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Erinnerung an Lil Dagover

Erinnern Sie sich an unsere

ehemalige Bewohnerin der

Berliner Künstlerkolonie  

in der

Laubenheimer Strasse

Lil Dagover ?

 

 

Lil Dagover 1919 auf einer Fotografie von Alexander Binder.
Lil Dagover 1927, Fotografie von Alexander Binder

 

Grabstätte von Lil Dagover
 
Lil Dagover, geb. Maria Antonia Sieglinde Martha Lilitt Seubert, (* 30. September 1887 in Madioen, Oost-Java, Niederländisch-Indien, heute Madiun, Ost-Java, Indonesien; † 23. Januar 1980 in Geiselgasteig, Bayern) war eine deutsche Bühnen- und Film-Schauspielerin. Sie zählte zu den führenden deutschen Stummfilmschauspielerinnen und wirkte zwischen 1916 und 1979 in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit.
 

Lil Dagover war Tochter eines deutschen Forstbeamten in niederländischen Diensten und wurde in der Stadt Madiun im heutigen Indonesien geboren, das zu dieser Zeit noch eine niederländische Kolonie war. Sie wurde in Großbritannien, Frankreich und der Schweiz erzogen. Erst als Zehnjährige kam sie nach Deutschland, nachdem ihre Mutter verstorben war. Sie besuchte die Schule in Tübingen und wuchs bei Verwandten auf. Später ging sie nach Weimar. Ihr Geburtsname war Martha Seubert. Andere Vornamen wie Marie, Antonia, Siegelinde und Lilitt entsprangen ihrer Fantasie. 1913 heiratete sie den Schauspieler Fritz Daghofer und wandelte dessen Nachnamen zu ihrem Künstlernamen Dagover ab. 1914 wurde ihre Tochter Eva geboren. Durch ihren Ehemann kam sie in Kontakt mit dem Film. 1913 hatte sie ihren ersten Filmauftritt. Sieben Jahre später ließ sie sich von Daghofer scheiden.

Unter ihrem Künstlernamen trat sie 1919 in zwei Filmen Fritz Langs auf. Von Robert Wiene wurde sie für die weibliche Hauptrolle in Das Cabinet des Dr. Caligari engagiert. Danach drehte sie mit Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und anderen in künstlerisch anspruchsvollen Stummfilmen, die ihr Image als „vornehme Dame“ prägten. 1926 heiratete sie den Produzenten Georg Witt. Da Lil Dagover neben der Filmkarriere in Berlin auch zu einer angesehenen Theaterschauspielerin avancierte und somit Spracherfahrung besaß, bedeutete der Wechsel vom Stummfilm zum Tonfilm für den Star der 1920er Jahre keinen Karriereknick, wie für viele andere Stummfilmstars. Sie spielte an Max Reinhardts Deutschem Theater oder auch bei den Salzburger Festspielen.

Auch während der Zeit des Nationalsozialismus blieb Dagover ein gefeierter UFA-Star, der in den Jahren 1933 bis 1944 mit insgesamt 23 Rollen zu den bekanntesten und beliebtesten Leinwanddarstellern des deutschen Films dieser Zeit gehörte. Obwohl die Nationalsozialisten sie hofierten, tat sie sich politisch nicht hervor. 1937 wurde ihr der Titel Staatsschauspielerin verliehen, und 1944 erhielt sie für ihren Einsatz bei der Truppenbetreuung und ihre Auftritte in Fronttheatern das Kriegsverdienstkreuz. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war sie in zahlreichen Filmen zu sehen und wurde mit Preisen bedacht, so 1954 mit dem Bundesfilmpreis für die beste weibliche Nebenrolle in Königliche Hoheit. 1962 erhielt sie das Filmband in Gold für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film. Ein großer Erfolg war für Dagover 1961 auch der Edgar-Wallace-Film Die seltsame Gräfin, in dem sie die Titelrolle spielte. Lil Dagover trat bis Ende der 1970er Jahre in Filmen auf.

Lil Dagover-Witt starb 1980 in ihrem Haus auf dem Bavaria-Filmgelände in Grünwald. Sie und ihr Gatte Georg ruhen nebeneinander auf dem Waldfriedhof Grünwald bei München.

 

  • 1913: Schlangentanz – Regie: Louis Held
  • 1916: Die Retterin – Regie: Christa Christensen
  • 1916: Das Rätsel der Stahlkammer – Regie: Max Mack
  • 1918: Das Lied der Mutter
  • 1919: Der Tänzer, zwei Teile
  • 1919: Die Spinnen, 1. Der goldene See – Regie: Fritz Lang
  • 1919: Harakiri – Regie: Fritz Lang
  • 1920: Das Cabinet des Dr. Caligari – Regie: Robert Wiene
  • 1920: Die Jagd nach dem Tode
  • 1920: Die Frau im Himmel
  • 1920: Der Richter von Zalamea – Regie: Ludwig Berger
  • 1921: Das Geheimnis von Bombay
  • 1921: Der müde Tod – Regie: Fritz Lang
  • 1922: Luise Millerin – Regie: Carl Froelich
  • 1922: Phantom – Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
  • 1923: Seine Frau, die Unbekannte
  • 1923: Die Prinzessin Suwarin
  • 1924: Komödie des Herzens – Regie: Rochus Gliese
  • 1925: Zur Chronik von Grieshuus – Regie: Arthur von Gerlach
  • 1925: Tartüff – Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
  • 1926: Die Brüder Schellenberg – Regie: Karl Grune
  • 1927: Die Lady ohne Schleier (Hans engelska fru)
  • 1928: Der Graf von Monte Christo – Regie: Henri Fescourt
  • 1928: Ungarische Rhapsodie
  • 1928: Der geheime Kurier
  • 1929: Der Günstling von Schönbrunn
  • 1929: Spielereien einer Kaiserin – Regie: Wladimir Strischewski
  • 1930: Der weiße Teufel – Regie: Alexander Wolkow
  • 1931: Der Kongreß tanzt – Regie: Erik Charell
  • 1931: Elisabeth von Österreich – Regie: Adolf Trotz
  • 1931: The Woman from Monte Carlo – Regie: Michael Curtiz
  • 1932: Die Tänzerin von Sanssouci – Regie: Friedrich Zelnik
  • 1933: Johannisnacht – Regie: Willy Reiber
  • 1934: Ich heirate meine Frau – Regie: Johannes Riemann
  • 1935: Der höhere Befehl
  • 1935: Der Vogelhändler – Regie: E. W. Emo
  • 1935: Lady Windermeres Fächer – Regie: Heinz Hilpert
  • 1936: Schlußakkord
  • 1936: Das Mädchen Irene – Regie: Reinhold Schünzel
  • 1936: Fridericus – Regie: Johannes Meyer
  • 1936: August der Starke – Regie: Paul Wegener
  • 1936: Das Schönheitsfleckchen
  • 1937: Die Kreutzersonate – Regie: Veit Harlan
  • 1938: Es leuchten die Sterne – Regie: Hans H. Zerlett
  • 1940: Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies – Regie: Herbert Maisch
  • 1940: Bismarck – Regie: Wolfgang Liebeneiner
  • 1942: Wien 1910 – Regie: E. W. Emo
  • 1948: Die Söhne des Herrn Gaspary – Regie: Rolf Meyer
  • 1949: Man spielt nicht mit der Liebe – Regie: Hans Deppe
  • 1950: Es kommt ein Tag
  • 1950: Vom Teufel gejagt
  • 1953: Königliche Hoheit – Regie: Harald Braun
  • 1953: Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein
  • 1954: Schloß Hubertus – Regie: Helmut Weiss
  • 1955: Der Fischer vom Heiligensee – Regie: Hans H. König
  • 1955: Rosen im Herbst – Regie: Rudolf Jugert
  • 1955: Die Barrings– Regie: Rolf Thiele
  • 1956: Kronprinz Rudolfs letzte Liebe – Regie: Rudolf Jugert
  • 1957: Unter Palmen am blauen Meer – Regie: Hans Deppe
  • 1959: Buddenbrooks – Regie: Alfred Weidenmann
  • 1961: Die seltsame Gräfin – Regie: Josef von Báky
  • 1969: Hotel Royal – Regie: Wolfgang Becker
  • 1971: Kolibri – Regie: Nathan Jariv
  • 1973: Der Fußgänger – Regie: Maximilian Schell
  • 1974: Karl May – Regie: Hans-Jürgen Syberberg
  • 1975: Tatort: Wodka Bitter-Lemon
  • 1975: Der Richter und sein Henker – Regie: Maximilian Schell
  • 1977: Die Standarte – Regie: Ottokar Runze
  • 1979: Geschichten aus dem Wienerwald – Regie: Maximilian Schell
  • 1937: Ernennung zur Staatsschauspielerin
  • 1954: Filmband in Silber (Beste weibliche Nebenrolle) für Königliche Hoheit
  • 1962: Filmband in Gold für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film
  • 1964: Bambi für Verdienste um den deutschen Film
  • 1967: Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Der Lil-Dagover-Ring in Grünwald wurde nach ihr benannt, außerdem 1995 in Berlin-Hellersdorf die Lil-Dagover-Gasse.


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Erinnerung an Wolfgang Leonhard

Erinnern Sie sich an Wolfgang Leonhard ?

Wolfgang Leonhard, langjähriger Bewohner der Berliner Künstlerkolonie, war ein deutscher Historiker. Er galt als einer der führenden Kenner der Sowjetunion, der DDR und des Kommunismus. Leonhard war Mitglied der Gruppe Ulbricht und wurde bekannt auch durch seinen Bestseller ‘Die Revolution entläßt ihre Kinder’.

Wir erinnern an Wolfgang Leonhard mit einem Interview welches 2007 in derBerliner Morgenpost erschien.

Lebenslänglich DDR

Wolfgang Leonhard ist letzter Überlebender der Gruppe Ulbricht, die nach 1945 den Sozialismus in Deutschland installierte.

Wolfgang Leonhard ist letzter Überlebender der Gruppe Ulbricht, die nach 1945 den Sozialismus in Deutschland installierte. Ein Gespräch über den SED-Staat, die Einheit und die Vorzüge einer großen Bibliothek

Berliner Illustrirte Zeitung: Herr Leonhard, Sie sind einer der führenden Kenner der ehemaligen Sowjetunion und des Kommunismus. Sie leben in dem kleinen Ort Manderscheid in der Eifel. Warum ausgerechnet dort?

Leonhard: Das ist Zufall. Ich habe einmal Freunde in der Eifel besucht. Ich kann hier in Ruhe meine Bücher schreiben und meine gewaltige Bibliothek genießen. Ich darf daran erinnern, dass Werner Höfer aus einem Eifelort kommt und Mario Adorf ebenfalls. Es gibt hier also durchaus interessante Persönlichkeiten.

Ihr neues Buch trägt den Titel “Meine Geschichte der DDR“. Was ist das Persönliche daran?

In den fünf Jahren von 1945 bis 1949 habe ich persönlich am Aufbau des Systems der Sowjetzone mitgewirkt. Dieser Zeitraum wird heute oft übersehen, weil nur noch wenige Zeitzeugen davon berichten können. Und auch nach meiner Flucht habe ich die DDR niemals von außen erlebt.

Wie meinen Sie das? Sie sind doch erst nach der Wende zurückgekehrt, 40 Jahre später.

Wo immer ich gewesen bin, war die DDR mein Hauptthema. Ich lebe seit 1950 in der Bundesrepublik – und doch habe ich über sie noch nie einen Artikel geschrieben, geschweige denn ein Buch. Anders die DDR. Meine Bibliothek hier in Manderscheid hat an die 6000 Bücher, davon kaum welche über den Westen oder die Bundesrepublik. Es gibt nur Bücher über die Sowjetunion, den internationalen Kommunismus – und vor allem: riesige Wände voller Bücher über die DDR.

Sonst nichts?

Einiges mehr. Ich habe zum Beispiel vom 1. Januar 1952 an alle Nummern der “Prawda”, bis 1991, immer eingebunden in Vierteljahresbände. Als diese Zeitung ihr Erscheinen einstellte, war das ein schmerzlicher Verlust für mich. Alle Nummern des “Neuen Deutschlands” habe ich auch – für den ständigen Vergleich Sowjetunion/DDR.

Fühlen Sie sich in der Eifel nicht manchmal ein bisschen im weltpolitischen Abseits?

Orte sind für mich nicht so wichtig. Ich bin kein Reporter, der auf Impressionen angewiesen ist. Ich habe nichts gegen Reporter, aber was sie schreiben, ist unvollständig. Reporter können nur erzählen, was sie sehen und hören. Im Hinblick auf die diktatorische Zeit muss man jedoch analysieren, und das kann man nur, wenn man Parteitagsresolutionen ganz genau liest, nach Hinweisen fahndet auf Schwierigkeiten und Widersprüche, die auch in offiziellen Berichten der Parteiführung mitunter zu erkennen sind.

Wie erlebten Sie Ihre Jahre in der Sowjetischen Besatzungszone? Wann war der Punkt erreicht, als Sie erkannten, dass Sie auswandern mussten?

Ich würde zwei Perioden unterscheiden: zunächst eine antifaschistisch-demokratische, die bis zum Frühjahr 1948 dauerte. Sie war im Wesentlichen mit den Namen Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl verknüpft.

Dann kam die Währungsreform in den Westzonen.

Für mich ein ziemlich unwichtiges Ereignis.

Warum? Sie führte immerhin zur Berlin-Blockade.

Ja, aber für mich war viel wichtiger, was am 16. April 1948 passierte. Es war die fünfstündige Rede Walter Ulbrichts an der SED-Parteihochschule. Mit ihr wurde der Weg in den Einparteienstaat geebnet. Das war auch der Moment, der mir die Augen geöffnet hat. In seiner Rede betonte Ulbricht, die SED sei nun die führende Kraft, und es sei ihre Aufgabe, mithilfe des Staatsapparates unsere eigenen Ziele durchsetzen. Mir wurde heiß und kalt bei diesem Vortrag. Mir war klar: Jetzt gibt es keinen antifaschistisch-demokratischen Block mehr. Jetzt beginnt die verschärfte Angleichung an das stalinistische System der Sowjetunion. Jetzt kam die zweite Periode: die bürokratische Diktatur. Ich erkannte: Hier ist nicht mein Platz.

Aber Sie hatten ja schon vorher genug Gelegenheit, Walter Ulbricht zu beobachten. Sie kannten diesen Mann und seinen Charakter. Wieso waren Sie überrascht?

Bei Ulbricht als Person war ich keineswegs überrascht. Aber bis 1948 waren Wilhelm Pieckund Otto Grotewohl entscheidend, und Ulbricht musste dieses Kräfteverhältnis berücksichtigen.

Sie haben es noch einige Wochen in Berlin ausgehalten.

Bis zum Sommer 1949. Da wurde mir endgültig klar: Wir werden zu einer Provinz der Sowjetunion unter Stalin. Damit gehörte ich der Opposition an. Im Sommer 1948 kam dann Titos offener Bruch mit dem stalinistischen System…

… Sie flohen nach Jugoslawien, waren bei Radio Belgrad Leiter der deutschsprachigen Sendungen und sind von da aus im November in die Bundesrepublik gekommen. Wie haben Sie diesen Staat erlebt?

Ich habe mich ein bisschen fremd gefühlt.

Inwiefern?

Die Mentalität war mir fremd. Ich habe mich in Jugoslawien viel mehr zu Hause gefühlt als in dieser Bundesrepublik. Mein Hauptthema blieb die DDR. Sehr schnell gelang es mir, bei der Zeitschrift “SBZ-Archiv” eingestellt zu werden. Das war die Zeitschrift über die DDR, in der ich mich mit diesem Staat befassen konnte. Ich bin aber auch immer wieder nach Jugoslawien gefahren, zu meinen Freunden. Dort habe ich auch den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 erlebt.

Welche Bedeutung hat der Aufstand für Sie im Rückblick?

Eine außerordentliche – wenn man endlich von dem engen Begriff DDR absieht. Mit dem 17. Juni 1953 begannen die Aufstände gegen die bürokratischen Diktaturen in Mittel- und Südosteuropa. Er war ein Fanal, das weitergetragen wurde mit dem 20. Parteitag der KPdSU 1956, mit dem polnischen Oktober, mit der gewaltigen ungarischen Revolution, dem Prager Frühling 1968, schließlich der polnischen Solidarnosc-Bewegung – das ist eine Kette. Diese Kette gab mir Hoffnung. Seit den 60er-Jahren war ich der festen Überzeugung, dass das weitergeht und das System zusammenbricht.

Eine wichtige Zäsur der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte ist der 13. August 1961. Wo waren Sie, als die Mauer gebaut wurde?

Ich war zu Gast bei Werner Höfer im “Internationalen Frühschoppen”. Ich und die anderen Diskussionsteilnehmer kamen also so um zehn, halb elf da an, und da lief gerade die Nachricht vom Mauerbau über den Ticker. Dann diskutierten wir live darüber, noch während es geschah. Ich weiß noch, wie ich sagte: Es kommt jetzt auf die nächsten Stunden an. Wenn in den nächsten Stunden der Bau nicht abgestoppt wird, wenn es nicht zu Gegenmaßnahmen kommt, dann wird die Mauer für Jahre existieren.

Wie erlebten Sie die Reaktion des Westens?

Die Idee lautete leider: Wir lassen sie gewähren, oder es kommt zum Krieg. Das war eine primitive Betrachtung, man sah immer nur Extreme. Es grassierte die Idee, man müsse den Realitäten ins Auge sehen.

“Wandel durch Annäherung”, von Egon Bahr geprägt bei seiner berühmten Tutzinger Rede 1963, wurde zum Slogan der Neuen Ostpolitik.

Dafür war ich auch. Aber dann hieß es: Wir können den Zustand nur verändern, wenn wir Konzessionen an das DDR-System machen. Das konnte ich verstehen, nur wollte ich die Reihenfolge etwas verändern. Eine Diktatur kann man nicht verändern, indem man sich annähert. Annäherung bei Wandel: Das wäre die richtige Losung gewesen.

Über Herbert Wehner schreiben Sie: “Innerhalb kürzester Zeit wurde aus einer Freundschaft die härteste Ablehnung”. Wie kam es dazu?

Ich habe mich natürlich mit Herbert Wehner am meisten verbunden gefühlt, als ich im November 1950 in die Bundesrepublik kam. Er hatte Sachkenntnis; ich fand es sehr gut, dass man in der SPD an wichtiger Stelle jemanden hatte, der sich genau mit der Sowjetunion Stalins auskannte. Doch dann musste ich entdecken, dass er das Ostbüro bekämpfte – die organisatorische Basis der geflüchteten Parteiführer und Mitglieder der SPD nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED. Mit dem Ostbüro war ich sehr verbunden, die schleusten kritische Materialien in die DDR ein. Leute wie Hermann Weberund ich schrieben für das Ostbüro, weckten Nachdenklichkeit und Kritik gegenüber dem System. Und das hat Herbert Wehner unterdrückt. Für mich eine sehr große Enttäuschung.

1987 waren Sie erstmals wieder in der Sowjetunion. Wie war das für Sie?

Ich war 21 Jahre lang Professor an der Yale-Universität in New Haven, von 1966 bis zum Juli 1987. Ich hatte über 30 Jahre auf Reformen in der Sowjetunion gewartet, unter Gorbatschow schienen sie mir nun erkennbar zu sein. Im Juli 1987 hatte ich die Gelegenheit, die Reformbewegung mitzuerleben. Ich begleitete den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Außenminister Hans-Dietrich Genscher nach Moskau. Es war atemberaubend.

Haben Sie nicht bei Ihrem ersten Besuch Angst gehabt? In derselben Stadt war 50 Jahre zuvor Ihre Mutter entführt worden.

Es war sehr widerspruchsvoll. Zum einen war die Stimmung viel gelöster. Am Flughafen, als wir ankamen, gab es jedoch eine gespenstische Situation. “Willkommen, Herr Bundespräsident”, stand da auf Transparenten.

Und?

Das war ja sehr schön. Aber es war auf rotes Tuch mit weißer Schrift gemalt, wie zu sowjetischen Zeiten. Als ich das letzte Mal solche Transparente gesehen hatte, hatte “Tod den trotzkistischen Spionen” darauf gestanden.

Die Symbole waren noch die alten.

Man war hin- und hergerissen zwischen der Freude über die positiven Veränderungen und der Erkenntnis, dass die alten Kräfte doch noch sehr stark sind. Und in diesem Widerspruch habe ich die Jahre nach 1987 erlebt. Ich habe nicht gezweifelt an den Reformfähigkeiten und -wünschen der Führung, aber kannte doch sehr gut die bürokratischen Gegenkräfte.

Im Herbst 1989 betraten Sie dann den Boden der DDR. Wie war das?

Ich wurde jubelnd empfangen – als erster Dissident der DDR.

Sehen Sie sich in einer Linie mit Ernst Bloch und Robert Havemann?

Absolut. Ich sehe mich als Bindeglied zu den späteren Dissidenten. In erster Linie aber eng verbunden mit Ernst Bloch. Später ist er ja auch geflohen, 1961, und da haben wir uns im Westen und in Jugoslawien getroffen.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute auf den Verlauf der deutschen Einheit zurück?

Es stimmt mich traurig, dass die Menschen, die so mutig waren, gegen die Diktatur aufzustehen und eine friedliche Revolution einzuleiten, mehr und mehr isoliert wurden. Von meinem Standpunkt aus war das eine überhastete Vereinigung.

Was trennt Ost und West heute?

Alle westlichen Vorurteile gegenüber der DDR-Bevölkerung sind heute stärker. Und umgekehrt gilt das auch, vielleicht noch mehr.

Vor ein paar Wochen wurde der Film “Das Leben der Anderen” mit einem Oscar ausgezeichnet. Haben Sie ihn gesehen?

Ja. Ich finde ihn ausgezeichnet, weil er all die Widersprüche des Systems und der Menschen in ihm zeigt. Wandlungen: Das ist das Entscheidende für Menschen, die in einer Diktatur leben, noch dazu in einer solchen.

Der Film spielt in Berlin. Welches Verhältnis haben Sie heute zu dieser Stadt?

Ein starker Anziehungspunkt. Ich habe hier ja meine Kindheit verbracht, in der Künstlerkolonie am Breitenbachplatz. Ich war ein zehn-, elfjähriger Junge, der viele kannte aus der Nachbarschaft, Erich Weinert etwa oder Ernst Busch: Dann habe ich Berlin 1945 erlebt, den Neuaufbau – das sind Erinnerungen, die einen sehr stark prägen. Ich fahre häufig nach Berlin, so häufig es geht, aber dann sehne ich mich auch nach der Eifel zurück.

Das Gespräch führte Felix Müller.

Wolfgang Leonhard: Meine Geschichte der DDR. Rowohlt, Berlin. 267 S., 19,90 Euro.

© Berliner Morgenpost – Alle Rechte vorbehalten.


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Gedenken an Rosa Luxemburg

Eine Steintafel im Gehweg vor dem Haus in Berlin Wilmersdorf, Mannheimer Straße 27, erinnert an den letzten Zufluchtsort von Rosa Luxemburg vor ihrer Ermordung.

Foro: KHMM Die Gedenktafel für enthüllt am 15.1.1990

 

Rosa Luxemburgs Geburstag der 5. März 1871 steht unmittelbar bevor. Wir möchten dies zum Anlass nehmen an diese einflussreiche und inspiriende Frau zu erinnern. Uwe Souku erinnerte 2010 im Tagesspiegel mit nachfolgendem Artikel an Rosa Luxemburg

Luxemburg und Liebknecht

Das letzte Versteck

Mannheimer Straße Nummer 43: Im Haus am Volkspark Wilmersdorf wurden Luxemburg und Liebknecht gefangengenommen.

Ein unscheinbares Haus in der Mannheimer Straße in Wilmersdorf. Immer wieder ist es verputzt worden, aber richtig schön will es einfach nicht werden. Die Fassade bröckelt überall. Im Treppenhaus hängt ein Kronleuchter und an der Wand vier Spiegel mit Goldrahmen. Der gekachelte Fußboden ist alt und ausgetreten.Dass hier, heute Hausnummer 27, im Jahr 1919 Nummer 43, Historisches stattfand, sollte vor 20 Jahren nicht an der Hauswand zu lesen sein. So kam es, dass das Bezirksamt Wilmersdorf im Januar 1990 eine Platte vor dem Haus im Bürgersteig einließ, auf der geschrieben steht, dass hier im Januar 1919 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ihre letzte Zuflucht fanden.
Die Mitglieder der Wilmersdorfer Bürgerwehr, Bruno Lindner und Wilhelm Moering, dem späteren Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) untergeordnet, klingelten am 15. Januar gegen 20 Uhr bei der Familie Marcusson. Sie hätten einen Hinweis erhalten. Karl Liebknecht versuchte noch, sich zu entfernen, wird aber anhand seiner Papiere identifiziert.Eine verdächtig auffallende Frau fragen die Häscher, ob sie Fräulein Luxemburg sei. Sie antwortet: „Frau Luxemburg.“ Damit ist die Sache klar. Rosa Luxemburg leiht sich noch schnell ein paar warme Strümpfe von Frau Marcusson, bei der sich die beiden seit zwei Tagen versteckten. Als Rosa Luxemburg viereinhalb Monate später aus dem Landwehrkanal gezogen wird, erkennt Frau Marcusson diese Strümpfe und weitere Kleidungsstücke wieder.
Die Verhafteten wurden zum Eden-Hotel transportiert. Dort residierte Hauptmann Waldemar Pabst, Chef der Gardekavallerie-Schützen-Division, ein kaisertreuer Militarist ohne Kaiser. Nachdem er einige Tage zuvor Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf einer Versammlung hatte sprechen hören, war er zu der Erkenntnis gelangt, diese „geistigen Führer der Revolution“ umbringen zu lassen. „Man musste den Beschluss fassen, vom Rechtsstandpunkt abzuweichen“, rechtfertigte er sich später. Er ließ die beiden suchen.
Am Abend des 15. Januar hatte er sie in seiner Gewalt. Bei der Durchführung der Tat ließ ihm Noske freie Hand. Er könne den Befehl zur Ermordung zwar nicht geben, denn daran würde die Partei zerbrechen. Er, Pabst, müsse selbst wissen, was zu tun sei. Die Entscheidung des Hauptmannes war folgenreich und beschäftigt uns bis heute. Sie hat die KPD dumm und ob der Morde wütend gemacht – und kopflos. Die SPD lässt es bis heute nicht an sich heran, welch brutale Tat ihr Volksbeauftragter Noske billigte. Die Spaltung der Arbeiterbewegung, mithin die Spaltung der Revolution, raubten der neuen Republik, die ja Ergebnis dieser Revolution war, die Grundlage. Die Feinde dieser Republik, zu denen Pabst zweifelsohne gehörte, hatten bald leichtes Spiel. So ist die Mannheimer Straße ein historischer Ort geworden. Ein Historiker schrieb, sie ende in der Lagerstraße von Auschwitz. Geographisch trifft das nicht zu. Die Mannheimer Straße beginnt am Fehrbelliner Platz und endet am Volkspark Wilmersdorf.