau in Livland geboren (heute: Nitaure/Lettland). Er wuchs in aristokratischen Verhältnissen des baltischen Adels auf. Die Baltendeutschen gehörten in Livland ausschließlich der Oberschicht an, so dass für sie bei der Anfang des 20. Jahrhunderts beginnenden revolutionären Entwicklung alles auf dem Spiel stand. So meldete sich Stenbock-Fermor nach dem Ausbruch der Russischen Revolution 1917 auch freiwillig bei der Baltischen Landeswehr – einer Einheit zur Verteidigung baltendeutscher Privilegien – und beteiligte sich auf Seiten der Weißgardisten am Bürgerkrieg. Bei dem sich abzeichnenden Ende des Bürgerkrieges emigrierte Stenbock-Fermor im März 1920 nach Mecklenburg, denn hier in Neustrelitz hatte ein Großteil seiner Familie bereits eine Bleibe gefunden.

Hier versuchte er nun das Ingenieurfach zu studieren – am Technikum von Max Hittenkofer in Alt-Strelitz. Dies war eine der progressivsten Lehranstalten jener Zeit. Die Studenten konnten sich täglich an der Schule einschreiben lassen, und konnten sich je nach fachlicher Ausrichtung ihre Lehrpläne selbst zusammenstellen. Die Ausbildung selbst war insgesamt stark auf die Praxis ausgerichtet. Die Lehrer wurden dazu angehalten regelmässig Standardwerke über den Unterrichtsstoff zu verfassen. Jedoch lag Stenbock-Fermors Begabung in anderen Bereichen. Er brach das Studium bald wieder ab. Geldsorgen, Abenteuerlust und Neugier bewogen ihn daraufhin eine Anstellung als Bergarbeiter im Ruhrgebiet zu suchen.

Eine erste Berührung mit sozialistischen Gedanken bekam Alexander Stenbock-Fermor quasi mit in die Wiege gelegt. Sein Großvater, der Generalgouverneur von Charkow Demetrius Kropotkin, fiel am 11. März 1879 einem Attentat des nihilistischen Studenten Goldenberg zum Opfer. Peter Kropotkin, der bedeutendste Denker des kommunistischen Anarchismus und Großonkel von Alexander Stenbock-Fermor, wurde in der Familie als geistiger Urheber des Attentats betrachtet. Man durfte nicht über ihn sprechen.

Diese Einstellung änderte sich bei Alexander, als er in den Bücherregalen zufällig verborgene Schriften von Peter Kropotkin entdeckte: „Die französische Revolution“, „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ und die „Memoiren eines Revolutionärs“. Schnell begriff er, dass Kropotkin mit dem Attentat nichts zu schaffen hatte. Seine Werke hinterließen bei ihm einen bleibenden Eindruck.

Doch die Entwicklung zum Sozialismus hin, setzte bei Alexander Stenbock-Fermor erst in seiner Zeit als Bergarbeiter ein. Vom 16. November 1922 bis zum 20. Dezember 1923 arbeitete er in der Zeche Gewerkschaft Friedrich Thyssen, Schacht IV in Hamborn. In Gesprächen mit kommunistischen, anarchistischen und syndikalistischen Bergarbeitern gerieten seine bisherigen Überzeugungen ins Wanken, die Arbeitsverhältnisse im Bergwerk kurz nach der Niederlage der „Roten Ruhrarmee“ taten ein Übriges. Er begann sich sozialistischen Gedanken zu nähern und wurde mit der Zeit überzeugter Marxist.

Nach seiner Bergarbeiterzeit arbeitete Alexander als Lokalreporter bei der „Mecklenburger Rundschau“ in Neustrelitz. Dies war eine kleine Neubrandenburger Zeitung, die ebenfalls von einem Baltendeutschen – Baron Korff – herausgegeben wurde. 1923 eröffnete die Zeitung in der Augustastraße 11 in Neustrelitz eine Zweigstelle. Stenbock-Fermor arbeitete hier als Lokalkorrespondent für dieses deutsch-nationale Käseblättchen. Es sind zumeist nur Kurznachrichten „von unserem Korrespondenten aus Neustrelitz“, die ihm zugeordnet werden könnten. Die Beiträge sind nicht namentlich gekennzeichnet. Das Blatt ist im Übrigen ein interessantes zeitgeschichtliches Dokument – es besteht gewissermaßen zur einen Hälfte aus deutschnationaler Propaganda, zur anderen aber aus Berichten über „kommunistische Hetze“ – die wohl auch in Mecklenburg anno dazumal ungefähr die Hälfte der Bevölkerung „gefährdete“.

Nach diesem Zwischenspiel wurde Stenbock über Walter Karbe, den Leiter der Landesbibliothek, mit dem er einen regen gedanklichen Austausch pflegte, an das Puppentheater von Otto Gierow im Neustrelitzer Dürerhaus vermittelt, mit dem er eine Zeitlang durch die Lüneburger Heide zog.

Anschließend ging er nach Hamburg, wo er in der Buchhandlung Meissner in der Herrmannstraße 44 eine Ausbildung zum Buchhändler machte. Diese Buchhandlung hatte eine lange Tradition. Der angeschlossene Otto-Meissner-Verlag gab im Jahre 1867 zum ersten Mal „Das Kapital“ von Karl Marx heraus. Mit demdamaligen Verleger Otto Meissner will Stenbock-Fermor noch manches ungewöhnliche Gespräch gepflegt haben. So soll der alte Herr in ihm ständig einen Kunden gesehen haben und nach seinen Wünschen gefragt haben – worauf Stenbock ihm stets aufs Neue erklären musste, dass er sein Auszubildender sei. Stenbock will auch ein nettes Gespräch über Karl Marx mit Otto Meissner senior gehabt haben. Otto Meissner erzählte ihm angeblich einiges über seine Begegnung mit dem Begründer des sgn. „wissenschaftlichen Sozialismus“ – dessen Buch er „ohne es recht verstanden zu haben“ herausgegeben hatte.

Eine schöne Geschichte und spannend erzählt, nur war Otto Meissner senior bereits im Geburtsjahr Stenbock-Fermors verstorben. Die Firma gehörte zu Stenbocks Lehrzeit bereits dem Enkel des Marx-Verlegers und so könnte ein entsprechendes Gespräch – wenn überhaupt – im höchsten Falle mit dem Sohn Otto Meissners erfolgt sein.

Nach dem Abschluss seiner Lehre arbeitete Stenbock in der Bibliothek des Landesdirektors der Provinz Brandenburg Joachim von Winterfeldt auf dem Gut Menkin in der Uckermark. Joachim Winterfeldt-Menkin hielt sich damals berufsbedingt zumeist in Berlin auf. Dieser durchaus begabte und intelligente Vertreter einer völkischen Gesinnung ging in die Geschichte als Gründer des Deutschen Roten Kreuzes ein. Dem erstarkenden Nationalsozialismus griff er tüchtig unter die Arme – auch wenn er seiner Überzeugung nach ein Konservativer alter Schule blieb – jemand der stets „in zweiter Reihe“ steht, aber in dieser praktische Arbeit leistet. Stenbock-Fermor war in dem Leben Joachim Winterfeldts kein besonderes Ereignis. In seinen 1942 erschienenen Memoiren „Jahreszeiten des Lebens“ findet er daher auch keinerlei Erwähnung.

 

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Im Herbst 1926 fand Stenbock-Fermor in Jena, im Verlag Eugen Diederichs eine Anstellung. 1928 erschien das Buch „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ bei J. Engelhorns Nachf. in Stuttgart. Stenbock-Fermor wurde nun freiberuflicher Schriftsteller, trat dem BPRS (Bund Proletarisch Revolutionärer Schriftsteller) bei und lebte von verschiedenen Gelegenheitsarbeiten, so bei der „Frankfurter Zeitung“. 1929 erschien sein Buch „Freiwilliger Stenbock“, ein autobiographischer Bericht über seine Zeit bei der Baltischen Landeswehr. 1931 wurde „Deutschland von unten“ veröffentlicht (ebenfalls bei J. Engelhorns Nachf. Stuttgart), ein Bericht über die armseligen Zustände in der „proletarischen Provinz“.

 

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Laubenheimer Platz 5 (heute Ludwig-Barnay-Platz) – die Berliner Unterkunft Stenbock-Fermors, © PENTAX Image

 

Stenbock-Fermor hingegen erinnert sich ausgiebig an ihn. Winterfeldt-Menkin soll ihn sogar zum Verfassen seines ersten Buches „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ bewogen haben. Dieses soll dann während seiner Tätigkeit in der Bibliothek des Landesdirektors in Menkin niedergeschrieben worden sein.

Seinen Wohnsitz nahm Stenbock in Berlin, in der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz. Stenbock-Fermor näherte sich in dieser Zeit immer mehr der KPD, die gerade eine nationalbolschewistische Phase durchlief und versuchte enttäuschte Nazis und reaktionäre Offiziere auf ihre Seite zu ziehen.

Alexander gründete dabei das Scheringer-Komitee, zur Unterstützung des inhaftierten „Überläufers“ Scheringer und beteiligte sich am Aufbruch-Kreis und an der „Linkskurve“. Deren nationalbolschewistische Linie war damals umstritten – dennoch hatte sie eine gewissen Einfluss vor allem auf die kommunistische Bewegung. Wenn auch durch diese Taktik einige Nationalisten zum Übertritt in die KPD bewogen werden konnten, war es doch augenscheinlich, dass sich die Verwendung nationalistischer Agitation vor allem in der Arbeiterbewegung niederschlug. Die Wochenzeitung „Der Syndikalist“ wünschte der KPD 1932 in diesem Sinne „viel Glück zu Ihren neuen Errungenschaften bei der Sammlung des Abfalls aus dem Nazilager“.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten überstand Stenbock-Fermor in der Wohnung Heinrich Kurellas am 15.03.1933 unbeschadet die Razzia der Künstlerkolonie durch die neuen Machthaber, bevor er am 9. September 1933 in Jena doch noch verhaftet wurde. Am 3. Oktober desselben Jahres erfolgte seine Ausbürgerung durch das Mecklenburg-Strelitzsche Ministerium des Innern. Während der Inhaftierung erschien sein Buch „Das Haus des Hauptmanns von Messer“, eine Erzählung, in welcher der Adel humorvoll durch den Kakao gezogen wird, und die von den Nationalsozialisten nicht beanstandet wurde.

Am 17. Dezember 1933 erfolgte auf Betreiben des ersten Gestapo-Leiters Rudolf Diels in Berlin seine Entlassung aus der Schutzhaft. Er zog nach Hamburg, später wieder zurück nach Berlin und unterhielt Beziehungen zum Widerstand (die Gruppe RAS, Revolutionäre Arbeiter und Soldaten wurde nach seinen Angaben sogar in seiner Wohnung in derKünstlerkolonie aus der Taufe gehoben). 1942 erschien sein Buch „Schloss Teerkuhlen“, eine Heidegeschichte, in der er u.a. seine Hamburger Erlebnisse und seine Wanderung als Puppenspieler verarbeitete. 1943 erlebte das Buch eine zweite Auflage – allerdings diesmal als reine Wehrmachtsausgabe. Um den Bombardierungen während des Krieges zu entgehen, zog Alexander Stenbock-Fermor wieder zu seiner Mutter nach Neustrelitz.

Am 15. Januar 1945 wurde er zum Landesschützen-Bataillon II Stettin eingezogen. Am 30. April 1945 war für ihn der Krieg beendet.

Im Herbst desselben Jahres wurde Alexander Stenbock-Fermor durch Rolenko, den Kommandanten der sowjetischen Besatzungsmacht, als Oberbürgermeister von Neustrelitz eingesetzt. Kurz darauf zog Stenbock-Fermor wieder nach Berlin (West), in seine alte Wohnung in der Künstlerkolonie, die den Krieg überstanden hatte. Fortan arbeitete er als Drehbuchautor und Dramaturg für die DEFA. Zusammen mit Joachim Barckhausen schrieb er das Drehbuch für den ersten deutschen Arbeiterfilm nach 1945 – die „Grube Morgenrot“ (1948), über ein Anfang der dreißiger Jahre von Arbeitern kollektiviertes und in Selbstverwaltung betriebenes Bergwerk (der Film verlegt die in Schlesien stattgefundene Begebenheit nach Sachsen). Phil Jutzi behandelte dieses Thema zum ersten Mal 1930 – in dem Stummfilm „Die Todeszeche“, in welchem dokumentarische Aufnahmen vom Unglücksort verwendet wurden. Bei dem Unglück am 9. Juli 1930 kamen seinerzeit auch zahlreiche Syndikalisten ums Leben.

Die „Grube Morgenrot“ verlegte aber nicht nur die Gegebenheit an einen anderen Ort, auch die Rolle der KPD wurde in dem Film in ihr Gegenteil verkehrt. Während diese 1930-31 im Reichstag die „entschädigungslose Enteignung“ der Grubenbesitzer forderte, sowie die .berführung der Grube in Kollektiveigentum – warnen die Filmkommunisten vor „Vergesellschaftung im Kleinen“. Der Film endet mit einem optimistischen Ausblick auf die „Vergesellschaftung im Großen“ – die entstehende DDR. Der Erfolg der „Vergesellschaftung im Großen“ erscheint im historischen Rückblick doch mehr als zweifelhaft, und die von der KPD 1930 im Reichstag eingeforderte „Vergesellschaftung im Kleinen“ fand damals keine Mehrheit.

1949 erschien Stenbock-Fermors Novelle „Henriette“, über eine Liebesaffäre bei einer Schiffsreise von Berlin nach Hamburg. 1949 wurde im Verlag Volk und Welt, Berlin das Buch „Die letzten Stunden“ veröffentlicht, das auf Interviews Stenbock-Fermors mit dem Gefängnispfarrer von Tegel Harald Poelchau basierte, einem Angehörigen des Kreisauer Kreises, der zahlreiche Mitglieder des Widerstands auf dem Weg zum Schafott betreute. Ebenfalls mit Joachim Barckhausen schrieb Stenbock-Fermor das Drehbuch für den Film „Semmelweis, Retter der Mütter“, über den Arzt Semmelweis, der im 19. Jahrhundert die Ursachen des Kindbettfiebers entdeckte und durch die antiseptische Methode bekämpfte. Der Film erlebte am 2. Juli 1950 seine Premiere, im selben Jahr erschien im Deutschen Filmverlag Berlin das Buch zum Film. Ein dritter Film der beiden Drehbuchautoren war „Karriere in Paris“ (1952) nach „Vater Goriot“ von Balzac. Der wohl bekannteste Film der Autoren wurde „Das Fräulein von Scuderi“ nach der gleichnamigen Novelle von E.T.A. Hoffmann (1955), eine Kriminalgeschichte über eine Raubmordserie an adligen Schmuckbesitzern.

Auch bei dem ersten utopischen Film der DEFADer Schweigende Stern“ (1960) war Stenbock-Fermor am Drehbuch beteiligt. Diese Verfilmung des Romans „Astronauci“ von Stanislaw Lem, handelt von dem Flug eines Raumschiffes zur Venus, wo es klären soll, ob vom „Schweigenden Stern“ Unheil droht. Weitere Filme waren, „Tilmann Riemenschneider“ (1958), über das Schicksal des Bildschnitzers in Würzburg zur Zeit des Bauernkrieges, der Kinderfilm „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ (1953) nach einem Märchen von Andersen (Fernsehfilm bei Europäische Television / Westberlin), der Film „Mord ohne Sühne“ (1962) – welcher den Justizmord an dem polnischen Schnitter Josef Jakubowski in Mecklenburg-Strelitz behandelt, sowie „Mord an Rathenau“ (Fernsehfilm, 1961) über den Mord an dem deutschen Außenminister im Jahre 1922. Das bekannteste Werk von Alexander Stenbock-Fermor erschien posthum – „Der rote Graf“ (1973), eine Autobiographie von der Kindheit bis zum Jahre 1945, mit einem Epilog von Joachim Barckhausen über die Zeit danach. Der Autor verstarb am 8. Mai 1972 in Westberlin. Beerdigt wurde er in Düsseldorf, dem Wohnort seiner letzten Frau. Sein Grab auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof wurde 2002 nach Ablauf der 30-Jahre-Frist eingeebnet.

 

© Archiv VT im Institut für Syndikalismusforschung, Bestand Stenbock-Fermor,


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Damals war’s … Walter Zadek

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Erinnern Sie sich an unseren langjährigen Bewohner der Berliner Künstlerkolonie

Walter Zadek

Der Autor Stefan Berkholz, beschäftigte sich seit Jahren mit der Geschichte der Künstlerkolonie, sammmelte Fotos, Dokumente und Zeitzeugenaussagen zum Thema um einen Dokumentenband zu veröffentlichen. Seine Erinnerungen aus einem Gespräch mit unserem langjährigen Bewohner Water Zadek geben einen keinen Eindruck aus den ‚dunklen‘ Jahren.

 

„WIR WAREN EINE ART ISOLIERTERINSEL“

WALTER ZADEK ÜBER DIE RÄUMUNG DER KÜNSTLERKOLONIE IM MÄRZ1933

 

Walter Zadek, 1900 geboren, lebte und arbeitete in den Jahren 1930 bis 1933 in der Künstlerkolonie. Zadek ist seit 1919 Buchhändler und Antiquar, war seit 1925 Ressortchef beim liberalen „Berliner Tageblatt„, gründete Anfang 1930 die „Zentralredaktion für deutsche Zeitungen“, eine Art Nachrichtenagentur, mit der er bald über 80 Zeitungen belieferte. Mit Walter Zadek sprach Stefan Berkholz 1988 über den 15. März 1933, die Räumung der Künstlerkolonie durch die Nazis.

 

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Die Verhaftung Walter Zadeks (2. von links) zusammen mit Manes Sperber und Theodor Balk am 15. März 1933

 

WALTER ZADEK:

In der Bonner Straße 3 klingelte es, und ein Zivilist fragte sehr höflich, ob ermal bei uns her­ein kommen könnte.

Er sah sich die Bücher an, da standen Marx und Freud und so etwas, ich glaube, er machte sich nicht mal Notizen und sagte: „Sie ham doch noch Arbeitsräume.“ Sehr höflich, sehr nett, das war noch die alte Garde der Polizei. Da sagte ich: „Ja, da drüben in der Laubenheimer Straße.“ „Ach, würden Sie bitte mal mitkommen.“ Furchtbar höflich!

Als er mit mir über den Hof, durch den Hinterausgang der Laubenheimer Straße da hin kam, standen da sieben Polizisten, junge Kerle, angebliche Polizisten in Wirk­lichkeit, und brüllten: „Da kommt das Judenschwein ja.“ Keiner hatte ne Ahnung, wer ich war, keiner hatte mich je gesehen, aber da ich mit dem Mann direkt darauf hin kam, war ihnen das klar. Und dann stupsten sie mich sofort weg von dem Mann, übernahmen mich – und das war dieses “ Kommando zur besonderen Verwendung“. Und sie stupsten mich mit Stößen die Treppe rauf, und ich stolperte mehr als ich ging; alles war totenstill, natürlich traute sich keiner heraus, und ich mußte aufschließen. In der kleinen Wohnung schmissen sie alles durcheinander. Die Vervielfältigungsmaschine runter, und so weiter, den Kasten mit den Liebesbriefen nahmen sie mit, sonst wurde nichts beschlagnahmt. Aber sie richteten ein Tohu­wabohu an.

Und dann hieß es: „Raus mit dir!“, immer wieder als Judenschwein oder sonst was bezeichnet, und dann nahmen sie…, dann ging ich die Treppe runter, sollte ich die Treppe runtergehen, und die nahmen ihre Revolver aus den Seitentaschen. Es waren sieben schwerbewaffnete Mann, ich war in einem, ja Rauschzustand ist nicht der richtige Ausdruck, völlig benommen von Hieben bereits, und da höre ich sie rufen: „Wirst du Judensau wohl schnellerlaufen.“Und da hatte ich plötzlich eine Schlag­zeile vor meinen Augen, die damals jeden Tag drin war, in jeder Zeitung: “ Auf der Flucht erschossen.“ Da war mir klar, was das bedeutete, nicht klar, unklar klar,möcht ich sagen – und jetzt ging ich wirklich langsam.“

Und so kam ich nun runter, ich wußte gar nicht wie ich aussah, Leute, die nicht in der Künstlerkolonie wohnten, sagten mir später, ich war blutig im Gesicht, und als ich auf den Wagen raufgestoßen wurde, da schrie auch dieser Entenschnäblige: „Wisch dir mal dett Jesicht ab, duhast wohl Neesebluten jehabt.“

STEFAN BERKHOLZ:   

Und der „Völkische Beobachter“ jubelte: ‚“Künstlerkolonie‚ Südwestkorso endlich ausgehoben“, „Riesenbestände von Zersetzungsschriften „be­schlagnahmt, „Waschkörbe voll Waffen“. Über Sie heißt es in dem Artikel: „Dieser jüdische Redakteur ist eine der typischen Beispiele für die vielen Brandredner und Wühler, die systematisch im Hintergrund arbeiten. Zadek ist einer der vielen aus der kommunistischen Mörder­ zentrale, die die Befehle an die Unterwelt weitergaben, sein Büro und die Räume seiner Genossen sind die wirklichen Brutstellen des roten Ter­rors gewesen, der Tod somanchen Kameraden ist hier beschlossen worden. Bei Herrn Zadek wurden drei scharf geladene Pistolen und eine Menge Munition gefunden…“

WALTER ZADEK:

Das war folgendes: Eines war ein alter Armee-Revolver aus dem Krieg 1870 so ungefähr, aus der Zeit, als mein Vater Soldat war. Er hatte keine aktuelle Bedeutung mehr, er war nicht mehr brauchbar. Das zweite war eine Pistole mit langem Lauf für das Schießen auf Schießscheiben. Hat also auch mit Revolver überhaupt nichts zu tun. Und das dritte war wirklich eine Waffe, für die ich einen Waffenschein hatte.

STEFANBERKHOLZ:

Und weiter heißt es im „Völki­schen Beobachter“:“…die Sichtung des in der ‚Central­redaktion für deutsche Zeitungen‘ gefundene Schriften­materials dürfte die Politische Polizei allein für Wochen beschäftigen.“

WALTER ZADEK:

Ist eine wilde Übertreibung. Es lagen bei mir erstens in einem großen breiten Rollschrank sämtliche Belege von Zeitungen, was wo erschienen war, und nun hatte ich von Lübeck oder von Bremen oder von Königsberg oder aus Süddeutschland Belegexemplare geschickt bekommen, und die wurden nach Zeitungen abgelegt. Und von den Manuskripten und vervielfältigten Typoskripten lagen natürlich einige herum, die ich noch nicht versandt hatte. Und die werden sie vielleicht auch durchgesehen haben, um da antifaschistische Literatur zu finden.

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Verbrennung von Fahnen und Trans­ parenten auf dem Laubenheimer Platz

 

 

STEFAN BERKHOLZ:

Können Sie sich an Bücherverbrennungen erinnern auf dem Laubenheimer Platz?

WALTERZADEK:

Nein. Es ist sehr komisch, in meiner Wohnung in der Bonner Straße hatte ich die ganzen Wände voll mit Bücher, da ist nicht ein Buch weggekommen, auch nicht der Marx und auch nicht der Freud. All diese Bücher wurden mir, nach meiner Flucht, die ich ja nur mit einer Aktentasche machen konnte, weil sie vollkommen überraschend kam, in Kisten nachgeschickt. Es ist also kein einziges Buch, also auch nicht von Tucholsky oder einem linken Mann, verbrannt oder auch nur raus­ gesuchtworden. Also bei mir interes­sierten sie sich wohl nur für den unsympathischen Zadek, der gemeingefährlich war und gegen die Nazis sozusagen indirekt kämpfte und außerdem die Prügelei mit einem Nazi gehabt hatte.

STEFANBERKHOLZ:

Was würden Sie denn nun sagen, was das Besondere der Künstlerkolonie war?

WALTER ZADEK:

Wissen Sie, wir waren da in der Künstlerkolonie – eine Art isolierter Insel. Die Atmosphäre dieser Menschen, die überwiegend linksgerichtet waren, und zwar linksbürgerlich, also sagen wir: der Typ, der in der „Weltbühne“ schrieb im allgemeinen, die war von dem übrigen Berlin und von Deutschland im gewissen Sinnen ein isolierter Platz. Dabei ist nicht zu denken, daß wir unter uns eine Gemeinschaft waren; man kannte, und das war ja damals in Deutschland sehr üblich, einander nicht, selbst wenn man zusammen wohnte. Also – wir waren eine Insel linksdemokratischer Leute, bürgerlicher Leute, wissen Sie, der Typ, von dem Lenin sagte: „Die nützlichen Idioten“. Das heißt, sie waren alle bürgerlich der Natur nach, Arbeitertypen gab’s in der Künstlerkolonie meines Wissens kaum.

Walter Zadek wird am 15. März 1933 zusammen mit Manes Sperber, Theodor Balk, Curt Trepte, Günter Ru­schin und anderen aus der Künstlerkolonie verhaftet. Er wird zum Polizeigefängnis am Alexanderplatz geschafft, schließlich ins Festungsgefängnis nach Spandau.

Auf wundersame Weise kommt er einen Monat später frei, kann fliehen, kommt über Holland, Belgien, schließlich im Dezember 1933 nach Palästina.

Dieses von Stefan Berkholz geführte Interview haben wir estmalig im Künstlerkolonie Kurier 1 abgedruckt.

© Künstlerkolonie Berlin e.V.


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Deutschlandradio wird in diesem Jahr 25 Jahre alt – Hoffest

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Deutschlandradio wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Das möchten Sie mit allen Hörern, Nachbarn und Freunden feiern.

Sie laden alle Interessierten herzlich am Sonntag, den 05. Mai 2019, zu einem Tag der offenen Tür, inklusive Hoffest, in das ehemalige RIAS Berlin Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz ein. Die Veranstaltung beginnt um 11.00 Uhr und endet um 18:00 Uhr.

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Osterangebot 2 für 1 des Renaissance-Theaters

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Das Renaissance-Theater bietet den BewohnerInnen der Künstlerkolonie und und der Nachbarschaft nach Maßgabe der vorhandenen Plätze für die Ostertage 2 Karten für den Preis von 1 Karte an.

 

 

Dieses Ostern steht „NEIN ZUM GELD“ auf dem Spielplan, eine kurzweilige Komödie, mit Hans-Werner Meyer, Sarah Bauerett, Michael Rotschopf und Erika Skrotzki hochkarätig besetzt. Warum also nicht mit Ihren Lieben das schöne Frühlingswetter genießen und abends einen Theaterbesuch einplanen?

Für die Vorstellungen über die Osterfeiertage (19., 20., 21. und 22. April 2019) haben sie ein kleines Kontigent ermäßigter Karten speziell für den Künzerkolonie Kiez eingerichtet. Ab sofort erhalten Sie beim Kauf einer Vollpreiskarte ein zweites Ticket gratis dazu. Das Angebot richtet sich nach Verfügbarkeit der Plätze. Nennen Sie am Telefon unter (030) 312 42 02 oder an unserer Theaterkasse das Stichwort „KÜNSTLERKOLONIE„.

Weitere Informationen zu NEIN ZUM GELD bekommen Sie bei unserer Theaterkasse, auf der Homepage www.renaissance-theater.de , oder telefonisch unter (030) 312 42 02.

Herzliche Grüße und ein fröhliches Osterfest

 


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Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger lädt zum Stadtspaziergang durch das Künstlerviertel

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Gemeinsam mit dem Mieterbeirat des Viertels lädt Stadtentwicklungsstadtrat Oliver Schruoffeneger am Donnerstag, dem 25.4.2019, um 11.00 Uhr zu einem Spaziergang und Gespräch durch das Künstlerviertel in Wilmersdorf ein. Der Weg startet am Südwestkorso/Binger Straße und es wird über die aktuelle Gefährdung des Konzepts Künstlerviertel durch die aktuelle Mietenentwicklung informiert.

Die Künstler/innen werden teilnehmen und über das Konzept und die Geschichte des Viertels informieren.

  • Der Künstler Dr. Manfred Maurenbrecher, geb. am 2.5.1950, Liedermacher und Poet, veröffentlichte mehr als 20 CDs unter eigenem Namen. Er ist Mitglied im PEN-Zentrums Deutschland und schreibt Drehbücher und Theaterskripte. Er schrieb das Buch “Berliner Orte: Die Künstlerkolonie Wilmersdorf”.
  • Rüdiger Wandel, geb.1953, ist Schauspieler und Regisseur. Er spielte am Grips und Schillertheater Berlin. Er ist insbesondere bekannt als den Tatort-Kommissar Günter Gächter, den er 16 Jahre spielte.
  • Wolfgang Schiffling, geb. 1941., ist Maler, Grafiker und Lithograph. Seine Objekte und Bilder sind u.a. im Berliner Stadtmuseum.


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Künste, Kultur und Künstler im Verständnis der Stadtentwicklung – eine vergleichende Stadtforschung

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Von Volker Kirchberg

Der Vergleich von Großstädten wird in der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung genutzt, um Merkmale einer Stadt und der Stadtentwicklung zu identifizieren, die bei der Betrachtung einer einzelnen Stadt nicht erkennbar wären. Während es schon wenige Städtestudien zur Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung gibt, so sind die städtevergleichenden Arbeiten zu dieser Thematik an einer Hand abzuzählen. Zu nennen sind hier ein Vergleich des kulturellen Konsums in Städten Skandinaviens, Großbritanniens, Polens, Bulgariens, Russlands, Portugals und Spaniens,[1] ein Vergleich der Kreativität von Städten,[2] eine Dokumentation der Bedeutung von Kunst und Kultur für die Entwicklung innerstädtischer Stadtgebiete in den USA,[3] eine Studie zur Bedeutung von Künstlerinnen und Künstlern bei Bürgerbeteiligungen in der Stadtentwicklung[4] und eine vergleichende Untersuchung der Konzentration von Künstlern in bestimmten Stadtgebieten US-amerikanischer Großstädte.[5] Die hier vorgenommene Untersuchung zur Bewertung und Wirkung von Kunst, Kultur und Künstlern auf die Stadtentwicklung stellt zwei Städte gegenüber: das US-amerikanische Baltimore und Hamburg. Dieser Vergleich findet seit mehr als zehn Jahren für Hamburg und seit mehr als zwanzig Jahren für Baltimore statt.

Die Hauptfrage lautet, wie Künstler, Kulturmanagerinnen, Stadtplaner und Kommunalpolitikerinnen Kunst und Kultur als Instrument der Stadtentwicklung verstehen, bewerten und einsetzen. Dies bezieht sich zum einen auf lokale Strukturen wie etwa der Einfluss von Kunst auf Nachbarschaften, und zum anderen auf größere Perspektiven wie die Wirkung überregional ausstrahlender Kulturstätten für eine postindustriell geprägte Stadtökonomie. Ich verwende dabei zwei Vergleichsperspektiven: den Raum (Vergleich von Baltimore und Hamburg) und die Zeit (Vergleich der Nutzung von Kunst und Kultur in den Jahren 1988, 2004 und 2010 für Baltimore). Diese Fragen werden mit Hilfe einer systematischen Inhaltsanalyse von 70 halbstrukturierten Experteninterviews beantwortet, die ich in Baltimore 1988, 2004 und 2010 und Hamburg 2006 und 2013 durchgeführt habe. Bei der systematischen Inhaltsanalyse handelt es sich um das mehrstufige Filtern häufig angesprochener Themen in Interviews, die Etikettierung dieser Themen als Codes und die Analyse der Überschneidung dieser Codes. Die Überschneidungen werden als semantische Relationen untersucht und in Netzwerkdarstellungen visualisiert.[6]

Baltimore und Hamburg bieten sich zum Vergleich an, da beide ältere, im 19. Jahrhundert industrialisierte große Hafenstädte sind, zugleich aber in den vergangenen 50 bis 70 Jahren unterschiedlich erfolgreich postindustrialisiert wurden. Als größte Metropolregion des US-Bundesstaates Maryland umfasst Baltimore knapp 2,7 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner, Hamburgs Metropolregion umfasst 5 Millionen Bewohner. Baltimore erlebte in den vergangenen 65 Jahren einen deutlichen Rückgang der innerstädtischen Bevölkerung von 950.000 (1950) auf 620.000 (2014) Bewohner, während Hamburg seine Bevölkerungszahl nahezu halten konnte (1965: 1.860.000, 2015: 1.770.000 Einwohner).[7] In beiden Städten spielt der Hafen eine große wirtschaftliche Rolle. Allerdings stagniert in Baltimore die Ansiedlung größerer Unternehmenszentralen: Hier meldeten 2003 eine große Schiffswerft und 2012 ein großes Stahlwerk Konkurs an. Hamburg zählt hingegen mit Airbus heute zu den weltweit größten Standorten der Luftfahrttechnik. Gleichzeitig ist Hamburg ein wichtiger nationaler Medienstandort. In Baltimore haben Suburbanisierung und Immobilienspekulation zu Segregation und Diskriminierung insbesondere der 67 Prozent Schwarzen innerstädtischen Bevölkerung geführt, mit der Folge einer hohen Rate an Analphabetismus, Armut und Drogensucht. Dagegen stellen sich die Probleme Hamburgs vergleichsweise gering dar, mit einer durch die wirtschaftliche Erfolgslage starken Zunahme der Lebenskosten und einer Gentrifizierung in innerstädtischen Stadtteilen sowie einer relativ deutlichen ethnischen und sozioökonomischen Segregation zwischen Zentrum und Peripherie.

Kunst und Kultur als Stadtentwicklungsfaktor

 

Die Deutung von Kunst und Kultur als Instrument der Stadtentwicklung ist in Baltimore über die Jahrzehnte alles andere als stabil. In den insgesamt 41 Interviews werden zwar einige Themen, die mit den Codes „Stadtkultur“, „Kulturförderung“, „städtische Ökonomie“ und „Netzwerk“ bezeichnet werden, immer wieder angerissen. Die Bedeutung dieser Konzepte hat sich aber im Laufe der Jahre deutlich verändert. So verstanden die 1988 interviewten Expertinnen und Experten unter „Netzwerk“ noch ein mächtiges und versteckt agierendes Netzwerk der wichtigsten städtischen Hochkulturinstitutionen – Kunstmuseen, Symphonieorchester, Oper, Stadt- und Musicaltheater –, die sicher aus den gleichmäßig fließenden jährlichen Zuschüssen aus Stadt und Bundesstaat schöpfen konnten. 2004 war das Netzwerk dagegen weitaus weniger hegemonial: Jetzt stand der Code für eine lockere Vereinigung vieler kleinerer und mittelgroßer städtischer und regionaler Kulturstätten, die sich in der Greater Baltimore Cultural Alliance zusammengetan haben. Diese informelle Vereinigung war nicht nur in der Lage, eine solidarische Stimme gegenüber den großen Akteuren der Kulturförderung zu erheben, sondern wurde auch von den wichtigsten Hochkultureinrichtungen akzeptiert, die ihre hegemoniale Position aufgaben. 2010 wurde dieses solidarische Netzwerk um ein weiteres Netzwerk einer lokalen, kulturfördernden Zivilgesellschaft ergänzt, die mit ihrer gemeinnützigen und außerstaatlichen Förderpolitik viele junge Künstler symbolisch und materiell unterstützte.

Die Veränderung der Konnotation des Begriffs „Netzwerk“ verweist auf eine zwischen 1988 und 2010 zunehmende demokratische Ausgestaltung von Kultur und Kunst. Ähnliches lässt sich auch hinsichtlich anderer Codes oder Themen sagen. Ende der 1980er Jahre drückten die Baltimorer Befragten noch deutlich den Wunsch aus, im Sinne Adornos die „ungebildeten Massen“ durch die Hochkultur zu „läutern“. Die Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur wurde von den Experten deutlich ausgewiesen. So sagte der geschäftsführende Direktor des Baltimore Symphony Orchestra: „Die Leute in der Stadt wollen (klassische Konzerte) für ihre Kinder, auch wenn sie sie nicht für sich selbst wollen. Die Leute fühlen, dass klassische Musik eine wertvolle Erfahrung für ein gutes Leben (ist), und deshalb wollen sie ihren Kindern diese Gelegenheit geben, sich dieser Musik auszusetzen.“[8] In diesen Jahren diente Kunstkonsum der städtischen Kultur als erzieherisches Mittel zur sozialen Statuserhöhung. Ein ganz anderer, makroökonomischer Diskurs wurde dagegen 2004 verhandelt: Jetzt galt es mittels Kunst und Kultur „Kreativität“ in die Stadt zu bringen, um damit die Postindustrialisierung voranzutreiben. Um ältere Hafenrandgebiete als luxuriöse Wohn- und zum Teil Arbeitsgebiete umzugestalten, wurde nicht mehr nur die explizit „hoch“ genannte Kultur gefördert, sondern auch kleine Theaterbühnen, die informelle Musikszene sowie eine Mischung aus Restaurants, Bars, Cafés und Kunstorten. Dabei basierten die Expertenaussagen auf einer neuen Welle an Fachliteratur zur Bedeutung der Kreativität in postindustriellen Städten.[9] 

Kreativität wurde ein schillernder, wenn auch unpräziser Begriff, der umfassend von Stadtpolitik und Wirtschaftsförderung verwendet wurde. So stellte 1999 der junge und tatkräftige Bürgermeister Martin O’Malley die Förderung einer „kreativen Klasse“ in den Mittelpunkt seiner neuen Politik. Er startete die Creative Baltimore Initiative als Idee, mit lokalen Künstlern auf Augenhöhe zu kooperieren, und wurde dabei von den örtlichen Kulturkreisen strategisch unterstützt. Als Ergebnis unterzeichneten der Bürgermeister und 79 lokale Künstler ein white paper, in dem die politische, soziale und wirtschaftliche Bedeutung der Künstler in der Stadt offiziell bestätigt wurde.[10] Der positive Einfluss des Ökonomen Richard Florida auf die städtische Kulturpolitik wurde immer wieder betont. Florida versteht die kulturelle und künstlerische Aufwertung innerstädtischer Stadtteile allein als Attraktion für die kreative Klasse wohlhabender und hochqualifizierter Neubewohner und nicht für junge, zumeist prekär lebende und künstlerisch nur potenziell interessante Künstler und Kulturschaffende. Ernüchternder, aber auch pragmatischer und realistischer, klangen die Expertenaussagen 2010. Vor allem die wichtigen gemeinnützigen Projektentwicklerinnen und -entwickler verstanden Kunst und Kultur nicht mehr als kurzfristiges Wundermittel zur wirtschaftlichen Rettung der Stadt. Vielmehr sahen sie darin ein kleinstufiges, langfristiges, mühseliges Mittel mit einer weniger klaren „Erfolgsquote“, um bestimmte Stadtgebiete durch eine zielgerichtete Wagnisförderung bisher unterschätzter kreativer Trends, Personen und Einrichtungen zu unterstützen. Von dieser unscheinbaren, weniger Politikpropaganda und Stadtmarketing bezweckenden, aber zielgerichteten Hilfe profitierten vor allem junge, sich selbst und ihre Kunst noch entdeckende Künstler.

Jetzt wurde sich klar von Floridas These distanziert. Die wichtigsten Vertreterinnen dieses alternativen Blickes auf Kunst- und Kulturproduktion in der Stadt sind Ann Markusen und Anne Gadwa, die Künstler und Kultur als essenziellen Teil des sogenannten placemaking verstehen.[11] Künstler und ihre alltäglichen Aktionsräume und Netzwerke werden hier als soziale Gewebe verstanden, die städtische Räume durch künstlerisches Wirken zu öffentlichen, inklusiven und zivilgesellschaftlichen Orten machen. Dafür müssen Künstler dort frei von wirtschaftlichen und anderen Ängsten arbeiten und leben können, also mit angemessenen und preiswerten Räumlichkeiten für ihre spezifische Arbeits- und Lebenssituation versorgt werden. Dies umfasst ein komplexes Aufgebot an Proben-, Aufführungs-, Ausstellungs- und Verkaufsräumen, die Bereitstellung von Förderungen, Stipendien und Weiterbildungsmöglichkeiten und die mit den Künstlern gemeinsam umgesetzte Ausgestaltung dieser Räume zu Orten intensiver Vernetzung.[12] Während der Diskurs 2004 noch politische Versprechungen einer umfassenden Stadt- und Wirtschaftsförderung produzierte, ging es um einen kleinteiligen, aber realisierbaren Pragmatismus für kleinere städtische Räume, die sich nicht zu weit von anderen, sich schon entwickelnden Stadtteilen befinden. Im Stadtteil Station North etwa standen für Jahrzehnte viele mehrstöckige Industriegebäude leer,[13] die nun zum Ziel dieses künstlerischen placemaking wurden.

Der Präsident der Stadtagentur Baltimore Development Corporation drückt dies so aus: „Die (darstellenden und bildenden Künstler) haben es selber initiiert, zunächst mit kleinen Gruppen, wir haben es dann unterstützt und jetzt ist es ein Selbstläufer. Also, all dies ist nicht ein großer Plan der Stadt oder von irgendwem anders gewesen, aber jetzt helfen wir wo wir können.“ Über die Zeit fanden also mindestens zwei große Transformationen statt: Während 1988 bei den Akteuren der Kultur- und Stadtentwicklung kein Bewusstsein für Kunst als Stadtentwicklungsfaktor bestand, das über Status- und Erziehungsfunktionen hinausging, wurde 2004 die ökonomische Funktion der Kultur als legitimierender Faktor im Sinne Floridas betont. 2010 stellte sich die Situation wiederum anders dar und die sozial und städtepolitisch stabilisierende Funktion von Künsten als Elemente des placemaking wurden betont.[14] Eine Gesetzmäßigkeit lässt sich mittels dieser Fallstudie natürlich nicht postulieren. Durch die Gegenüberstellung mit einer anderen Stadt lässt sich jedoch die „Eigenlogik“ verdeutlichen, also die städtisch spezifische Logik des Einsatzes von Kunst und Kultur in der Stadtentwicklung. Dies soll nun durch den Vergleich des Einsatzes von Kunst und Kultur in Baltimore 2004 und Hamburg 2006 geschehen. Ungeachtet der Einbettung in kapitalistische Systeme der nordwestlichen Hemisphäre sind die politischen Steuerungssysteme in beiden Städten so unterschiedlich, dass die Bedeutung von Kultur im urbanen Kontext davon intensiv beeinflusst wird. Als zentrale Aussage kann hier immer noch das Ergebnis einer nationalen Vergleichsstudie von 1996 angeführt werden:[15] In den USA findet demnach staatliche Kulturpolitik nur sehr indirekt statt, finanzielle Zuschüsse werden zuerst an kulturschaffende Peergroups vergeben, die dann die Verteilung nach selbst festgelegten Kriterien vornehmen. In Deutschland hingegen bleibt Kultur traditionell nicht nur eines der wichtigsten Einflussgebiete kommunaler Politik, sondern ist finanziell in großem Maße von staatlichen Quellen abhängig. So überrascht es nicht, dass die Gespräche mit den Hamburger Experten 2006 immer wieder zu einem Thema führten: „Kulturpolitik“. Diesem Thema folgten „Wirkungen der Kultur auf die Stadtentwicklung“, „Netzwerke“, „staatliche Finanzierung“ und „Kreativität“.

Das „Image der Stadt“ und die Wirkung der Kultur auf die „Stadtökonomie“ wurden weiter verbunden mit Themen wie „kulturelle Leuchttürme“, „Elbphilharmonie“ und „HafenCity“. Das offizielle Leitbild der „Wachsenden Stadt“ symbolisierte den Fokus auf das Ziel einer gesamtstädtischen ökonomischen Prosperität – weniger der Verteilungsgerechtigkeit –, und die interviewten Verantwortlichen der Kulturpolitik hatten sich diesem Ziel voll verschrieben. Hier gab und gibt es zwei große Projekte: zum einen die Entwicklung der „HafenCity“, die durch den Bau der „Elbphilharmonie“ und der Ansiedlung des internationalen Maritimen Museums und des Science Centers gezielt kulturell konnotiert wird; und zum anderen die Revitalisierung St. Paulis und benachbarter innerstädtischer Stadtteile, die im Sinne Floridas zu plug-and-play communities der kreativen Klasse umgebaut werden, mit gentrifizierten Wohngebieten, Start-Up Büros im Industrieschick der Gründerzeitästhetik und einem neuen Unterhaltungsviertel an der Reeperbahn für den breiteren Geschmack. „Im Prinzip waren die Reeperbahn und die ganze Gegend ziemlich runtergekommen“, so der damalige Stadtentwicklungssenator, „es war eigentlich nur noch schmuddelig.

Die Entwicklungen um (die Musicaltheater) ‚Schmidts Tivoli‘ und Operettenhaus waren dann zwei letztendlich private Ansätze, die dazu geführt haben, dass dort völlig andere Besucherströme hingekommen sind, die das Ganze völlig aufmischten, und dies hat letztendlich (…) zu einer völlig anderen optischen Wahrnehmung geführt. Das ist der Einfluss von Kultur auf Stadtentwicklung.“ Die Thesen Richard Floridas hinterließen sowohl in Baltimore wie in Hamburg ihre deutlichen Spuren. Kultur, Stadtökonomie und Kreativität bilden in beiden Städten ein festes Argumentationsdreieck. In Hamburg wird die Kultur als Teil der Stadtentwicklung allerdings weitaus stärker durch ihre Bedeutung für die Stadtökonomie legitimiert als in Baltimore. Der deutlichste Unterschied zwischen den Städten befindet sich in dem Größenmaßstab kultureller Projekte: Während in Hamburg mit kulturellen Leuchtturmprojekten und einem europäischen Stadtentwicklungsvorhaben im großen Maßstab geworben wird, stellt sich Baltimore nach außen pragmatischer, kleinteiliger und weniger PR-offensiv dar. Baltimores Unterstützung der Künstlerviertel hilft im kleinteiligen Maßstab vor allem den vielen weniger etablierten und (noch) nicht berühmten Künstlern. Hamburg versteht hingegen Hochkultur entweder als im globalen Maßstab zu bewerbendes Konsumprodukt oder als kommerzielle Aktivität wie zum Beispiel Musicals, mit der eine innerstädtische Reurbanisierung im Sinne Floridas vorangetrieben werden kann.

Macht der Kulturpolitik

Kultur als Teil der Stadtentwicklung muss nicht zwingend Aufgabe einer städtisch-staatlichen Kulturpolitik sein, wie der Vergleich mit Baltimore zeigt. Die Frage nach der Bedeutung der Kulturpolitik für die städtische Kulturentwicklung wurde in Baltimore zurückhaltend beantwortet. Zwar zeigte sich hier ein potenziell starker Einfluss des Bürgermeisters, wenn er denn in dieser Frage Statur zeigen möchte, aber die Selbstgestaltung urbaner Kultur durch zivilgesellschaftliche Netzwerke gewann in den vergangenen zwanzig Jahren zunehmend an Bedeutung. Der Einfluss der von Kultureinrichtungen und Künstlerinitiativen 2001 gegründete Greater Baltimore Cultural Alliance ist hier beispielgebend, wie es die damalige Vorsitzende Nancy Haragan darlegte. Nachdem der Bürgermeister Unterstützung signalisiert hatte, seien sie strategisch vorgegangen, mit dem Ziel, neue Wege zu gehen: „Wir luden einzelne Personen aus lokalen Künstlergruppen ein mitzumachen, denn die fühlen sich immer unterdrückt (…). Wir haben von Anfang an nicht auf die großen Kulturinstitutionen gesetzt, sondern auf die kleinen und die Künstler. Politisch war dies sehr wichtig, obwohl wir zuerst auch einen deutlichen Gegenwind spürten.“ Die Bedeutung von Stadtverwaltung und -politik für die Kulturgestaltung in Baltimore wird folglich als sehr gering eingeschätzt. Wieder Nancy Haragan: „Nachdem die alte Stadtregierung sich zurückzog, realisierten die Leute plötzlich, dass das Rathaus eigentlich für die Kultur dieser Stadt ohne Bedeutung war (…), dass man nicht die Erlaubnis des Rathauses braucht, um das zu tun was man für die Kultur tun muss (…). Wenn sie will, kann die Stadt dann immer noch später zu uns kommen und darum bitten, uns zu unterstützen.“

Abbildung 1: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Baltimore 2004Abbildung 1: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Baltimore 2004 (© bpb)

Überlappungen der Themen „Kulturpolitik“, „gemeinnützige Netzwerke“, „Künstlerviertel“ und „Reurbanisierung“ beziehungsweise „positiver Stadtteilwandel“ in Baltimore werden in dem semantischen Netzwerk der Abbildung 1 deutlich. Der große Einfluss der städtisch-staatlichen Politik auf die Kultur und die kulturell orientierte Stadtentwicklung für Hamburg lässt sich im semantischen Netzwerk verdeutlichen (Abbildung 2). Die staatlichen Akteure sind dabei nicht nur die wichtigsten Gestalter kulturell orientierter Stadtentwicklung, sie werden ganz anders als in der basisdemokratischen Atmosphäre Baltimores parteipolitisch und durch Behördenvorgaben bestimmt.

Abbildung 2: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Hamburg 2006Abbildung 2: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Hamburg 2006 (© bpb)

Diese deutliche Top-down-Orientierung ruft allerdings eine ebenso deutliche und kritische Reaktion der basisdemokratisch orientierten Kulturszenen hervor: So kritisiert etwa die damalige Sprecherin der Hamburger Echo Mailingliste für Kunst, Kritik und Kulturpolitik den Einfluss der Behörden und Parteien, deren Personal es häufig an kulturpolitischer Kompetenz mangele: „Zur Kulturpolitik gehört eben auch kompetentes Personal, also in den Behörden oder in den Parteien, die sich dann auch für das Metier interessieren.“ Kulturentscheidungen in Hamburg sind aber nicht immer allein Parteientscheidungen. Einige Entscheidungen – wie zur Elbphilharmonie oder zur Kreativgesellschaft – sind in parteiübergreifenden, manchmal Koalitionen entstammenden Verhandlungen entstanden.

Genauso wichtig sind die Behörden, die mit ihren Apparaten nicht nur Korrektive eines Legislaturperioden-Aktionismus sein können, sondern notwendige Veränderungen auch verhindern können, wie ein Kulturmanager eines nichtstädtischen Kulturzentrums beklagte: „Dieses traditionelle Ungleichgewicht der Hochkultur zu Ungunsten der alternativeren Kulturformen finde ich falsch. Und das müsste in meinen Augen – maßvoll – eine Kulturbehörde ändern können, (…) dann muss sich eben eine Verwaltung umstrukturieren und halt Leute integrieren können, die das verstehen was wir machen.“ In diesem Sinne wird die städtische Kulturpolitik als Sachverwalter des Status Quo samt einer ungerechten Verteilung verurteilt. Die Sprecherin des Echo Netzwerkes drückt ihre Frustration noch deutlicher aus: „Alles, was Kulturförderung ist, ist gebunden an einen bestimmten Stadtteil, an ein bestimmtes Thema oder an eine bestimmte Funktion, (…) die Förderung ganz freier Produktionen geht fast gegen Null. Und das finde ich sehr skandalös, weil es die allermeisten, eigentlich alle Künstler, betrifft, es aber keine Lobby dafür gibt, weil die einzelnen Künstler überhaupt nicht vernetzt sind.“

Allein der Geschäftsführer einer unabhängigen, kulturell engagierten Stadtplanungsagentur spricht hoffnungsvoll von der Möglichkeit einer zivilgesellschaftlichen Vernetzung Hamburger Künstlerszenen zur Verringerung ihrer staatlichen Abhängigkeiten: „In den neuen kulturellen Stadtteilinitiativen werden wir das jetzt selbst in die Hand nehmen. Wenn der Staat seine Gestaltungs- und Diktionsmacht aufgibt, dann können in diesem Vakuum Leute Räume schaffen, Möglichkeitsräume, und ihre Sachen machen, visuelle Kommunikation, Soziokultur, Stadtentwicklung, lebendige Stadt (…) und dann hoffen, dass eine leichte Kursveränderung einsetzt.“

Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hat in ihrem Buch zur „Agonistik“[16] von der Polarität zwischen einer konflikt- und einer konsensbetonenden Politik gesprochen. Die Demokratie wird ihrer Meinung nach von der Betonung eines vermeintlich alternativlosen Konsenses bedroht. In diesem Sinne verschwindet der öffentliche Streit um Mittel und Ziele der Stadtkultur, er wird entpolitisiert und entdemokratisiert, weil er sich den alternativlosen Plänen der umfassenden ökonomischen Agenda eines „Unternehmens Hamburg“ unterordnen muss. Kulturpolitik in dieser Stadt ist aufgrund der immer noch großen städtischen Finanzressourcen staatlich stark determiniert, zum anderen führt dies zu einer Einengung der Kulturpolitik auf die Kulturfinanzierung. Diese kann wiederum nur durch ihre Kontextualisierung in wirtschaftlichen Zusammenhängen legitimiert werden, sei dies als Teil postindustrieller Kreativindustrien, als Annehmlichkeiten für die kreative Klasse oder als Leuchttürme des Stadtmarketings. Dieser vermeintlich unabwendbare Konsensus schließt andere Legitimierungen einer staatlichen Kulturpolitik zwar nicht aus, zum Beispiel der Beitrag der urbanen Kultur und ihrer Produzenten zu möglichen sozial, ökologisch oder kulturell nachhaltigen Stadtentwicklungen, er macht sie aber zu Marginalien politischer Entscheidungen. Eine agonistische Kulturpolitik könnte zu einer Redemokratisierung der Kulturgestaltung führen – und Ansätze sind dafür auch in Hamburg vorhanden.[17]

Weitaus anders stellt sich dagegen die Kulturpolitik in Baltimore dar. Zum einen machen fehlende städtische Ressourcen eine umfassende Einflussnahme der öffentlichen Hand unmöglich. Zum anderen sind die Erwartungen der Kulturschaffenden und Künstler an eine staatliche Unterstützung denkbar gering. Eine von der Zivilgesellschaft bestimmte Kultur- und Stadtentwicklungspolitik hat mittels mächtiger und reicher Stiftungen und anderer gemeinnütziger Institutionen – etwa Universitäten und Hochschulen – eine besondere Verantwortung, die sie im Dialog mit Künstlern und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen umsetzt. Politik und Verwaltung sowie kommerzielle Projektentwickler halten sich nach Aussagen des damaligen Präsidenten der örtlichen Kunsthochschule im Hintergrund, weil Baltimore den „Vorteil“ habe, wirtschaftlich nicht auf der Sonnenseite zu stehen. Dies habe nämlich erst eine von der Marktlogik befreite, kulturell motivierte Stadtentwicklung möglich gemacht: „Man kann Räume für Künstler, Studios und selbst Kunstgewerbe hier nicht richtig profitabel machen. Was macht man dann? Man findet gemeinnützige Einrichtungen, die es eben in Baltimore gibt, und baut mit deren Hilfe diese Fabrikgebäude um (…), ohne dass daraus ökonomische Gewinne, aber sehr wohl soziale Gewinne, Bildung und eine Steigerung von Lebensqualität in diesem Viertel zu erzielen sind.“ Die ökonomische Malaise Baltimores beherbergt für Künstler und Kulturproduzenten den Gewinn, nicht mit ökonomisch mächtigeren Akteuren im Wettbewerb um Räumlichkeiten zu stehen; es besteht kein Marktdruck. Ein interviewter Künstler drückt dies so aus: „Die Kunstszene in Baltimore ist immer durch die Künstler gestaltet worden, nicht durch die Galerien oder Museen. Die Künstler können hier die Welt so gestalten, wie sie es gerne haben wollen.“

Die Antithese findet sich in Statements einer Intendantin eines Privattheaters in einem der gentrifizierten Gebiete Hamburgs: „In unserem Stadtteil ist aus einer Industriebrache ein urbanes Zentrum geworden, wo sich viele kulturelle Einrichtungen, viel kulturelles Kleingewerbe angesiedelt hat, mit vielen weichen Standortfaktoren (…). Die Kulturpolitik hat dabei mehrere Probleme. Zum ersten machen wir nur Leuchtturmprojekte, die werden vor allem woanders wahrgenommen (…) und das Geld fließt dann immer nur an die Großen (…). Zum anderen wird immer nur betont, dass Kultur Geld bringt, gerade in so einer Pfeffersackstadt (…). Und zum dritten zahlen wir eine sehr teure Miete hier, weil wir in diesem nun schicken Stadtteil sind. Da muss sich sicherlich etwas ändern. Und alles fließt in die wunderbare HafenCity (…). Wo haben wir dann noch einen Freiraum, der sich selbst entwickeln kann?“

Fazit

Der Einfluss langfristiger Gouvernementalitätsstrukturen, die auf den Haushalt basierende Macht der Kulturpolitik und die daraus resultierenden Folgen für die Künstler und Kulturinstitutionen werden durch den Vergleich deutlich. Laut dem Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz kann man die Förderung künstlerisch-kultureller Kreativität in zwei Typen aufteilen: in urbane Steuerungen erster und zweiter Ordnung.[18]

Eine Steuerung erster Ordnung ist ein hierarchisch organisiertes, von oben herab festgelegtes Planungsregime, das vorrangig auf einer positivistisch-ontologischen Logik beruht. Zunächst werden an der Politikspitze Probleme der Stadt erkannt und festgelegt, dann werden dafür Lösungsstrategien gefunden, die dann Punkt für Punkt um- beziehungsweise durchgesetzt werden. Hamburgs Kulturpolitik kann diesem Typus zugeordnet werden.

Dagegen kommt eine urbane Steuerung zweiter Ordnung ohne diese a priori Planung aus. Hier kommen die Ideen nicht von oben; stattdessen nehmen die Politik und Verwaltung aufmerksam schon vorhandene Entwicklungen an der künstlerisch-kulturellen Basis wahr und fördern sie dann grundsätzlich. Eine solchermaßen handelnde Politik und Verwaltung nutzt selbstregierende zivilgesellschaftliche Regime der Basis und unterstützt sie in der Umsetzung ihrer Ziele.

Aber selbst diese Steuerung eigenständiger Kreativität ist in Baltimore nicht wichtig. Deshalb ergänze ich die der Perspektive des Kontinentaleuropäers Reckwitz entspringende Typologie um eine Steuerung dritter Ordnung, die besser zur US-amerikanischen Tradition eines gouvernementalen laissez-faire passt: die Abwesenheit städtisch-staatlicher Interventionen bei der Entwicklung kultureller Strukturen. Für Baltimore gilt, dass dieses Heraushalten – mit Ausnahme einer symbolischen Unterstützung als Teil einer Steuerung zweiter Ordnung – der künstlerisch-kreativen Entwicklung gut getan hat. Die staatliche kulturelle Interventionspolitik in Hamburg scheint dagegen der Entwicklung mainstreamferner und auch risikoreicher künstlerischer Kreativität abträglich zu sein.

 

Fußnoten

1.
Vgl. Frank Eckardt/Dieter Hassenpflug, Consumption and the Post-Industrial City, Frankfurt/M. 2003.
2.
Vgl. Richard Florida, Cities and the Creative Class, Abington–London 2005.
3.
Vgl. Ann Markusen/Anne Gadwa, Creative Placemaking, Washington D.C. 2010.
4.
Vgl. Terry Nichols Clark (Hrsg.), Can Tocqueville Karaoke? Global Contrast of Citizen Participation, the Arts and Development, Bentley 2016.
5.
Vgl. Carl Grodach et al., The Location Patterns of Artistic Clusters: A Metro-and Neighborhood-Level Analysis, in: Urban Studies, 51 (2014) 13, S. 2822–2843.
6.
Vgl. Susanne Friese, Qualitative Data Analysis with ATLAS, Los Angeles u.a. 2014.
7.
Für Statistiken zu den Bevölkerungszahlen Baltimores siehe United States Census Bureau, American FactFinder, http://factfinder.census.gov/faces/nav/jsf/pages/community_facts.xhtml« (18.4.2016); für Hamburg siehe Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Bevölkerungsstand und –entwicklung, http://www.statistik-nord.de/daten/bevoelkerung-und-gebiet/bevoelkerungsstand-und-entwicklung« (18.4.2016).
8.
Alle Zitate der Baltimorer Experten sind vom Autor aus dem Amerikanischen übersetzt worden.
9.
Vgl. John Hawkins, The Creative Economy, London 2001; Richard Florida, The Rise of the Creative Class – and How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2002. Graeme Evans, Cultural Planning: An Urban Renaissance?, London–New York 2002.
10.
Vgl. Davide Ponzini/Ugo Rossi, Becoming a Creative City: The Entrepreneurial Mayor, Network Politics and the Promise of an Urban Renaissance, in: Urban Studies, 47 (2010) 1, S. 1037–1057.
11.
Vgl. A. Markusen/A. Gadwa (Anm. 3). Frühe Vertreter dieser Perspektive waren Charles Landry/Franco Bianchini, The Creative City, London 1995; Bastian Lange, Die Räume der Kreativszenen. Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin, Bielefeld 2007; Richard Lloyd, Neo-Bohemia: Art and Commerce in the Postindustrial City, London–New York 2010.
12.
Vgl. Ann Markusen et al., Crossover: How Artists Build Careers Across Commercial, Nonprofit, and Community Work, Minneapolis 2006, http://www.haassr.org/wp-content/uploads/2014/05/caCrossover.pdf« (18.4.2016).
13.
Vgl. Volker Kirchberg, Künstlerräume zwischen Skylla und Charybdis? Faktoren künstlerisch orientierter Stadtentwicklung in Baltimore, in: Kulturation. Online Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik, 34 (2011) 11, http://www.kulturation.de/ki_1_report.php?id=167«(18.4.2016).
14.
Volker Kirchberg, Art and Culture as an Urban Development Tool. A Diachronic Case Study, in: Zeitschrift für Kulturmanagement, 2 (2016) 1, S. 52–82.
15.
Vgl. Annette Zimmer/Stefan Toepler, Cultural Policies and the Welfare State: The Cases of Sweden, Germany, and the United States, in: The Journal of Arts Management, Law, and Society, 26 (1996) 3, S. 167–193.
16.
Vgl. Chantal Mouffe, Agonistik. Die Welt politisch denken, Frankfurt/M. 2014.
17.
Vgl. Volker Kirchberg/Sacha Kagan, The Roles of Artists in the Emergence of Creative Sustainable Cities: Theoretical Clues and Empirical Illustrations, in: City, Culture and Society, 4 (2013) 3, S. 137–152.
18.
Vgl. Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Frankfurt/M. 2012.


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Die Berliner Theaterlandschaft bis 1933

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Berlin entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einem kulturellen Zentrum. Das Theater spielte dabei eine besonders herausragende Rolle. Die Berliner Bühnen gaben den Ton an, hier wurden neue Ideen ausprobiert. Neue Entwicklungen nahmen hier ihren Anfang, man experimentierte an allen Ecken und Enden, hierher schaute man aus ganz Deutschland und sogar Europa.

1930

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Das Deutsche Theater

Max Reinhardt und das Regie- und Schautheater

 

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Schon ab 1902 hatte sich der Österreicher Max Reinhardt einen Namen als Regisseur gemacht. 1905 übernahm er die Leitung des Deutschen Theaters in Berlin und erwarb das Haus auch käuflich. Er gründete eine Schauspielschule und eröffnete nebenan die Kammerspiele, wo vor allem moderne Stücke gespielt werden sollen. Er kaufte weitere Theater und besaß schließlich elf Bühnen.

Bekannt wurde Reinhardt vor allem wegen seines neuen Stils eines Regietheaters. Hierbei lässt der Regisseur ein Stück nicht „werkgetreu“ aufführen, sondern verändert es eigenhändig, indem er dem Stück seine eigene Interpretation auferlegt und z. B. bestimmte Absätze hinzufügt oder weglässt.

Reinhardt nutzte zudem eine riesige und aufwändige Bühnenmaschinerie, ließ Massen von Statisten (Nebenfiguren ohne Text) auftreten und wurde mit diesem „Schautheater“ in der ganzen Welt bekannt. Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 verlagerte der jüdischstämmige Reinhardt seine Arbeit nach Österreich und schließlich nach Amerika.

Die Volksbühne – Wirkungsstätte von Erwin Piscator

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Max Reinhardt leitete auch die Volksbühne, und zwar von 1914 bis 1918. Erbaut wurde das Haus, um auch dem Volk, d. h. insbesondere der Arbeiterschaft, Zugang zum kulturellen Leben zu ermöglichen. Schon äußerlich unterscheidet sich das Haus mit seiner schlichten Eleganz von den alten hochherrschaftlichen Theatern. Das Motto „Die Kunst dem Volke“ prangte groß an der Fassade.

Mit dem Namen der Volksbühne verbunden ist vor allem Erwin Piscator. Er arbeitete hier als Regisseur von 1924 bis 1927. Der neue Intendant Fritz Holl holte Piscator an diese Spielstätte, sodass nun moderne, zeitkritische Autoren gespielt wurden. Piscator verwendete modernste Bühnentechnik und benutzte die für das Epische Theater typischen Verfremdungseffekte. Politische Einflussnahme war ihm als KPD-Mitglied ein großes Anliegen. Genau das warf man ihm schließlich vor und so verließ Piscator die Volksbühne.

Die Piscator-Bühnen

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Erwin Piscator gründete nun seine eigene Bühne, die Piscator-Bühne. Zwischen 1927 und 1929 wurde das Theater am Nollendorfplatz seine Spielstätte, später auch das Lessing- und das Wallner-Theater. Ernst Tollers Stück „Hoppla wir leben“ wurde zum spektakulären Bühnenereignis. Hier führte er sein Avantgardetheater fort, setzte modernste Technik ein und streute insbesondere gerne Filmausschnitte in seine Aufführungen ein.

Sein Anliegen war es, politische Aussagen zu machen und damit Einfluss auf das Publikum zu nehmen. In seiner Schrift „Das politische Theater“ erläuterte er 1929 sein Programm auch theoretisch. Piscator schuf auch als erster politische Revuen. Mit Bert Brecht arbeitete er als Dramaturg zusammen. Statt Distanz des Zuschauers, wie Brecht sie forderte, wollte Piscator jedoch die aktive Einbeziehung des Publikums erreichen.

Das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt

(Preußisches Staatstheater)  – Leopold Jessner

 

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Politisches Theater betrieb auch Leopold Jessner am Schauspielhaus – wenn auch in etwas gemäßigteren Formen als Piscator. Aufsehen erregten seine Inszenierungen dennoch und bisweilen sogar legendäre Theaterskandale.

Theater am Schiffbauerdamm

 

Im August 1928 fand im Theater am Schiffbauerdamm – heute Spielstätte des Berliner Ensemble – eine Uraufführung statt, die zu einem der größten Theatererfolge der Weimarer Republik werden sollte: Bertolt BrechtsDreigroschenoper„. Auch Ödön von HorváthsItalienische Nacht“ und Marieluises FleißersPioniere in Ingolstadt“  wurden hier uraufgeführt.


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Damals wars…Professor Kurt Raeck

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Erinnern Sie sich an unseren langjährigen Bewohner der Berliner Künstlerkolonie

Professor Kurt Raeck 

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Intendant Renaissance-Theater Berlinbekommt die Ernst-Reuter-Medaille in Silber verliehen (Photo by Binder/ullstein bild via Getty Images)

 

Was bin ich eigentlich, wenn ich 50 Jahre hier in Berlin am Theater in führender Position gewesen bin? Theaterdirektor, Titel Intendant habe ich mal bekommen, Orden und alle möglichen Dinge. Aber damit weiß ich immer noch nicht „was bin ich eigentlich“? Ich bin Berliner. Sagen wir’s kurz. (Kurt Raeck)

 

Von 1946 lag die Leitung des 1927/1928 errichteten Renaissance-Theaters dreiunddreißig Jahre in den Händen von Professor Kurt Raeck. In dieser Zeit war der vielfältig aktive Theatermann die dominante Erscheinung der Privatbühnen (neben Hans Wölffer) und darüberhinaus eine Schlüsselfigur im Theaterleben der Halbstadt.

 

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Anläßlich seines Todes 1981 schrieb Friedrich Luft:

Er war … mit einem selten gewordenen Gemeinsinn für das Berliner Gemeinwesen tätig. Das wird nun sehr fehlen. Er war ein Berliner von der eher sympathisch stillen Art. Er war der allererste, der, studierend, über ein Thema der praktischen Theaterarbeit an irgendeiner deutschen Universität promovierte. Der erste deutsche Theater-Doktor. Das ist er bis zu seinem Ende geblieben. … Heinrich George, als dem das Schillertheater 1936 überantwortet wurde, zog ihn als seinen Geschäftsleiter hinzu. Raeck trat, bewußt und kalkulierend, ins zweite Glied. Er wartete auf das Ende der Nazis und seine neue Chance. Als er sie bekam, ergriff er sie sofort. … Er hat mit Karl Heinz Martin das neue Hebbeltheater zwei fahre aufgebaut. Als die Engländer endlich das schöne Renaissance-Theater für eine Berliner Nutzung wieder hergaben, griff er zu. … Er hat Willi Schmidt, hat Ernst Schröder, hat Hans Lietzau und vor allem immer wieder den schwierigen Rudolf Noelte dort inszenieren lassen – oft mit Spielerfolgen, die die der Staatstheater übertrafen. … Er hatte den direkten Draht zu den großen Protagonisten. Käthe Dorsch hat bei ihm mehrfach gespielt. Walther Franck gehörte zu seinem Ensemble immer wieder. Mit O.E. Hasse und Emst Schröder war er eng befreundet. Er hat Curt Goetz an sein Haus gezogen, solange der noch lebte und spielte und schrieb. Er hat Elisabeth Bergner eigentlich erst in ihre zweite, große deutsche Karriere gebracht, und hat der Grete Mosheim mehrfach die Berliner Stätte bereitet. … Er hat seinem Renaissance-Theater einen praktikablen, einen eigenständigen und unverwechselbaren Ort in der Theaterlandschaft Berlins gegeben.

Die Raeck-Ära war die Zeit der großen Schauspieler. Kaum eine(r), der vor dem Kriege Rang und Namen hatte und nicht im Renaissance-Theater gespielt hätte: Lucie Mannheim, Hubert von Meyerinck, Tilla Durieux, Rudolf Forster, Paul Hörbiger, Grethe Weiser und und und.

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Erfolg und Renommée des Hauses beruhten zum großen Teil auf den Entfaltungsmöglichkeiten, die Raeck diesen Persönlichkeiten bot. Für die Bedingungen eines Privattheaters hielt er ein erstaunliches Autoren-Niveau: Auch Albee, Beckett, Bond, O’Neill und Sartre standen auf dem Ensuite-Spielplan.

Aus der Reihe der Erfolge, die Kurt Raeck immer dann besonders glücklich machten, wenn er mit Gehaltvollem auch Geld verdiente, sei eine Sternstunde des Theaters aus den 50er Jahren herausgegriffen: „Geliebter Lügner„, die europäische Erstaufführung des Briefwechsels zwischen G. B. Shaw und der Schauspielerin Stella Campbell-Patrick unter der Regie des Autors Jerome Kilty mit Elisabeth Bergner und O. E. Hasse. Einhellig schwärmten die Kritiker von dem Wunder Bergner, von der plötzlich der alte Zauber ausging, der in dem glorreichen Theaterjahrzehnt zwischen 1920 und 1930 ihre Größe ausgemacht hatte. O. E. Hasse steigere sich an seiner herrlichen Partnerin zu einer darstellerischen Intelligenz, die ihresgleichen suche; die Bergner sei erst jetzt wirklich aus der Emigration zurückgekehrt.

 

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Intendant Renaissance-Theater Berlin (1946-1979)Porträt- 1956 (Photo by ullstein bild/ullstein bild via Getty Images)

Ich habe versucht, immer das zu machen, was mir auch Freude macht. Ich habe manchmal etwas machen müssen – aus wirtschaftlichen Überlegungen -, was mir keine Freude macht. (Kurt Raeck)

www.renaissance-theater.de


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Lesung Horst Pillau im Juli im Theater Coupe

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Wir feuen uns Horst Pillau für eine Lesung aus seinem neuen Buch und einem sich anschliessenden Besuchergespräch zu seinem Leben, seinen Büchern und seinen grossen Theater und TV Erfolgen im Theater Coupe begrüssen zu dürfen.

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Horst Pillau wurde 1932 in Wien geboren, ist seit dem zweiten Lebensjahr aber Urberliner. Nach seinem Debüt mit einem Rundfunksketch bei RIAS Berlin wurde er mit siebzehn Jahren freier Schriftsteller und ist seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Theater-, Fernseh-, Hörfunk- und Buchautoren Deutschlands. „Das Fenster zum Flur“, gemeinsam mit Curth Flatow geschrieben, war bisher in rund 350 Inszenierungen zu sehen – u. a. mit Inge Meysel und Edith Hancke in der Hauptrolle.

Das Erfolgsstück „Der Kaiser vom Alexanderplatz„, brachte Rudolf Platte in der Titelrolle den Spitznamen „Langspiel-Platte“ ein. Weitere große Bühnenerfolge waren „Guten Tag, Herr Liebhaber!“ mit Brigitte Grothum, Brigitte Mira und Hans-Jürgen Schatz, „Es muss nicht immer Kaviar sein“ (nach Simmel) sowie „Kohlenpaul“ und „Zille“ mit Walther Plathe.

Horst Pillau schrieb zahlreiche Fernseh-Drehbücher, darunter „Salto Mortale„, „Die Wilsheimer„, „Es muss nicht immer Kaviar sein“ und „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ sowie kurze Theaterstücke für „Dalli Dalli„, der Quizshow seiner langjährigen Freundes Hans Rosenthal.