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Deutschlandradio wird in diesem Jahr 25 Jahre alt – Hoffest

Deutschlandradio wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Das möchten Sie mit allen Hörern, Nachbarn und Freunden feiern.

Sie laden alle Interessierten herzlich am Sonntag, den 05. Mai 2019, zu einem Tag der offenen Tür, inklusive Hoffest, in das ehemalige RIAS Berlin Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz ein. Die Veranstaltung beginnt um 11.00 Uhr und endet um 18:00 Uhr.

 

 


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Osterangebot 2 für 1 des Renaissance-Theaters

Das Renaissance-Theater bietet den BewohnerInnen der Künstlerkolonie und und der Nachbarschaft nach Maßgabe der vorhandenen Plätze für die Ostertage 2 Karten für den Preis von 1 Karte an.

 

 

Dieses Ostern steht „NEIN ZUM GELD“ auf dem Spielplan, eine kurzweilige Komödie, mit Hans-Werner Meyer, Sarah Bauerett, Michael Rotschopf und Erika Skrotzki hochkarätig besetzt. Warum also nicht mit Ihren Lieben das schöne Frühlingswetter genießen und abends einen Theaterbesuch einplanen?

Für die Vorstellungen über die Osterfeiertage (19., 20., 21. und 22. April 2019) haben sie ein kleines Kontigent ermäßigter Karten speziell für den Künzerkolonie Kiez eingerichtet. Ab sofort erhalten Sie beim Kauf einer Vollpreiskarte ein zweites Ticket gratis dazu. Das Angebot richtet sich nach Verfügbarkeit der Plätze. Nennen Sie am Telefon unter (030) 312 42 02 oder an unserer Theaterkasse das Stichwort „KÜNSTLERKOLONIE„.

Weitere Informationen zu NEIN ZUM GELD bekommen Sie bei unserer Theaterkasse, auf der Homepage www.renaissance-theater.de , oder telefonisch unter (030) 312 42 02.

Herzliche Grüße und ein fröhliches Osterfest

 


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Künste, Kultur und Künstler im Verständnis der Stadtentwicklung – eine vergleichende Stadtforschung

 

 

Von Volker Kirchberg

Der Vergleich von Großstädten wird in der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung genutzt, um Merkmale einer Stadt und der Stadtentwicklung zu identifizieren, die bei der Betrachtung einer einzelnen Stadt nicht erkennbar wären. Während es schon wenige Städtestudien zur Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung gibt, so sind die städtevergleichenden Arbeiten zu dieser Thematik an einer Hand abzuzählen. Zu nennen sind hier ein Vergleich des kulturellen Konsums in Städten Skandinaviens, Großbritanniens, Polens, Bulgariens, Russlands, Portugals und Spaniens,[1] ein Vergleich der Kreativität von Städten,[2] eine Dokumentation der Bedeutung von Kunst und Kultur für die Entwicklung innerstädtischer Stadtgebiete in den USA,[3] eine Studie zur Bedeutung von Künstlerinnen und Künstlern bei Bürgerbeteiligungen in der Stadtentwicklung[4] und eine vergleichende Untersuchung der Konzentration von Künstlern in bestimmten Stadtgebieten US-amerikanischer Großstädte.[5] Die hier vorgenommene Untersuchung zur Bewertung und Wirkung von Kunst, Kultur und Künstlern auf die Stadtentwicklung stellt zwei Städte gegenüber: das US-amerikanische Baltimore und Hamburg. Dieser Vergleich findet seit mehr als zehn Jahren für Hamburg und seit mehr als zwanzig Jahren für Baltimore statt.

Die Hauptfrage lautet, wie Künstler, Kulturmanagerinnen, Stadtplaner und Kommunalpolitikerinnen Kunst und Kultur als Instrument der Stadtentwicklung verstehen, bewerten und einsetzen. Dies bezieht sich zum einen auf lokale Strukturen wie etwa der Einfluss von Kunst auf Nachbarschaften, und zum anderen auf größere Perspektiven wie die Wirkung überregional ausstrahlender Kulturstätten für eine postindustriell geprägte Stadtökonomie. Ich verwende dabei zwei Vergleichsperspektiven: den Raum (Vergleich von Baltimore und Hamburg) und die Zeit (Vergleich der Nutzung von Kunst und Kultur in den Jahren 1988, 2004 und 2010 für Baltimore). Diese Fragen werden mit Hilfe einer systematischen Inhaltsanalyse von 70 halbstrukturierten Experteninterviews beantwortet, die ich in Baltimore 1988, 2004 und 2010 und Hamburg 2006 und 2013 durchgeführt habe. Bei der systematischen Inhaltsanalyse handelt es sich um das mehrstufige Filtern häufig angesprochener Themen in Interviews, die Etikettierung dieser Themen als Codes und die Analyse der Überschneidung dieser Codes. Die Überschneidungen werden als semantische Relationen untersucht und in Netzwerkdarstellungen visualisiert.[6]

Baltimore und Hamburg bieten sich zum Vergleich an, da beide ältere, im 19. Jahrhundert industrialisierte große Hafenstädte sind, zugleich aber in den vergangenen 50 bis 70 Jahren unterschiedlich erfolgreich postindustrialisiert wurden. Als größte Metropolregion des US-Bundesstaates Maryland umfasst Baltimore knapp 2,7 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner, Hamburgs Metropolregion umfasst 5 Millionen Bewohner. Baltimore erlebte in den vergangenen 65 Jahren einen deutlichen Rückgang der innerstädtischen Bevölkerung von 950.000 (1950) auf 620.000 (2014) Bewohner, während Hamburg seine Bevölkerungszahl nahezu halten konnte (1965: 1.860.000, 2015: 1.770.000 Einwohner).[7] In beiden Städten spielt der Hafen eine große wirtschaftliche Rolle. Allerdings stagniert in Baltimore die Ansiedlung größerer Unternehmenszentralen: Hier meldeten 2003 eine große Schiffswerft und 2012 ein großes Stahlwerk Konkurs an. Hamburg zählt hingegen mit Airbus heute zu den weltweit größten Standorten der Luftfahrttechnik. Gleichzeitig ist Hamburg ein wichtiger nationaler Medienstandort. In Baltimore haben Suburbanisierung und Immobilienspekulation zu Segregation und Diskriminierung insbesondere der 67 Prozent Schwarzen innerstädtischen Bevölkerung geführt, mit der Folge einer hohen Rate an Analphabetismus, Armut und Drogensucht. Dagegen stellen sich die Probleme Hamburgs vergleichsweise gering dar, mit einer durch die wirtschaftliche Erfolgslage starken Zunahme der Lebenskosten und einer Gentrifizierung in innerstädtischen Stadtteilen sowie einer relativ deutlichen ethnischen und sozioökonomischen Segregation zwischen Zentrum und Peripherie.

Kunst und Kultur als Stadtentwicklungsfaktor

 

Die Deutung von Kunst und Kultur als Instrument der Stadtentwicklung ist in Baltimore über die Jahrzehnte alles andere als stabil. In den insgesamt 41 Interviews werden zwar einige Themen, die mit den Codes „Stadtkultur“, „Kulturförderung“, „städtische Ökonomie“ und „Netzwerk“ bezeichnet werden, immer wieder angerissen. Die Bedeutung dieser Konzepte hat sich aber im Laufe der Jahre deutlich verändert. So verstanden die 1988 interviewten Expertinnen und Experten unter „Netzwerk“ noch ein mächtiges und versteckt agierendes Netzwerk der wichtigsten städtischen Hochkulturinstitutionen – Kunstmuseen, Symphonieorchester, Oper, Stadt- und Musicaltheater –, die sicher aus den gleichmäßig fließenden jährlichen Zuschüssen aus Stadt und Bundesstaat schöpfen konnten. 2004 war das Netzwerk dagegen weitaus weniger hegemonial: Jetzt stand der Code für eine lockere Vereinigung vieler kleinerer und mittelgroßer städtischer und regionaler Kulturstätten, die sich in der Greater Baltimore Cultural Alliance zusammengetan haben. Diese informelle Vereinigung war nicht nur in der Lage, eine solidarische Stimme gegenüber den großen Akteuren der Kulturförderung zu erheben, sondern wurde auch von den wichtigsten Hochkultureinrichtungen akzeptiert, die ihre hegemoniale Position aufgaben. 2010 wurde dieses solidarische Netzwerk um ein weiteres Netzwerk einer lokalen, kulturfördernden Zivilgesellschaft ergänzt, die mit ihrer gemeinnützigen und außerstaatlichen Förderpolitik viele junge Künstler symbolisch und materiell unterstützte.

Die Veränderung der Konnotation des Begriffs „Netzwerk“ verweist auf eine zwischen 1988 und 2010 zunehmende demokratische Ausgestaltung von Kultur und Kunst. Ähnliches lässt sich auch hinsichtlich anderer Codes oder Themen sagen. Ende der 1980er Jahre drückten die Baltimorer Befragten noch deutlich den Wunsch aus, im Sinne Adornos die „ungebildeten Massen“ durch die Hochkultur zu „läutern“. Die Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur wurde von den Experten deutlich ausgewiesen. So sagte der geschäftsführende Direktor des Baltimore Symphony Orchestra: „Die Leute in der Stadt wollen (klassische Konzerte) für ihre Kinder, auch wenn sie sie nicht für sich selbst wollen. Die Leute fühlen, dass klassische Musik eine wertvolle Erfahrung für ein gutes Leben (ist), und deshalb wollen sie ihren Kindern diese Gelegenheit geben, sich dieser Musik auszusetzen.“[8] In diesen Jahren diente Kunstkonsum der städtischen Kultur als erzieherisches Mittel zur sozialen Statuserhöhung. Ein ganz anderer, makroökonomischer Diskurs wurde dagegen 2004 verhandelt: Jetzt galt es mittels Kunst und Kultur „Kreativität“ in die Stadt zu bringen, um damit die Postindustrialisierung voranzutreiben. Um ältere Hafenrandgebiete als luxuriöse Wohn- und zum Teil Arbeitsgebiete umzugestalten, wurde nicht mehr nur die explizit „hoch“ genannte Kultur gefördert, sondern auch kleine Theaterbühnen, die informelle Musikszene sowie eine Mischung aus Restaurants, Bars, Cafés und Kunstorten. Dabei basierten die Expertenaussagen auf einer neuen Welle an Fachliteratur zur Bedeutung der Kreativität in postindustriellen Städten.[9] 

Kreativität wurde ein schillernder, wenn auch unpräziser Begriff, der umfassend von Stadtpolitik und Wirtschaftsförderung verwendet wurde. So stellte 1999 der junge und tatkräftige Bürgermeister Martin O’Malley die Förderung einer „kreativen Klasse“ in den Mittelpunkt seiner neuen Politik. Er startete die Creative Baltimore Initiative als Idee, mit lokalen Künstlern auf Augenhöhe zu kooperieren, und wurde dabei von den örtlichen Kulturkreisen strategisch unterstützt. Als Ergebnis unterzeichneten der Bürgermeister und 79 lokale Künstler ein white paper, in dem die politische, soziale und wirtschaftliche Bedeutung der Künstler in der Stadt offiziell bestätigt wurde.[10] Der positive Einfluss des Ökonomen Richard Florida auf die städtische Kulturpolitik wurde immer wieder betont. Florida versteht die kulturelle und künstlerische Aufwertung innerstädtischer Stadtteile allein als Attraktion für die kreative Klasse wohlhabender und hochqualifizierter Neubewohner und nicht für junge, zumeist prekär lebende und künstlerisch nur potenziell interessante Künstler und Kulturschaffende. Ernüchternder, aber auch pragmatischer und realistischer, klangen die Expertenaussagen 2010. Vor allem die wichtigen gemeinnützigen Projektentwicklerinnen und -entwickler verstanden Kunst und Kultur nicht mehr als kurzfristiges Wundermittel zur wirtschaftlichen Rettung der Stadt. Vielmehr sahen sie darin ein kleinstufiges, langfristiges, mühseliges Mittel mit einer weniger klaren „Erfolgsquote“, um bestimmte Stadtgebiete durch eine zielgerichtete Wagnisförderung bisher unterschätzter kreativer Trends, Personen und Einrichtungen zu unterstützen. Von dieser unscheinbaren, weniger Politikpropaganda und Stadtmarketing bezweckenden, aber zielgerichteten Hilfe profitierten vor allem junge, sich selbst und ihre Kunst noch entdeckende Künstler.

Jetzt wurde sich klar von Floridas These distanziert. Die wichtigsten Vertreterinnen dieses alternativen Blickes auf Kunst- und Kulturproduktion in der Stadt sind Ann Markusen und Anne Gadwa, die Künstler und Kultur als essenziellen Teil des sogenannten placemaking verstehen.[11] Künstler und ihre alltäglichen Aktionsräume und Netzwerke werden hier als soziale Gewebe verstanden, die städtische Räume durch künstlerisches Wirken zu öffentlichen, inklusiven und zivilgesellschaftlichen Orten machen. Dafür müssen Künstler dort frei von wirtschaftlichen und anderen Ängsten arbeiten und leben können, also mit angemessenen und preiswerten Räumlichkeiten für ihre spezifische Arbeits- und Lebenssituation versorgt werden. Dies umfasst ein komplexes Aufgebot an Proben-, Aufführungs-, Ausstellungs- und Verkaufsräumen, die Bereitstellung von Förderungen, Stipendien und Weiterbildungsmöglichkeiten und die mit den Künstlern gemeinsam umgesetzte Ausgestaltung dieser Räume zu Orten intensiver Vernetzung.[12] Während der Diskurs 2004 noch politische Versprechungen einer umfassenden Stadt- und Wirtschaftsförderung produzierte, ging es um einen kleinteiligen, aber realisierbaren Pragmatismus für kleinere städtische Räume, die sich nicht zu weit von anderen, sich schon entwickelnden Stadtteilen befinden. Im Stadtteil Station North etwa standen für Jahrzehnte viele mehrstöckige Industriegebäude leer,[13] die nun zum Ziel dieses künstlerischen placemaking wurden.

Der Präsident der Stadtagentur Baltimore Development Corporation drückt dies so aus: „Die (darstellenden und bildenden Künstler) haben es selber initiiert, zunächst mit kleinen Gruppen, wir haben es dann unterstützt und jetzt ist es ein Selbstläufer. Also, all dies ist nicht ein großer Plan der Stadt oder von irgendwem anders gewesen, aber jetzt helfen wir wo wir können.“ Über die Zeit fanden also mindestens zwei große Transformationen statt: Während 1988 bei den Akteuren der Kultur- und Stadtentwicklung kein Bewusstsein für Kunst als Stadtentwicklungsfaktor bestand, das über Status- und Erziehungsfunktionen hinausging, wurde 2004 die ökonomische Funktion der Kultur als legitimierender Faktor im Sinne Floridas betont. 2010 stellte sich die Situation wiederum anders dar und die sozial und städtepolitisch stabilisierende Funktion von Künsten als Elemente des placemaking wurden betont.[14] Eine Gesetzmäßigkeit lässt sich mittels dieser Fallstudie natürlich nicht postulieren. Durch die Gegenüberstellung mit einer anderen Stadt lässt sich jedoch die „Eigenlogik“ verdeutlichen, also die städtisch spezifische Logik des Einsatzes von Kunst und Kultur in der Stadtentwicklung. Dies soll nun durch den Vergleich des Einsatzes von Kunst und Kultur in Baltimore 2004 und Hamburg 2006 geschehen. Ungeachtet der Einbettung in kapitalistische Systeme der nordwestlichen Hemisphäre sind die politischen Steuerungssysteme in beiden Städten so unterschiedlich, dass die Bedeutung von Kultur im urbanen Kontext davon intensiv beeinflusst wird. Als zentrale Aussage kann hier immer noch das Ergebnis einer nationalen Vergleichsstudie von 1996 angeführt werden:[15] In den USA findet demnach staatliche Kulturpolitik nur sehr indirekt statt, finanzielle Zuschüsse werden zuerst an kulturschaffende Peergroups vergeben, die dann die Verteilung nach selbst festgelegten Kriterien vornehmen. In Deutschland hingegen bleibt Kultur traditionell nicht nur eines der wichtigsten Einflussgebiete kommunaler Politik, sondern ist finanziell in großem Maße von staatlichen Quellen abhängig. So überrascht es nicht, dass die Gespräche mit den Hamburger Experten 2006 immer wieder zu einem Thema führten: „Kulturpolitik“. Diesem Thema folgten „Wirkungen der Kultur auf die Stadtentwicklung“, „Netzwerke“, „staatliche Finanzierung“ und „Kreativität“.

Das „Image der Stadt“ und die Wirkung der Kultur auf die „Stadtökonomie“ wurden weiter verbunden mit Themen wie „kulturelle Leuchttürme“, „Elbphilharmonie“ und „HafenCity“. Das offizielle Leitbild der „Wachsenden Stadt“ symbolisierte den Fokus auf das Ziel einer gesamtstädtischen ökonomischen Prosperität – weniger der Verteilungsgerechtigkeit –, und die interviewten Verantwortlichen der Kulturpolitik hatten sich diesem Ziel voll verschrieben. Hier gab und gibt es zwei große Projekte: zum einen die Entwicklung der „HafenCity“, die durch den Bau der „Elbphilharmonie“ und der Ansiedlung des internationalen Maritimen Museums und des Science Centers gezielt kulturell konnotiert wird; und zum anderen die Revitalisierung St. Paulis und benachbarter innerstädtischer Stadtteile, die im Sinne Floridas zu plug-and-play communities der kreativen Klasse umgebaut werden, mit gentrifizierten Wohngebieten, Start-Up Büros im Industrieschick der Gründerzeitästhetik und einem neuen Unterhaltungsviertel an der Reeperbahn für den breiteren Geschmack. „Im Prinzip waren die Reeperbahn und die ganze Gegend ziemlich runtergekommen“, so der damalige Stadtentwicklungssenator, „es war eigentlich nur noch schmuddelig.

Die Entwicklungen um (die Musicaltheater) ‚Schmidts Tivoli‘ und Operettenhaus waren dann zwei letztendlich private Ansätze, die dazu geführt haben, dass dort völlig andere Besucherströme hingekommen sind, die das Ganze völlig aufmischten, und dies hat letztendlich (…) zu einer völlig anderen optischen Wahrnehmung geführt. Das ist der Einfluss von Kultur auf Stadtentwicklung.“ Die Thesen Richard Floridas hinterließen sowohl in Baltimore wie in Hamburg ihre deutlichen Spuren. Kultur, Stadtökonomie und Kreativität bilden in beiden Städten ein festes Argumentationsdreieck. In Hamburg wird die Kultur als Teil der Stadtentwicklung allerdings weitaus stärker durch ihre Bedeutung für die Stadtökonomie legitimiert als in Baltimore. Der deutlichste Unterschied zwischen den Städten befindet sich in dem Größenmaßstab kultureller Projekte: Während in Hamburg mit kulturellen Leuchtturmprojekten und einem europäischen Stadtentwicklungsvorhaben im großen Maßstab geworben wird, stellt sich Baltimore nach außen pragmatischer, kleinteiliger und weniger PR-offensiv dar. Baltimores Unterstützung der Künstlerviertel hilft im kleinteiligen Maßstab vor allem den vielen weniger etablierten und (noch) nicht berühmten Künstlern. Hamburg versteht hingegen Hochkultur entweder als im globalen Maßstab zu bewerbendes Konsumprodukt oder als kommerzielle Aktivität wie zum Beispiel Musicals, mit der eine innerstädtische Reurbanisierung im Sinne Floridas vorangetrieben werden kann.

Macht der Kulturpolitik

Kultur als Teil der Stadtentwicklung muss nicht zwingend Aufgabe einer städtisch-staatlichen Kulturpolitik sein, wie der Vergleich mit Baltimore zeigt. Die Frage nach der Bedeutung der Kulturpolitik für die städtische Kulturentwicklung wurde in Baltimore zurückhaltend beantwortet. Zwar zeigte sich hier ein potenziell starker Einfluss des Bürgermeisters, wenn er denn in dieser Frage Statur zeigen möchte, aber die Selbstgestaltung urbaner Kultur durch zivilgesellschaftliche Netzwerke gewann in den vergangenen zwanzig Jahren zunehmend an Bedeutung. Der Einfluss der von Kultureinrichtungen und Künstlerinitiativen 2001 gegründete Greater Baltimore Cultural Alliance ist hier beispielgebend, wie es die damalige Vorsitzende Nancy Haragan darlegte. Nachdem der Bürgermeister Unterstützung signalisiert hatte, seien sie strategisch vorgegangen, mit dem Ziel, neue Wege zu gehen: „Wir luden einzelne Personen aus lokalen Künstlergruppen ein mitzumachen, denn die fühlen sich immer unterdrückt (…). Wir haben von Anfang an nicht auf die großen Kulturinstitutionen gesetzt, sondern auf die kleinen und die Künstler. Politisch war dies sehr wichtig, obwohl wir zuerst auch einen deutlichen Gegenwind spürten.“ Die Bedeutung von Stadtverwaltung und -politik für die Kulturgestaltung in Baltimore wird folglich als sehr gering eingeschätzt. Wieder Nancy Haragan: „Nachdem die alte Stadtregierung sich zurückzog, realisierten die Leute plötzlich, dass das Rathaus eigentlich für die Kultur dieser Stadt ohne Bedeutung war (…), dass man nicht die Erlaubnis des Rathauses braucht, um das zu tun was man für die Kultur tun muss (…). Wenn sie will, kann die Stadt dann immer noch später zu uns kommen und darum bitten, uns zu unterstützen.“

Abbildung 1: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Baltimore 2004Abbildung 1: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Baltimore 2004 (© bpb)

Überlappungen der Themen „Kulturpolitik“, „gemeinnützige Netzwerke“, „Künstlerviertel“ und „Reurbanisierung“ beziehungsweise „positiver Stadtteilwandel“ in Baltimore werden in dem semantischen Netzwerk der Abbildung 1 deutlich. Der große Einfluss der städtisch-staatlichen Politik auf die Kultur und die kulturell orientierte Stadtentwicklung für Hamburg lässt sich im semantischen Netzwerk verdeutlichen (Abbildung 2). Die staatlichen Akteure sind dabei nicht nur die wichtigsten Gestalter kulturell orientierter Stadtentwicklung, sie werden ganz anders als in der basisdemokratischen Atmosphäre Baltimores parteipolitisch und durch Behördenvorgaben bestimmt.

Abbildung 2: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Hamburg 2006Abbildung 2: Der Einfluss der Kulturpolitik auf die Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung in Hamburg 2006 (© bpb)

Diese deutliche Top-down-Orientierung ruft allerdings eine ebenso deutliche und kritische Reaktion der basisdemokratisch orientierten Kulturszenen hervor: So kritisiert etwa die damalige Sprecherin der Hamburger Echo Mailingliste für Kunst, Kritik und Kulturpolitik den Einfluss der Behörden und Parteien, deren Personal es häufig an kulturpolitischer Kompetenz mangele: „Zur Kulturpolitik gehört eben auch kompetentes Personal, also in den Behörden oder in den Parteien, die sich dann auch für das Metier interessieren.“ Kulturentscheidungen in Hamburg sind aber nicht immer allein Parteientscheidungen. Einige Entscheidungen – wie zur Elbphilharmonie oder zur Kreativgesellschaft – sind in parteiübergreifenden, manchmal Koalitionen entstammenden Verhandlungen entstanden.

Genauso wichtig sind die Behörden, die mit ihren Apparaten nicht nur Korrektive eines Legislaturperioden-Aktionismus sein können, sondern notwendige Veränderungen auch verhindern können, wie ein Kulturmanager eines nichtstädtischen Kulturzentrums beklagte: „Dieses traditionelle Ungleichgewicht der Hochkultur zu Ungunsten der alternativeren Kulturformen finde ich falsch. Und das müsste in meinen Augen – maßvoll – eine Kulturbehörde ändern können, (…) dann muss sich eben eine Verwaltung umstrukturieren und halt Leute integrieren können, die das verstehen was wir machen.“ In diesem Sinne wird die städtische Kulturpolitik als Sachverwalter des Status Quo samt einer ungerechten Verteilung verurteilt. Die Sprecherin des Echo Netzwerkes drückt ihre Frustration noch deutlicher aus: „Alles, was Kulturförderung ist, ist gebunden an einen bestimmten Stadtteil, an ein bestimmtes Thema oder an eine bestimmte Funktion, (…) die Förderung ganz freier Produktionen geht fast gegen Null. Und das finde ich sehr skandalös, weil es die allermeisten, eigentlich alle Künstler, betrifft, es aber keine Lobby dafür gibt, weil die einzelnen Künstler überhaupt nicht vernetzt sind.“

Allein der Geschäftsführer einer unabhängigen, kulturell engagierten Stadtplanungsagentur spricht hoffnungsvoll von der Möglichkeit einer zivilgesellschaftlichen Vernetzung Hamburger Künstlerszenen zur Verringerung ihrer staatlichen Abhängigkeiten: „In den neuen kulturellen Stadtteilinitiativen werden wir das jetzt selbst in die Hand nehmen. Wenn der Staat seine Gestaltungs- und Diktionsmacht aufgibt, dann können in diesem Vakuum Leute Räume schaffen, Möglichkeitsräume, und ihre Sachen machen, visuelle Kommunikation, Soziokultur, Stadtentwicklung, lebendige Stadt (…) und dann hoffen, dass eine leichte Kursveränderung einsetzt.“

Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hat in ihrem Buch zur „Agonistik“[16] von der Polarität zwischen einer konflikt- und einer konsensbetonenden Politik gesprochen. Die Demokratie wird ihrer Meinung nach von der Betonung eines vermeintlich alternativlosen Konsenses bedroht. In diesem Sinne verschwindet der öffentliche Streit um Mittel und Ziele der Stadtkultur, er wird entpolitisiert und entdemokratisiert, weil er sich den alternativlosen Plänen der umfassenden ökonomischen Agenda eines „Unternehmens Hamburg“ unterordnen muss. Kulturpolitik in dieser Stadt ist aufgrund der immer noch großen städtischen Finanzressourcen staatlich stark determiniert, zum anderen führt dies zu einer Einengung der Kulturpolitik auf die Kulturfinanzierung. Diese kann wiederum nur durch ihre Kontextualisierung in wirtschaftlichen Zusammenhängen legitimiert werden, sei dies als Teil postindustrieller Kreativindustrien, als Annehmlichkeiten für die kreative Klasse oder als Leuchttürme des Stadtmarketings. Dieser vermeintlich unabwendbare Konsensus schließt andere Legitimierungen einer staatlichen Kulturpolitik zwar nicht aus, zum Beispiel der Beitrag der urbanen Kultur und ihrer Produzenten zu möglichen sozial, ökologisch oder kulturell nachhaltigen Stadtentwicklungen, er macht sie aber zu Marginalien politischer Entscheidungen. Eine agonistische Kulturpolitik könnte zu einer Redemokratisierung der Kulturgestaltung führen – und Ansätze sind dafür auch in Hamburg vorhanden.[17]

Weitaus anders stellt sich dagegen die Kulturpolitik in Baltimore dar. Zum einen machen fehlende städtische Ressourcen eine umfassende Einflussnahme der öffentlichen Hand unmöglich. Zum anderen sind die Erwartungen der Kulturschaffenden und Künstler an eine staatliche Unterstützung denkbar gering. Eine von der Zivilgesellschaft bestimmte Kultur- und Stadtentwicklungspolitik hat mittels mächtiger und reicher Stiftungen und anderer gemeinnütziger Institutionen – etwa Universitäten und Hochschulen – eine besondere Verantwortung, die sie im Dialog mit Künstlern und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen umsetzt. Politik und Verwaltung sowie kommerzielle Projektentwickler halten sich nach Aussagen des damaligen Präsidenten der örtlichen Kunsthochschule im Hintergrund, weil Baltimore den „Vorteil“ habe, wirtschaftlich nicht auf der Sonnenseite zu stehen. Dies habe nämlich erst eine von der Marktlogik befreite, kulturell motivierte Stadtentwicklung möglich gemacht: „Man kann Räume für Künstler, Studios und selbst Kunstgewerbe hier nicht richtig profitabel machen. Was macht man dann? Man findet gemeinnützige Einrichtungen, die es eben in Baltimore gibt, und baut mit deren Hilfe diese Fabrikgebäude um (…), ohne dass daraus ökonomische Gewinne, aber sehr wohl soziale Gewinne, Bildung und eine Steigerung von Lebensqualität in diesem Viertel zu erzielen sind.“ Die ökonomische Malaise Baltimores beherbergt für Künstler und Kulturproduzenten den Gewinn, nicht mit ökonomisch mächtigeren Akteuren im Wettbewerb um Räumlichkeiten zu stehen; es besteht kein Marktdruck. Ein interviewter Künstler drückt dies so aus: „Die Kunstszene in Baltimore ist immer durch die Künstler gestaltet worden, nicht durch die Galerien oder Museen. Die Künstler können hier die Welt so gestalten, wie sie es gerne haben wollen.“

Die Antithese findet sich in Statements einer Intendantin eines Privattheaters in einem der gentrifizierten Gebiete Hamburgs: „In unserem Stadtteil ist aus einer Industriebrache ein urbanes Zentrum geworden, wo sich viele kulturelle Einrichtungen, viel kulturelles Kleingewerbe angesiedelt hat, mit vielen weichen Standortfaktoren (…). Die Kulturpolitik hat dabei mehrere Probleme. Zum ersten machen wir nur Leuchtturmprojekte, die werden vor allem woanders wahrgenommen (…) und das Geld fließt dann immer nur an die Großen (…). Zum anderen wird immer nur betont, dass Kultur Geld bringt, gerade in so einer Pfeffersackstadt (…). Und zum dritten zahlen wir eine sehr teure Miete hier, weil wir in diesem nun schicken Stadtteil sind. Da muss sich sicherlich etwas ändern. Und alles fließt in die wunderbare HafenCity (…). Wo haben wir dann noch einen Freiraum, der sich selbst entwickeln kann?“

Fazit

Der Einfluss langfristiger Gouvernementalitätsstrukturen, die auf den Haushalt basierende Macht der Kulturpolitik und die daraus resultierenden Folgen für die Künstler und Kulturinstitutionen werden durch den Vergleich deutlich. Laut dem Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz kann man die Förderung künstlerisch-kultureller Kreativität in zwei Typen aufteilen: in urbane Steuerungen erster und zweiter Ordnung.[18]

Eine Steuerung erster Ordnung ist ein hierarchisch organisiertes, von oben herab festgelegtes Planungsregime, das vorrangig auf einer positivistisch-ontologischen Logik beruht. Zunächst werden an der Politikspitze Probleme der Stadt erkannt und festgelegt, dann werden dafür Lösungsstrategien gefunden, die dann Punkt für Punkt um- beziehungsweise durchgesetzt werden. Hamburgs Kulturpolitik kann diesem Typus zugeordnet werden.

Dagegen kommt eine urbane Steuerung zweiter Ordnung ohne diese a priori Planung aus. Hier kommen die Ideen nicht von oben; stattdessen nehmen die Politik und Verwaltung aufmerksam schon vorhandene Entwicklungen an der künstlerisch-kulturellen Basis wahr und fördern sie dann grundsätzlich. Eine solchermaßen handelnde Politik und Verwaltung nutzt selbstregierende zivilgesellschaftliche Regime der Basis und unterstützt sie in der Umsetzung ihrer Ziele.

Aber selbst diese Steuerung eigenständiger Kreativität ist in Baltimore nicht wichtig. Deshalb ergänze ich die der Perspektive des Kontinentaleuropäers Reckwitz entspringende Typologie um eine Steuerung dritter Ordnung, die besser zur US-amerikanischen Tradition eines gouvernementalen laissez-faire passt: die Abwesenheit städtisch-staatlicher Interventionen bei der Entwicklung kultureller Strukturen. Für Baltimore gilt, dass dieses Heraushalten – mit Ausnahme einer symbolischen Unterstützung als Teil einer Steuerung zweiter Ordnung – der künstlerisch-kreativen Entwicklung gut getan hat. Die staatliche kulturelle Interventionspolitik in Hamburg scheint dagegen der Entwicklung mainstreamferner und auch risikoreicher künstlerischer Kreativität abträglich zu sein.

 

Fußnoten

1.
Vgl. Frank Eckardt/Dieter Hassenpflug, Consumption and the Post-Industrial City, Frankfurt/M. 2003.
2.
Vgl. Richard Florida, Cities and the Creative Class, Abington–London 2005.
3.
Vgl. Ann Markusen/Anne Gadwa, Creative Placemaking, Washington D.C. 2010.
4.
Vgl. Terry Nichols Clark (Hrsg.), Can Tocqueville Karaoke? Global Contrast of Citizen Participation, the Arts and Development, Bentley 2016.
5.
Vgl. Carl Grodach et al., The Location Patterns of Artistic Clusters: A Metro-and Neighborhood-Level Analysis, in: Urban Studies, 51 (2014) 13, S. 2822–2843.
6.
Vgl. Susanne Friese, Qualitative Data Analysis with ATLAS, Los Angeles u.a. 2014.
7.
Für Statistiken zu den Bevölkerungszahlen Baltimores siehe United States Census Bureau, American FactFinder, http://factfinder.census.gov/faces/nav/jsf/pages/community_facts.xhtml« (18.4.2016); für Hamburg siehe Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Bevölkerungsstand und –entwicklung, http://www.statistik-nord.de/daten/bevoelkerung-und-gebiet/bevoelkerungsstand-und-entwicklung« (18.4.2016).
8.
Alle Zitate der Baltimorer Experten sind vom Autor aus dem Amerikanischen übersetzt worden.
9.
Vgl. John Hawkins, The Creative Economy, London 2001; Richard Florida, The Rise of the Creative Class – and How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2002. Graeme Evans, Cultural Planning: An Urban Renaissance?, London–New York 2002.
10.
Vgl. Davide Ponzini/Ugo Rossi, Becoming a Creative City: The Entrepreneurial Mayor, Network Politics and the Promise of an Urban Renaissance, in: Urban Studies, 47 (2010) 1, S. 1037–1057.
11.
Vgl. A. Markusen/A. Gadwa (Anm. 3). Frühe Vertreter dieser Perspektive waren Charles Landry/Franco Bianchini, The Creative City, London 1995; Bastian Lange, Die Räume der Kreativszenen. Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin, Bielefeld 2007; Richard Lloyd, Neo-Bohemia: Art and Commerce in the Postindustrial City, London–New York 2010.
12.
Vgl. Ann Markusen et al., Crossover: How Artists Build Careers Across Commercial, Nonprofit, and Community Work, Minneapolis 2006, http://www.haassr.org/wp-content/uploads/2014/05/caCrossover.pdf« (18.4.2016).
13.
Vgl. Volker Kirchberg, Künstlerräume zwischen Skylla und Charybdis? Faktoren künstlerisch orientierter Stadtentwicklung in Baltimore, in: Kulturation. Online Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik, 34 (2011) 11, http://www.kulturation.de/ki_1_report.php?id=167«(18.4.2016).
14.
Volker Kirchberg, Art and Culture as an Urban Development Tool. A Diachronic Case Study, in: Zeitschrift für Kulturmanagement, 2 (2016) 1, S. 52–82.
15.
Vgl. Annette Zimmer/Stefan Toepler, Cultural Policies and the Welfare State: The Cases of Sweden, Germany, and the United States, in: The Journal of Arts Management, Law, and Society, 26 (1996) 3, S. 167–193.
16.
Vgl. Chantal Mouffe, Agonistik. Die Welt politisch denken, Frankfurt/M. 2014.
17.
Vgl. Volker Kirchberg/Sacha Kagan, The Roles of Artists in the Emergence of Creative Sustainable Cities: Theoretical Clues and Empirical Illustrations, in: City, Culture and Society, 4 (2013) 3, S. 137–152.
18.
Vgl. Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Frankfurt/M. 2012.


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Die Berliner Theaterlandschaft bis 1933

Berlin entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einem kulturellen Zentrum. Das Theater spielte dabei eine besonders herausragende Rolle. Die Berliner Bühnen gaben den Ton an, hier wurden neue Ideen ausprobiert. Neue Entwicklungen nahmen hier ihren Anfang, man experimentierte an allen Ecken und Enden, hierher schaute man aus ganz Deutschland und sogar Europa.

1930

Das Deutsche Theater

Max Reinhardt und das Regie- und Schautheater

 

Schon ab 1902 hatte sich der Österreicher Max Reinhardt einen Namen als Regisseur gemacht. 1905 übernahm er die Leitung des Deutschen Theaters in Berlin und erwarb das Haus auch käuflich. Er gründete eine Schauspielschule und eröffnete nebenan die Kammerspiele, wo vor allem moderne Stücke gespielt werden sollen. Er kaufte weitere Theater und besaß schließlich elf Bühnen.

Bekannt wurde Reinhardt vor allem wegen seines neuen Stils eines Regietheaters. Hierbei lässt der Regisseur ein Stück nicht „werkgetreu“ aufführen, sondern verändert es eigenhändig, indem er dem Stück seine eigene Interpretation auferlegt und z. B. bestimmte Absätze hinzufügt oder weglässt.

Reinhardt nutzte zudem eine riesige und aufwändige Bühnenmaschinerie, ließ Massen von Statisten (Nebenfiguren ohne Text) auftreten und wurde mit diesem „Schautheater“ in der ganzen Welt bekannt. Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 verlagerte der jüdischstämmige Reinhardt seine Arbeit nach Österreich und schließlich nach Amerika.

Die Volksbühne – Wirkungsstätte von Erwin Piscator

Max Reinhardt leitete auch die Volksbühne, und zwar von 1914 bis 1918. Erbaut wurde das Haus, um auch dem Volk, d. h. insbesondere der Arbeiterschaft, Zugang zum kulturellen Leben zu ermöglichen. Schon äußerlich unterscheidet sich das Haus mit seiner schlichten Eleganz von den alten hochherrschaftlichen Theatern. Das Motto „Die Kunst dem Volke“ prangte groß an der Fassade.

Mit dem Namen der Volksbühne verbunden ist vor allem Erwin Piscator. Er arbeitete hier als Regisseur von 1924 bis 1927. Der neue Intendant Fritz Holl holte Piscator an diese Spielstätte, sodass nun moderne, zeitkritische Autoren gespielt wurden. Piscator verwendete modernste Bühnentechnik und benutzte die für das Epische Theater typischen Verfremdungseffekte. Politische Einflussnahme war ihm als KPD-Mitglied ein großes Anliegen. Genau das warf man ihm schließlich vor und so verließ Piscator die Volksbühne.

Die Piscator-Bühnen

Erwin Piscator gründete nun seine eigene Bühne, die Piscator-Bühne. Zwischen 1927 und 1929 wurde das Theater am Nollendorfplatz seine Spielstätte, später auch das Lessing- und das Wallner-Theater. Ernst Tollers Stück „Hoppla wir leben“ wurde zum spektakulären Bühnenereignis. Hier führte er sein Avantgardetheater fort, setzte modernste Technik ein und streute insbesondere gerne Filmausschnitte in seine Aufführungen ein.

Sein Anliegen war es, politische Aussagen zu machen und damit Einfluss auf das Publikum zu nehmen. In seiner Schrift „Das politische Theater“ erläuterte er 1929 sein Programm auch theoretisch. Piscator schuf auch als erster politische Revuen. Mit Bert Brecht arbeitete er als Dramaturg zusammen. Statt Distanz des Zuschauers, wie Brecht sie forderte, wollte Piscator jedoch die aktive Einbeziehung des Publikums erreichen.

Das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt

(Preußisches Staatstheater)  – Leopold Jessner

 

Politisches Theater betrieb auch Leopold Jessner am Schauspielhaus – wenn auch in etwas gemäßigteren Formen als Piscator. Aufsehen erregten seine Inszenierungen dennoch und bisweilen sogar legendäre Theaterskandale.

Theater am Schiffbauerdamm

 

Im August 1928 fand im Theater am Schiffbauerdamm – heute Spielstätte des Berliner Ensemble – eine Uraufführung statt, die zu einem der größten Theatererfolge der Weimarer Republik werden sollte: Bertolt BrechtsDreigroschenoper„. Auch Ödön von HorváthsItalienische Nacht“ und Marieluises FleißersPioniere in Ingolstadt“  wurden hier uraufgeführt.


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Damals wars…Professor Kurt Raeck

Erinnern Sie sich an unseren langjährigen Bewohner der Berliner Künstlerkolonie

Professor Kurt Raeck 

Intendant Renaissance-Theater Berlinbekommt die Ernst-Reuter-Medaille in Silber verliehen (Photo by Binder/ullstein bild via Getty Images)

 

Was bin ich eigentlich, wenn ich 50 Jahre hier in Berlin am Theater in führender Position gewesen bin? Theaterdirektor, Titel Intendant habe ich mal bekommen, Orden und alle möglichen Dinge. Aber damit weiß ich immer noch nicht „was bin ich eigentlich“? Ich bin Berliner. Sagen wir’s kurz. (Kurt Raeck)

 

Von 1946 lag die Leitung des 1927/1928 errichteten Renaissance-Theaters dreiunddreißig Jahre in den Händen von Professor Kurt Raeck. In dieser Zeit war der vielfältig aktive Theatermann die dominante Erscheinung der Privatbühnen (neben Hans Wölffer) und darüberhinaus eine Schlüsselfigur im Theaterleben der Halbstadt.

 

Anläßlich seines Todes 1981 schrieb Friedrich Luft:

Er war … mit einem selten gewordenen Gemeinsinn für das Berliner Gemeinwesen tätig. Das wird nun sehr fehlen. Er war ein Berliner von der eher sympathisch stillen Art. Er war der allererste, der, studierend, über ein Thema der praktischen Theaterarbeit an irgendeiner deutschen Universität promovierte. Der erste deutsche Theater-Doktor. Das ist er bis zu seinem Ende geblieben. … Heinrich George, als dem das Schillertheater 1936 überantwortet wurde, zog ihn als seinen Geschäftsleiter hinzu. Raeck trat, bewußt und kalkulierend, ins zweite Glied. Er wartete auf das Ende der Nazis und seine neue Chance. Als er sie bekam, ergriff er sie sofort. … Er hat mit Karl Heinz Martin das neue Hebbeltheater zwei fahre aufgebaut. Als die Engländer endlich das schöne Renaissance-Theater für eine Berliner Nutzung wieder hergaben, griff er zu. … Er hat Willi Schmidt, hat Ernst Schröder, hat Hans Lietzau und vor allem immer wieder den schwierigen Rudolf Noelte dort inszenieren lassen – oft mit Spielerfolgen, die die der Staatstheater übertrafen. … Er hatte den direkten Draht zu den großen Protagonisten. Käthe Dorsch hat bei ihm mehrfach gespielt. Walther Franck gehörte zu seinem Ensemble immer wieder. Mit O.E. Hasse und Emst Schröder war er eng befreundet. Er hat Curt Goetz an sein Haus gezogen, solange der noch lebte und spielte und schrieb. Er hat Elisabeth Bergner eigentlich erst in ihre zweite, große deutsche Karriere gebracht, und hat der Grete Mosheim mehrfach die Berliner Stätte bereitet. … Er hat seinem Renaissance-Theater einen praktikablen, einen eigenständigen und unverwechselbaren Ort in der Theaterlandschaft Berlins gegeben.

Die Raeck-Ära war die Zeit der großen Schauspieler. Kaum eine(r), der vor dem Kriege Rang und Namen hatte und nicht im Renaissance-Theater gespielt hätte: Lucie Mannheim, Hubert von Meyerinck, Tilla Durieux, Rudolf Forster, Paul Hörbiger, Grethe Weiser und und und.

Erfolg und Renommée des Hauses beruhten zum großen Teil auf den Entfaltungsmöglichkeiten, die Raeck diesen Persönlichkeiten bot. Für die Bedingungen eines Privattheaters hielt er ein erstaunliches Autoren-Niveau: Auch Albee, Beckett, Bond, O’Neill und Sartre standen auf dem Ensuite-Spielplan.

Aus der Reihe der Erfolge, die Kurt Raeck immer dann besonders glücklich machten, wenn er mit Gehaltvollem auch Geld verdiente, sei eine Sternstunde des Theaters aus den 50er Jahren herausgegriffen: „Geliebter Lügner„, die europäische Erstaufführung des Briefwechsels zwischen G. B. Shaw und der Schauspielerin Stella Campbell-Patrick unter der Regie des Autors Jerome Kilty mit Elisabeth Bergner und O. E. Hasse. Einhellig schwärmten die Kritiker von dem Wunder Bergner, von der plötzlich der alte Zauber ausging, der in dem glorreichen Theaterjahrzehnt zwischen 1920 und 1930 ihre Größe ausgemacht hatte. O. E. Hasse steigere sich an seiner herrlichen Partnerin zu einer darstellerischen Intelligenz, die ihresgleichen suche; die Bergner sei erst jetzt wirklich aus der Emigration zurückgekehrt.

 

Intendant Renaissance-Theater Berlin (1946-1979)Porträt- 1956 (Photo by ullstein bild/ullstein bild via Getty Images)

Ich habe versucht, immer das zu machen, was mir auch Freude macht. Ich habe manchmal etwas machen müssen – aus wirtschaftlichen Überlegungen -, was mir keine Freude macht. (Kurt Raeck)

www.renaissance-theater.de


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Lesung Horst Pillau im Juli im Theater Coupe

Wir feuen uns Horst Pillau für eine Lesung aus seinem neuen Buch und einem sich anschliessenden Besuchergespräch zu seinem Leben, seinen Büchern und seinen grossen Theater und TV Erfolgen im Theater Coupe begrüssen zu dürfen.

Horst Pillau wurde 1932 in Wien geboren, ist seit dem zweiten Lebensjahr aber Urberliner. Nach seinem Debüt mit einem Rundfunksketch bei RIAS Berlin wurde er mit siebzehn Jahren freier Schriftsteller und ist seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Theater-, Fernseh-, Hörfunk- und Buchautoren Deutschlands. „Das Fenster zum Flur“, gemeinsam mit Curth Flatow geschrieben, war bisher in rund 350 Inszenierungen zu sehen – u. a. mit Inge Meysel und Edith Hancke in der Hauptrolle.

Das Erfolgsstück „Der Kaiser vom Alexanderplatz„, brachte Rudolf Platte in der Titelrolle den Spitznamen „Langspiel-Platte“ ein. Weitere große Bühnenerfolge waren „Guten Tag, Herr Liebhaber!“ mit Brigitte Grothum, Brigitte Mira und Hans-Jürgen Schatz, „Es muss nicht immer Kaviar sein“ (nach Simmel) sowie „Kohlenpaul“ und „Zille“ mit Walther Plathe.

Horst Pillau schrieb zahlreiche Fernseh-Drehbücher, darunter „Salto Mortale„, „Die Wilsheimer„, „Es muss nicht immer Kaviar sein“ und „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ sowie kurze Theaterstücke für „Dalli Dalli„, der Quizshow seiner langjährigen Freundes Hans Rosenthal.


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Mitglieder Event Besuch des Renaissance Theaters

Die Intendanz des Renaissance-Theaters lädt alle Mitglieder des Künstlerkolonie Berlin e.V. zu einer Backstage Besichtigung und einem Gespräch mit der Chefdramaturgin und Stellvertreterin des Intendanten Frau Gundula Reinig für den 

 

12. Juli 2019 zu 16.30 Uhr

 

 in das Renaissance-Theater ein. 

 

 

Das Renaissance-Theater wurde 1926/1927 geschaffen von dem Architekten Oskar Kaufmann und fällt in die unmittelbare Gründungszeit der Berliner Künstlerkolonie. Die Führung gibt einen Blick hinter die Kulissen und die Geschichte des Berliner Renaissance-Theaters.

 


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Der Südwestkorso

Der Südwestkorso ist eine rund 1650 Meter lange Straße in den Berliner Ortsteilen Friedenau und Wilmersdorf. Der Name bezieht sich auf die Richtung der Straße, in der sie zwischen der Bundesallee hinter der Ringbahn- und Autobahnüberführung stadtauswärts bis zum Breitenbachplatz verläuft.

1935:Strassenbahnlinie 71,Suedwestkorso

 

Korso bezeichnete früher vor dem 18. Jahrhundert ein Wettrennen reiterloser Pferde, wie sie vor allem in Italien auf Straßen und Plätzen stattfanden (siehe Palio).

Später wurde der Begriff auf das langsame Durchfahren der Hauptstraßen einer Stadt in geschmückten Kutschen und Equipagen, hauptsächlich beim Karneval angewandt. Dieser Brauch, den auch Goethe in seiner Italienreise ausführlich beschreibt, gab in fast allen größeren Städten Italiens der Hauptstraße den gleichen Namen. Am bekanntesten ist der Korso in Rom. Bei Goethe heißt es dazu:
 
… fahren die Kutschen nach und nach in den Korso hinein, in derselben Ordnung, wie wir sie oben beschrieben haben, als von der sonn- und festtägigen Spazierfahrt die Rede war, nur mit dem Unterschied, daß gegenwärtig die Fuhrwerke, die vom venezianischen Palast an der linken Seite herunterfahren, da, wo die Straße des Korso aufhört, wenden und sogleich an der andern Seite wieder herauffahren …
 
BERLIN 09.11.2006 Wohngebiets- Siedlung an der Rheinstraße – Südwestkorso – Wiesbadener Straße – Handjerystraße nahe dem Friedrich-Wilhelm-Platz in Berlin. // Settlement at the Rheinstrasse – Suedwestkorso – Wiesbadener street – Handjerystrasse near the Friedrich Wilhelm Platz in Berlin. Foto: BSF Swissphoto GmbH

 

Den Namen gibt es seit dem 27. März 1909. Der Südwestkorso ist rund 1650 Meter lang und verbindet die Ortsteile Friedenau und Wilmersdorf. So kommt es, dass die Häuser Nr. 1-17 und Nr. 60-77 zu Friedenau (PLZ 12161) und die Häuser Nr. 18-59 zu Wilmersdorf (PLZ 14197) gehören. Die Straße wurde 1906 bis 1908 von der Berlinischen Boden-Gesellschaft angelegt. Sie beginnt an der Ecke Bundesallee und Varziner Straße und endet vor dem Breitenbachplatz. An der Kreuzung Stubenrauch- und Görresstraße (vorher Wilhelmstraße) in Höhe der Offenbacher- und Mainauer Straße befand sich einst der Hamburger Platz. Er wurde für die Erweiterung des Friedhofs Stubenrauchstraße aufgegeben.
 
Dort stand von 1909 bis 1931 der von Paul Aichele entworfene „Sintflutbrunnen“. Auf Wunsch von Kaiser Wilhelm II. wurde ein Mittelstreifen als Reitweg angelegt, auf dem 1911 die Trasse der Straßenbahnlinien „O“ nach Kupfergraben und „69“ nach Friedrichsfelde über Bayerischer Platz, Nollendorfplatz, Spittelmarkt und Alexanderplatz gelegt wurde. Als am Ende der zwanziger Jahre deutlich wurde, dass der Autoverkehr einen Umbau des Südwestkorsos erforderlich machen, wurde der „Sintflutbrunnen“ abgebaut und 1931 auf dem Maybachplatz (heute Perelsplatz) installiert. Aus dem Mittelstreifen wurden später Parkplätze.
 
Südwestkorso mit Sintflutbrunnen, 1910. Archiv Barasch

 

Während der Enthüllung des „Sintlutbrunnens“ auf dem Hamburger Platz am 4. Juli 1909 konnte Bürgermeister Bernhard Schnackenburg (1867-1924) im Beisein des Schöpfers sowie von Gemeindebaurat Hans Altmann (1871–1965) jedenfalls mit Stolz verkünden, dass dieses Kunstwerk von dem (allerdings im badischen Markdorf geborenen) Friedenauer Künstler Paul Aichele (1859-1924) geschaffen wurde.

 

Berlinische Boden-GesellschaftGeorg Haberland (1861-1933)

 

Der Brunnen war eine „Gabe“ des Bauunternehmers Georg Haberland (1861-1933). Seine „Berlinische Boden-Gesellschaft“ hatte 1904 große Teile des noch unbebauten Friedenauer Areals erworben und den Bau vierstöckiger Mietshäuser durchgesetzt. Das kleidete er in schöne Worte:

„Im Herbst des Jahres 1906 ist die Anlage des Südwestkorsos von der Gemeinde Friedenau beschlossen worden, ein neuer Straßenzug, der den Südwesten Berlins durchschneidet und von der aufblühenden Kolonie Dahlem eine direkte Verkehrsstraße durch die Kaiserallee mit der Stadt bildet. Wie zweckmäßig diese Maßnahme war, ersehen Sie aus dem Umstande, dass kaum zwei Jahre nach seiner Anlage ein großer Teil des Korsos bereits der Bebauung erschlossen worden ist. Diese Allee bedarf einer Unterbrechung, eines Ruhepunktes, auf dem das Auge mit Wohlgefallen ruht und kein anderer Ort scheint geeigneter für einen solchen, als dieser Platz, auf welchem sich der Brunnen erhebt, den ich heute Ihnen, meine Herren übergeben will.“

Der Bürgermeister allerdings „möchte nicht hoffen, dass die Kraft Friedenaus in Denkmälern bestehen soll, sondern dass Ruhe und Frieden es ziere. Für ihn hat die Terrain-Gesellschaft eine große Bedeutung, da sich fast der ganze Rest unbebauten Geländes in ihrer Hand befindet. Da sei es uns eine Genugtuung zu wissen, dass die Gesellschaft nicht nur die Terrains aufschließe und sie nach Belieben bebauen lasse, sondern, dass sie auch dahin wirkt, Häuser zu errichten, die unserem Ort zur Zierde gereichen“.

 

Bekannt war, dass der Bauunternehmer Georg Haberland und seine „Berlinische Boden-Gesellschaft“ am 22. September 1904 von der Gemeinde Friedenau das Sportparkgelände zwischen Handjerystraße und Kaiserallee (Bundesallee) erworben hatten, und dort mit dem „Wagnerviertel“ ein Quartier mit dem „fortgeschrittensten Stand des großbürgerlichen Mietwohnungsbaus“ entstehen ließen. Nicht bekannt war, dass die „Berlinische Boden-Gesellschaft“ im Februar 1890 von den aus Wittstock an der Dosse stammenden Salomon (Vater) und Georg (Sohn) Haberland zusammen mit dem Hamburger Kaufmann Arthur Booth und unter Beteiligung des Berliner Bankhauses Delbrück, Leo & Co. gegründet worden war und eigentlich bis heute „besteht“. Wie das?

 

Im Herbst 1975 entstand die „Bilfinger + Berger Bauaktiengesellschaft“ durch Zusammenschluss der „Grün & Bilfinger AG“ in Mannheim mit der Wiesbadener „Julius Berger-Bauboag AG“, die 1969 aus der Fusion der Julius Berger AG und der BAUBOAG in Düsseldorf hervorgegangen, die wiederrum bis 1954 als „Berlinische Boden-Gesellschaft“ firmierte. Die Geschichte der heutigen „Bilfinger Berger AG“ erstreckt sich daher, vermittelt durch die Vorläuferunternehmen, über einen Zeitraum von mehr als 137 Jahren.

 

Erst war der Plan da… Die Ausdehnung Berlins nach Westen wurde von Terraingesellschaften vorangetrieben. Sie sorgten wie hier am Reichskanzleiplatz 1907 zunächst für die Infrastruktur, Straßennetze und U-Bahn-Anschluss, bevor der Baugrund verkauft werden konnte.FOTO: WALDEMAR FRANZ TITZENTHALER

 

Unter dem Titel „Drei Wurzeln – Ein Unternehmen“ haben die Historiker Bernhard Stier und Martin Krauß Material über die Geschichte dieser Unternehmen zusammengetragen. Da diese Dokumentation Zusammenhänge mit der aktuellen Berliner Situation nahelegt, wenn nicht sogar vergleichbar ist, zitieren wir mit freundlicher Genehmigung der „Bilfinger Berger AG“ die wesentlichen gedanklichen Ansätze von Georg Haberland und der „Berlinischen Boden-Gesellschaft“:

Die 1890 in der Reichshauptstadt gegründete Berlinische Boden-Gesellschaft begann nicht als Bauunternehmen, sondern als so genannte Terraingesellschaft. Ihr Geschäftszweck war die Erschließung und Entwicklung neuer Baugebiete, Siedlungen und Stadtteile. Die Unternehmensgründer reagierten damit auf die massive Bevölkerungszunahme Berlins. Zwischen 1870 und 1910 stieg die Einwohnerzahl der Reichshauptstadt von 967.000 auf 2.070.000. Im Jahre 1908 lebten im Großraum Berlin, also unter Einbeziehung der damals noch selbstständigen Vororte, 3.260.000 Menschen. Diese Bevölkerungszunahme ließ Berlin zu einer der dynamischsten Großstädte Europas werden.

Grabenkämpfe. Bauland gab es reichlich, doch es zu erwerben, setzte gute politische Kontakte bei Gemeinde- und Stadträten voraus. Georg Haberland verfügte über sie, so entstand 1908 das Bayerische Viertel vor den Toren Berlins. Im Hintergrund zu sehen, ist der Bayerische Platz. Haberland sollte selbst ein Haus in der Gegend beziehen. FOTO: MUSEEN TEMPELHOF-SCHÖNEBERG

 

Das Wachstum stellte immense Anforderungen an die Verwaltung. Innerhalb von vier Jahrzehnten musste neuer Wohnraum für mehr als eine Million Menschen geschaffen und in großen Dimensionen die Infrastruktur für Transport, Ver- und Entsorgung, für Bildung und Gesundheit erstellt werden. Die städtische Verwaltung sah sich dabei mit bislang unbekannten Herausforderungen konfrontiert. Daraus entstand eine politische und volkswirtschaftliche Debatte über Probleme der Urbanisierung und Stadtentwicklung, über „Wohnungsfrage“, „Wohnungsreform“ und Bodenordnung sowie über die Aufgaben von öffentlicher Hand und privater Initiative auf diesen Gebieten.

Der Tuchfabrikant Salomon Haberland (1836-1914), der 1866 von Wittstock an der Dosse nach Charlottenburg übergesiedelt war, und sein Sohn Georg Haberland (1861-1933) hatten einen guten Blick für die Entwicklung der Reichshauptstadt. Mit Gespür für den zunehmenden Wohnungsbedarf investierten sie erworbenes Vermögen in Grund und Boden. Etwa ab 1880 betätigten sie sich auf dem Gebiet der Parzellierung und des Weiterverkaufs von Grundstücken sowie der Kreditvergabe an Bauunternehmer. Im Februar 1890 wurde zusammen mit dem Hamburger Kaufmann Arthur Booth und unter Beteiligung des Berliner Bankhauses Delbrück, Leo & Co. die Berlinische Boden-Gesellschaft (BBG) gegründet.

© ruedi-net

 

Der Grundgedanke war die Erschließung unbebauter Ländereien und der Verkauf baureifer Parzellen an die Baugewerbetreibenden. Diese errichteten auf den von ihnen erworbenen Bauparzellen Häuser, um sie alsdann an Leute zu verkaufen, die ihre Ersparnisse in Hausbesitz anlegen wollten. Die BBG richtete ein technisches Büro ein, das die Grundrisse für die einzelnen Häuser aufstellte. An Hand dieser Grundrisse wurden Rentabilitätsberechnungen angefertigt, nach denen  die Preise der Bauparzellen derart festgesetzt wurden, dass für den Unternehmer ein nutzbringendes Geschäft herauskam.

Eines der bedeutendsten Projekte Haberlands und zugleich ein Musterbeispiel für die Arbeitsweise der Berlinischen Boden-Gesellschaft war die Entwicklung des „Bayerischen Viertels“. Die Tätigkeit der Gesellschaft bestand darin, in Abstimmung mit der Gemeinde einen umfassenden Bebauungsplan aufzustellen, das Gelände in insgesamt 500 einzelne Bauparzellen aufzuteilen, Straßen auszubauen und für die Herstellung der Infrastruktur zu sorgen. Die mustergültige Planung berücksichtigte alle Grundsätze des zeitgenössischen modernen Städtebaus, vor allem die Unterscheidung zwischen Verkehrsstraßen und reinen Wohnstraßen, die eine geringere Breite aufwiesen und in denen Ladengeschäfte nur in Eckhäusern erlaubt waren. Das Konzept verzichtete auf tief gestaffelte Quer- und Rückgebäude und vermied damit jene düsteren Hinterhöfe, die für die Berliner Mietskasernen typisch waren. Die aneinanderstoßenden Hofflächen wurden stattdessen zusammengefasst, nur mit Zäunen abgetrennt und teilweise bepflanzt. Vorgärten in den Wohnstraßen, gärtnerisch ausgestaltete Inseln im Straßenverlauf und vor allem die Anlage von Plätzen belebten das Erscheinungsbild. Mit dem Viertel entstand ein ästhetisch anspruchsvoller neuer Stadtteil, der sich von vielen anderen, nur unter Rentabilitätsgesichtspunkten erbauten positiv abhob und als Wohnquartier bald überaus begehrt war.

Kiosk und Bedürfnisanstalt am Südwestkorso, 1973. Quelle LBB

 

Bei der durchdachten und aufwändigen Planung wurden die neuartigen Grundsätze des „romantischen Städtebaus“ mustergültig umgesetzt, wie sie der Wiener Baumeister und Städteplaner Camillo Sitte wenige Jahre zuvor entwickelt hatte. Gegen die „Motivarmut“ und Nüchternheit moderner Stadtplanung sowie ihre einseitige Ausrichtung auf Verkehrszwecke forderte Sitte die künstlerische Durchbildung der Entwürfe. Vor allem die Plätze als Zentren des öffentlichen Lebens entdeckte er neu. Dementsprechend kam ihnen und der umliegenden Bebauung eine wichtige ästhetische Funktion zu. Im Bayerischen Viertel erregte besonders der im Juni 1900 eingeweihte, von dem Kölner Gartenarchitekten Fritz Encke entworfene Viktoria-Luise-Platz großes Aufsehen bei den Städtebauern wie den Berliner Bürgern. Diese zentrale Gartenanlage in Form eines langgezogenen Sechsecks ist bis heute der kommunikative und ästhetische Mittelpunkt des ganzen Stadtteils. Das neue Viertel galt bald als das nobelste Quartier im Berliner Westen.

 

Zahlreiche weitere Vorhaben folgten diesem Konzept. Ab 1904 wurde auf dem Sportparkgelände in Friedenau das „Wagnerviertel“ erschlossen. Daran schloss sich in westlicher Richtung das „Südwestgelände“ an, dessen Entwicklung Haberland zusammen mit der 1895 gegründeten Terraingesellschaft Berlin-Südwesten betrieb. Im Jahr 1905 beteiligte sich die Berlinische Boden-Gesellschaft an diesem Unternehmen. Mit dem nach Dahlem führenden Südwestkorso als Hauptachse entstand zwischen dem Heidelberger Platz im Nordwesten und dem Laubenheimer Platz im Süden das „Rheingauviertel„. Es zeichnete sich in seinem Zentrum um den Rüdesheimer Platz durch einheitliche Geschoss-, Trauf- und Firsthöhen sowie Dachneigungen und eine planmäßig abgestimmte Fassadengestaltung aus. Das verlieh dem Stadtteil eine große architektonische Geschlossenheit. Gartenterrassen und die künstlerische Ausgestaltung von Plätzen und Brunnen erhöhten den Wohn- und Erlebniswert.

 

Wohnbblock in der Rubensstraße um 1930. Quelle Bilfinger Berger AG

 

Die Gesamtplanung eines neuen Wohnquartiers mit allem Zubehör und die technische wie finanzielle Abwicklung des Projekts bildete das unternehmerische Prinzip, mit dem die Berlinische Boden-Gesellschaft auf diese Nachfrage reagierte. Die privaten Terraingesellschaften übten damit Funktionen aus, die heute als öffentliche Aufgaben angesehen werden. In der Frühzeit der Urbanisierung war die kommunale Verwaltung dazu aber weder fachlich noch personell in der Lage, zudem entsprach ein solches Engagement nicht ihrem Selbstverständnis. Nach dem vorherrschenden liberalen Paradigma beschränkte sich die Tätigkeit der Gemeinden bei der Erschließung von Baugebieten auf die Erstellung des Bebauungsplans, also die Vorgabe der Fluchtlinien und der zu errichtenden Straßenzüge.

Eine sachliche Auseinandersetzung mit den Terraingesellschaften hätte alle diese Aspekte berücksichtigen und dabei anerkennen müssen, dass das Terraingeschäft insgesamt ein äußerst produktives System darstellte. In Berlin wurden jedoch Georg Haberland und die Berlinische Boden-Gesellschaft beinahe zwangsläufig zur Hauptzielscheibe der Kritik. Sie entzündete sich am Bayerischen Viertel und wurde in der Schöneberger Kommunalpolitik ausgetragen. Insbesondere der seit 1911 amtierende Oberbürgermeister Alexander Dominicus griff Haberland und seine Gesellschaft scharf an.

© friedenau-aktuell

 


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Argumentationstraining gegen rassistische und rechtsextreme Sprüche

Auf Initiative der SPD Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus Franziska Becker und Florian Doerstelmann nahmen wir an einem Argumentationstraining gegen rassistische und rechtsextreme Sprüche teil das im Bürgerbüro am Rüdesheimer Platz stattfand.


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Kunst zum Ausleihen – Artothek in der Kommunalen Galerie Berlin

Die Kunst hat eine andere Aufgabe zu erfüllen, als gekauft zu werden. […] Unsere Aufgabe ist die Erziehung sowohl des Künstlers als auch des Publikums […] zur Selbständigkeit des Urteils und Belebung des Interesses für die Kunst durch Abwechslung. […]”
Arthur Segal, 1924

Grafische Werke, Skulpturen und Gemälde können über einen mehrmonatigen Zeitraum für eine geringe Gebühr ausgeliehen werden. Gleiches gilt für Fotografien, ausgewählte internationale Plakate und Bilder für Kinder. Das Angebot der Artothek in Charlottenburg-Wilmersdorf richtet sich an alle Berlinerinnen und Berliner.

Die Artothek kauft vorrangig Kunstwerke ortsansässiger und heute lebender Kunstschaffender. Bei Auswahl und Ankauf von Kunstwerken wird das Gleichgewicht von Künstlerinnen und Künstlern angestrebt. Die Artothek unterstützt sie durch den Kauf ihrer Kunstwerke und sorgt für die Verbreitung der Werke in viele private Haushalte und öffentliche Institutionen.

Blick in die Artothek Charlottenburg-Wilmersdorf

Bild: Ringo Paulusch
 

In den Präsentationsräumen können Sie sich einen Überblick über die vorhandenen Kunstwerke verschaffen.

Die Leihdauer ist begrenzt auf zehn bzw. zwanzig Wochen. Die Leihgebühr wird pro Werk erhoben und beträgt bei den meisten Werken 5 Euro. Bei Überschreitung der Leihfrist wird eine Mahngebühr erhoben. Für die Ausleihe ist der erste Wohnsitz in Berlin gegen Vorlage des Personalausweises nachzuweisen.

Weitere Fragen beantworten Ihnen gern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Artothek während der Öffnungszeiten oder telefonisch unter 9029 16709.